Reformlüge
Joseph Ackermann, der Chef der deutschen Bank ist einer der Meinungsführer unseres Landes und glaubt an den"Reformstau" als entscheidende Ursache unseres wirtschaftlichen Unheils, der "German Disease", der Sozialstaat, das "Modell Deutschland" sei nicht mehr zeitgemäß, die sozialen Sicherungssystem nicht mehr finanzierbar, die Steuern und Abgaben zu hoch, die Bürokratie unerträglich und Besitzstandswahrer bedrohten unsere Zukunft.
Seine Therapie beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Schuldenberg lautet: Modernisierung, Ruck, Strukturreform, mehr Eigenverantwortung, weniger Staat, mehr Privatisierung und weniger Regulierung, kurzum die permanente Reform unserer sozialen Sicherungssysteme.
Nur schneller könnte alles gehen, mehr Bewegung bitte! Und die Politik reagiert. Politiker aller Parteien und Wissenschaftler überbieten sich seit dem Jahreswechsel 2002/2003 in der
Präsentation möglichst umwälzender Vorschläge.
Die Behauptung, mit Reformen, die vor allem Sozialabbau bedeuten, könnten wir die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Arbeitslosigkeit überwinden, ist jedoch unwahr. Die Reformdebatte und die schon getätigten Reformen bewirken das genaue Gegenteil eines wirtschaftlichen Aufschwungs.
Eine Reformlüge ist es auch, wenn die Verfechter der Reformen ihre wahren Ziele nicht offenbaren und so tun, als ginge es ihnen um die Anpassung an veränderte Bedingungen, während sie tatsächlich eine Systemveränderung im Auge haben. So gesehen ist Josef Ackermann ein ehrlicher Typ. Er verschweigt wenigstens nicht, dass er ein anderes System will. Und zwischen den Zeilen geben Guido Westerwelle, Edmund Stoiber und Angela Merkel dies ebenfalls zu.
Die Reden vom Umbau des Sozialstaats sind aber nur wohlklingende Floskeln ohne Inhalt. Unter dem Vorwand, die sozialstaatliche Ordnung erhalten zu wollen, wird sie zerstört.
Die "Operation Reformen" ist auch deshalb eine Lüge, weil sie nichts anderes ist als der versuch, die Einkommensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland weiter auseinanderzuziehen und auf lange Sicht Fakten zu Ungunsten der Arbeitnehmer zu zu schaffen. Wie sonst sind Maßnahmen zu verstehen wie die Abschaffung der Vermögenssteuer, die Streichung der Steuer auf Gewinne bei Betriebsverkäufen, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer auf der einen Seite und die Schaffung eines Niedriglohnsektors oder die massenhafte Ausweitung der Sozialhilfe im Zuge von Hartz IV auf der anderen? Wo werden da strukturelle Verbesserungen geschaffen?
Eine Lüge ist zuletzt auch die Behauptung, es würde erst jetzt mit Reformen begonnen. Das Gegenteil ist wahr: Diese Art von Reformen wird in Deutschland seit gut 20 Jahren versucht.
Am 12. Oktober 2000 präsentierte Professor Hans Tietmeyer als Vorsitzender des Kuratoriums der Metall- und Elektroindustrie, ausgestattet mit 50 Mio Euro der Arbeitgeberverbände seine zentrale Botschaft: Die soziale Marktwirtschaft muss erneuert werden, wir brauchen Strukturreformen, mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und mehr Mobilität bei den Beschäftigten- die ganz bestens bekannte neoliberale Litanei.
Hans Tietmeyer, CDU-Mitglied, von grossem Einfluss auf die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik war schon Grundsatzreferent unter dem Sozialdemokraten Karl Schiller. Er war der Mann im Hintergrund des späteren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) und maßgeblich an dessen Kampf gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt Ene der 7oer Anfang der 80er Jahre beteiligt. Er war Mitautor des Lambsdorff-Papiers, das zur Scheidungsurkunde der sozialliberalen Koalition im September 1982 wurde. Worum es dabei ging formulierte Helmut Schmidt so: Lambsdorff wolle " eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Artikels 20 unseres Grundgesetzes und eine Hinwendung zur Ellenbogengesellschaft".
Danach war Tietmeyer Staassekretär unter Helmut Kohl und einer der einflussreichsten Berater seiner Partei. In dieser Zeit hat er auch maßgeblich die internationale Wirtschafts- und Wärungspolitik mit geprägt und die ideologische Debatte zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus geführt.
Nun stellt sich dieser Mann im Oktober 2000, zwei Jahre nach Ende der Regierung Kohl hin und erklärt "warum die soziale Marktwirtschaft erneuert werden muss". Dazu hatte er 20 Jahre Zeit gehabt. Er hat diese Zeit auch genutzt, aber sie hat dem Land nichts gebracht.
Dass die meisten Leute glauben, mit der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, mit Reformen, mit der Anwendung der Rezepte der Neoliberalen werde erst jetzt begonnen , ist also nichts weiter als ein guter Beleg für erfolgreiche Gehirnwäsche.
