Nicht Eroberung, sondern Zerstörung als Ziel
Von Michel Chossudovski
In der schwersten Krise der Neuzeit befindet sich die Welt an einem Scheideweg. Die USA haben sich in ein militärisches Abenteuer begeben, einen „langen Krieg“, der die Zukunft der Menschheit bedroht. Dieser „grenzenlose Krieg“ findet inmitten dieser Krise statt, die zur Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung führt. Das Pentagon hat seine globale Militärstrategie auf die Eroberung der Welt ausgerichtet. In mehreren Regionen sind S-NATO-Streitkräfte gleichzeitig im Einsatz. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die US- Militärdoktrin durch das Konzept des „langen Krieges“ geprägt. Teil der globalen ökonomischen Agenda ist die weltweite Militarisierung.
Sie wird vom US-Militär betrieben: Der gesamte Planet wird unter geographisch geordnete Kampfkommandos aufgeteilt, die unter der Kontrolle des Pentagon stehen. Das Hauptquartier des US Strategic Command (USSTRATCOM) in Omaha, Nebraska, spielt eine zentrale Rolle bei der Koordinierung der Militäroperationen. Laut General Wesley Clark, dem früheren NATO-Oberkommandierenden, sieht das Pentagon eine Abfolge von Kriegen vor: „Der Plan einer fünfjährigen Kampagne umfaßt insgesamt sieben Länder, angefangen mit Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Iran, Somalia und Sudan. (Democracy Now, 2007)
Der anhaltende Krieg gegen Syrien ist Ausgangspunkt für einen Krieg gegen Iran, der zu einem Prozeß militärischer Eskalation führen könnte. Auch Rußland und China, beide Verbündete von Syrien und Iran, befinden sich im Visier der USA-NATO. Nach dem Kalten Krieg sind Nuklearwaffen nicht mehr länger Waffen für den äußersten Notfall, dienen nicht mehr der Abschreckung, ihr Einsatz wird auch im Rahmen konventioneller Kriege erwogen. Der Weg nach Teheran führt über Damaskus. Ein von ASA-NATO beförderter Krieg gegen Iran würde im ersten Schritt eine Destabilisierungskampagne („Regimewechsel“) vorsehen, einschließlich verdeckter Geheimdienstoperationen zur Unterstützung von antisyrischen Rebellen, die mit Al-Quaida verbunden sind.
Die Geopolitik zugunsten des Zugriffs auf Öl und der Ölpipelines ist eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung dieser militärischen Operationen. In der Großregion Naher Osten/Zentralasien befinden sich mehr als 60 Prozent der weltweiten Ölreserven. Gegenwärtig gibt es fünf Kriegsschauplätze in diesem Gebiet: Afghanistan/Pakistan, Irak, Palästina und Libyen. Ein kompromißloser Militärangriff auf Syrien würde zu einer Integration dieser voneinander noch getrennten Kriege führen und sich letzten Endes zu einem nahöstlichen-zentralasiatischen Krieg ausweiten, der die Regionen von Nordafrika und dem Mittelmeer bis nach Afghanistan, Pakistan und Chinas Westgrenze erfassen würde.
Das Projekt der 2000er Jahre für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert (Project New American Century/PNAC), zuerst formuliert von den Neokonservativen, enthielt die Prognose, es werde ein „grenzenloser Krieg geführt“ werden. Die erklärten Ziele für das PNAC lauteten zum einen , in verschiedenen Regionen der Welt „auf mehreren Hauptkriegsschauplätzen gleichzeitig zu kämpfen und eindeutig zu siegen“, und zum anderen die sogenannten Polizeipflichten zu erfüllen, „verbunden damit, das Sicherheitsumfeld in wichtigen Regionen zu gestalten“. Die Ausübung globaler Polizeifunktionen schließe einen weltweiten Prozeß militärischer Überwachung und Interventionen ein, einschließlich verdeckter Operationen und „Regimewechsel“, die in Übereinstimmung mit einem „humanitären Mandat“ vollzogen werden. Militäraktionen werden sowohl gleichzeitig – wie im PNAC dargelegt – als auch aufeinanderfolgend in verschiedenen Regionen der Welt durchgeführt.
Während der Präsidentschaft Barrack Obamas sind in erster Linie Militäraktionen unter dem Banner „Responsibility to Protect“ („Schutzverantwortung“) an der Tagesordnung. Dabei erhält die Medienpropaganda die Fiktion der humanitären Kriegsführung aufrecht.
Was seit 1945 euphemistisch als „Nachkriegsära“ bezeichnet wird, ist tatsächlich eine Periode anhaltender Kriege und Militarisierung. Das muss man sich klarmachen, wenn man sich mit den aktuell von den USA geführten Kriegen auseinandersetzt. Wenn man des Ersten Weltkriegs gedenkt, ist es wichtig zu begreifen, daß es eine Kontinuität der US-Militärstrategien gibt, die bis zur Phase zwischen den beiden Weltkriegen zurückreicht.
Die USA gingen aus dem Zweiten Weltkrieg unversehrt hervor. Die meisten Schlachten wurden von ihren Verbündeten geschlagen, eine Strategie, die die USA in den Konflikten nach 1945 konsequent weiterverfolgten. Darüber hinaus zeigt eine sorgfältige Untersuchung des Zweiten Weltkriegs, daß US-Konzerne – beispielsweise Rockefellers Standard Oil – sowohl die Verbündeten als auch Feinde wie Nazi-Deutschland sogar noch über den Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 hinaus unterstützten. Dabei war das strategische Ziel, beide Seiten zu schwächen und vor allem die konkurrierenden imperialistischen Mächte zu destabilisieren.