Zwischen modischem Gerede und der Realität klafft eine große Lücke- und zwar schon seit 20 Jahren. Die Angebotsökonomen und Neoliberalen haben ihre Chance gehabt und sind erfolglos geblieben. Aber unsere Meinungsführer können oder wollen nicht zugeben, dass ihre Konzepte falsch oder zumindest fragwürdig sind. Sie sind wie Drogenabhängige: Statt auf Entzug zu gehen, erhöhen sie die Dosis.
Wie kommt das? In einer Mediendemokratie, vielmehr : in einer Mischung aus Parteieliten- und Mediendemokratie, werden politische Entscheidungen von der öffentlichen Meinungsbildung vorentschieden. Wer die öffentliche Meinung beherrscht, der bestimmt auch die politische Linie. Und weil es große Interessen gibt, die die politische Linie bestimmen wollen, forcieren sie ihren Einfluss auf die öffentliche Debatte.
Die Agitatoren der Reformlüge können auf eine breite Koalition der Willigen unter den Eliten in Deutschland bauen. Das sind Personen und Gruppen, Unternehmen und Verbände, die von sich aus ein Interesse an Strukturreformen haben oder auch nur der gängigen Stimmung erlegen sind.
Zu den großen Förderern neoliberaler Positionen gehören neben dem erwähnten Hans Tietmeyer, der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank Jürgen Stark, der Leiter der Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt Bernd Pfaffenbach und der Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen bei der EU-Kommission Klaus Regling. Auch Horst Köhler, dem CDU und CSU nicht ohne Grund zum Amt des Bundespräsidenten verhalfen, gehört dazu.
Man könnte diese Gruppe von CDU-nahen Männern auch die deutschen Chicago Boys nennen, angelehnt an jene Ökonomen aus Chicago, die die ökonomisch-theoretische Basis des Neoliberalismus formuliert und Einfluss auf die Entwicklung in Pinochets Chile, in Ronald Reagans USA und in Margaret Thatchers Gropßbritannien hatten.
In einem weiten Netz von Initiativen, Aktionen, Bündnissen wiederholen diese Akteure und multiplizieren ihren Glauben. Bekannt ist der "Bürgerkonvent" und die " Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", der "Konvent für Deutschland". Sie haben vor allem eine Botschaft: Überwindung des "Reformstaus" und "Aufklärung" der Bevölkerung über die Wichtigkeit des Abbaus von sozialen Leistungen.
Unterstützung erfahren sie in einschlägigen Talkshows. Hier finden sich Arnulf Baring, Roland Berger, Peter Glotz, Hans-Olaf Henkel, Oswald Metzger, Meinhard Miegel.
Zu den Willigen gehört in weitem Umfang die Wissenschaft. Sozialwissenschaftler haben dafür geworben, einen so genannten Niedriglohnsektor aufzumachen - ein in jeder Hinsicht fragwürdiges Projekt.
Die Wissenschaft der Demographie hat sich mit wenigen Ausnahmen für die Behauptung einspannen lassen, unser Land habe gravierende Probleme mit der Bevölkerungsentwicklung.
Prototypisch für unwissenschaftliche Willfährigkeit ist auch der Sachversändigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er drängt seit Jahren auf eine weniger arbeitnehmerfreundliche und weniger sozial orientierte Politik und Änderung im Sinne der Reformlügen-Koalition.
Der Steuerzahler zahlt dieweil die Agitation für die neoliberalen Strukturreformen. Kommissionen, Beraterfirmen wissenschaftliche Gutachten wurden von der Bundesregierung zwischen 1999 und 2003 mit 168,8 Mio Euro bezahlt.
Zu den wirksamsten Förderern der neoliberalen Reformbewegung zählen die Weltbank und der internationale Währungsfonds (IWF).
Der IWF hat noch unter der Federführung von Horst Köhler in vielen Ländern neoliberale Reformen erzwungen.
Besonderer Erwähnung bedarf José Pinera und sein "International Center for Pension Reform". Pinera war unter Pinochet Arbeitsminister und hat den dortigen Arbeitnehmern 1980 die private Vorsorge aufgezwungen mit all den damit verbundenen Nachteilen für die Mehrheit der Chilenen.
Pinera rühmt sich der Beratung vieler Länder und regierungen bei ihrem Weg zur Ablösung sozialer Sicherungssysteme und Einführung privater Rentenversicherungen.
Wer sich durch die Seiten seiner hompage www.pensionreform.org clickt bekommt zugleich einen umfassenden wie bedrückenden Eindruck von der Dimension und dem weltumspannenden Charakter seiner Aktivitäten. Der Arbeitsminister Pinochets als Ghostwriter einer rot-grünen Koaltion ?
Auf seiner persönlichen hompage www.josepinera.com präsentierte Pinera im Mai 2004 die "Agenda Chile 2010".
Der verstorbene amerikanische Soziologe Christopher Lasch diagnostizierte schon vor 20 Jahren, dass die neuen Eliten, zu denen Banker, Makler, EDV-Spezialisten, Ärzte, Professoren und Journalisten gehören, sich von der Realität der einfachen Menschen allein ihrer Leistung zu verdanken haben, und fühlen sich niemandem mehr verantwortlich, schon garnicht dem Gemeinwohl. Wer nicht auf die gesetzliche Rente angewiesen ist, für den ist es einfach, unbeschwert vom Sozialabbau zu sprechen. Er vergisst dabei, dass die soziale Sicherung das "Vermögen der kleinen Leute" ist. Mehr noch: Die gleiche Schicht, die glaubt, Arbeitnehmern verordnen zu müssen, den Gürtel enger schnallen, meint gleichzeitig, sie sei unterbezahlt und müsse eine zu grosse Steuerlast tragen. Nicht alle denken und empfinden so. Aber es fällt auf, wie viele der bis dahin als kritische Geister bekannte Zeitgenossen den Glauben an die Notwendigkeit von grundlegenden Strukturreformen teilen und weitertragen. Das letzte , besonders bedrückende Beispiel für dieses Phänomen lieferte Günter Grass.
Nun ist niemandem vorzuwerfen, wenn er von Wirtschaft nichts versteht. Es gibt durchaus ein Recht auf Nicht-Wissen, aber es gibt keines auf Ignoranz. Und die ist gegeben, wenn man einseitig das nachbetet, was einem vorgegeben wird, und es nicht mehr selbst kritisch hinterfragt. Es kann nicht erstaunen, dass viele Intellektuelle die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht oder nur wenig durchschauen. Es erstaunt jedoch, wie viele dennoch eine feste Meinung dazu haben.
Der französische Philosoph Régis Debray hat analysiert, wie der zur Zeit gängige Typus des Intellektuellen den Mainstream der öffentlichen Debatte nicht mehr kritisch hinterfragt, sondern ihn im Gegenteil noch unterstützt: Seine Meinung wechselt je nach politischer Lage so, wie er es braucht, um seinen Marktwert in der Öffentlichkeit zu erhalten. Solche Medienintellektuelle gibt es nicht nur in Frankreich. Dort wie hier wäre es wichtig, dass es wieder Menschen gibt, die den Mut haben, die Dinge gegen den Strich zu bürsten.
Am verheerendsten jedoch wirkt sich die gut 20-jährige Vorherrschaft der neolibarelen Reformpropaganda auf die Parteipolitik aus. Nennenswerter Widerstand dagegen existiert im Parteispektrum kaum noch. Im Gegenteil: Die Neoliberalen bestimmen nicht nur die Programmdebatte bei FDP und Union, sondern auch die Regierungspolitik von SPD und Bündnisgrünen.
Mit der Agenda 2010 wie zuvor mit dem vermeintlichen Sparkurs von Hans Eichel, den Steuersenkungen zu Gunsten der großen Konzerne und der Öffnung der der Rentenversicherung hin zur Privatvorsorge, ist die rot-grüne Koalition zum Rammbock der neoliberalen Reformen geworden. Bis auf wenige Einzelne sind SPD und Grüne den gängigen Denkfehlern und Vorurteilen, den Lügen und Legenden der Reformtheoretiker erlegen. Mit der Strategie der Anpassung hat sich die SPD-Führung der herrschenden Meinung und jenen, die sie bestimmen, ausgeliefert. Ihre Nähe zu wirtschaftsliberalen Beratern wie Roland Berger oder Jürgen Kluge von McKinsey, die Orientierung Gerhard Schröders an einigen Managern, die Nähe vieler Sozialdemokraten und Bündnisgrünen zur Bertelsmann-Stiftung und die Mitwirkung bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft prägen die innere Entwicklung in diesen Parteien. Die Nähe färbt ab.
Es macht diesen Herrschaften keine Mühe, das Grundgesetz zur Disposition zu stellen. Wer jedoch- wie Joseph Ackermann und all die anderen- den Systemwechsel will, wer Abschied nehmen will von wichtigen Strukturen und Eigenschaften des Sozialstaats und der Tarifautonomie, verlässt die Grundlage unserer Verfassung.
Reformlüge und Reformpleite drohen derweil zum Ruin der SPD zu erden. SPD und Grüne haben den Konservativen mit Ihrer Politik den Weg bereitet, nach der Machtübernahme spätestens im Jahre 2006 ungestört und ohne Widerstand von politischer Seite die Revolution von oben durchzuführen und den Abbau sozialstaatlicher Regelungen zu realisieren. Mit bösen Folgen für unser Land.
Mit freundlichen Grüssen an Gerhard Schöder und Joschka Fischer aus Hamburg-Rahlstedt!
Tierärztliches
Institut für angewandte Kleintiermedizin
Tierärztliche
Gemeinschaft für ambulante und klinische Therapien
Dirk
Schrader I dr. Steven-F. Schrader
I dr. Ifat Meshulam
I Rudolf-Philipp Schrader
I dr. Itamar Tsur
-Tierärzte-