Da die USA als Siegernation aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgingen, bestimmten sie in der Nachkriegszeit auch die politischen und ökonomischen Konturen Westeuropas. US-Streitkräfte wurden in mehreren europäischen Ländern stationiert. Sowohl ihre Gegner im Zweiten Weltkrieg – Deutschland, Japan, Italien – als auch ihre Verbündeten – Frankreich, Großbritannien, Belgien, die Niederlande – waren geschwächt. Mit Ausnahme Großbritanniens, das Teil der anglo-amerikanischen Achse ist, sind diese Staaten ehemalige Kolonialmächte, die ihre Hegemonie an die USA abtreten mußten. Die bis zum Zweiten Weltkrieg unter ihrem Einfluß stehenden Kolonialgebiete – unter anderem Indonesien, Kongo, Indochina und Ruanda – wurden im Verlauf eines halben Jahrhunderts schrittweise in die US-Einflußsphäre integriert. In Afrika ist die Verdrängung Frankreichs noch im Gange. Die USA übernehmen gegenwärtig die Kontrolle über frühere Kolonien in Zentralafrika. Washington spielt auch eine entscheidende Rolle im Maghreb.
Eine komplexe Form des „inneren Kolonialismus“ ist auch in der Europäischen Union (EU) im Entstehen begriffen. US-Finanzinstitutionen und Wirtschaftskonglomerate üben zusammen mit ihren europäischen Partnern bestimmenden Einfluß bei der Festlegung der Währungs-, Handels- und Investitionspolitik aus. Die Politik wird den dominierenden finanziellen Interessen untergeordnet. In den geheimen Verhandlungen über Handelsabkommen wie TTIP (Freihandelsabkommen zwischen USA und EU) und CETA (Freihandelsabkommen zwischen Kanada und EU) entwickelt sich eine ökonomische und politische Integration von EU und Nordamerika. Diese Abkommen erzeugen zusammen mit dem Trans-Pacific-Partnership (TPP) die Bildung von Blöcken bei der Errichtung weltweiter wirtschaftlicher Dominanz.
Heute sind Präsidentschaftswahlen in der EU, darunter in Deutschland, Italien und Frankreich, zunehmend das Ziel verdeckter politischer Einmischung nach dem Vorbild der „bunten Revolutionen“, das heißt von den USA beförderter Regimewechsel. Die fundamentale Frage ist, inwieweit die politischen Führer Europas dabei Erfüllungsgehilfen sind.
Zum historischen Hintergrund: Die frühe Nuklearwaffendoktrin während des „Manhattan Projects“, dem Bau der US-Atombombe, basierte nicht auf dem Gedanken der „Abschreckung“ und des „Gleichgewichts des Schreckens“ wie die Doktrin während des Kalten Krieges. Die heutige Nukleardoktrin basiert auf der Vorstellung, daß Nuklearwaffen auch auf konventionellen Kriegsschauplätzen eingesetzt werden können und daß sie „für Zivilisten harmlos“ sind. Das strategische Ziel bei konventionellen Angriffen wie auch bei solchen mit Nuklearwaffen war, „Ereignisse mit zahllose Opfern“ herbeizuführen.
Diese Strategie, die zuerst während des Zweiten Weltkriegs gegen Japan und Deutschland zur Anwendung kam, sollte als Instrument der Eroberung eine ganze Nation terrorisieren. In Japan ging es nicht in erster Linie um militärische Ziele: Unter dem offiziellen Vorwand, daß Hiroshima „ein Militärstützpunkt“ sei und Zivilisten nicht das Ziel seien, diente die Formel von den „Kollateralschäden“ als Rechtfertigung für das massenhafte Töten von Zivilisten.
Niemand aber in den höheren Rängen der US-Regierung und des Militärs glaubte ernsthaft, daß Hiroshima eine Militärbasis war. Truman belog sich selbst und die US-amerikanische Öffentlichkeit. Bis heute wird der Einsatz von Atomwaffen gegen Japan als notwendiger Preis dafür gerechtfertigt, den Krieg zu beenden und damit letzten Endes „Leben zu retten“. Vor Hiroshima setzten die USA in Japan flächendeckend Brandbomben ein, was zu sehr vielen Zivilopfern führte. Auch in Deutschland bombardierten und zerstörten die Streitkräfte der Alliierten in der letzten Kriegsphase flächendeckend Städte und zielte damit eher auf die Zivilbevölkerung als auf Militäranlagen.
Das Nuklearwaffenarsenal der USA ist seitdem beträchtlich angewachsen. IN der Ära nach dem Kalten Krieg bestätigt ArmsControl.org (April 2013), daß die Vereinigten Staaten „5113 nukleare Sprengköpfe besitzen, einschließlich taktischer, strategischer und nichteinsatzbereiter Waffen“. Laut des letzten offiziellen „New START“-Vertrages halten die USA von den 5113 Nuklearwaffen „1654 strategische Sprengköpfe auf 792 ICBM, SLBM und strategischen Bombern einsatzbereit“. Nach Angaben der Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler besitzen die USA darüber hinaus 500 taktische Atomsprengköpfe, von denen viele in Staaten stationiert sind, die selbst nicht über Nuklearwaffen verfügen, wie Deutschland, Italien, Türkei, Belgien, die Niederlande.
Der Begriff „Ereignisse, die zu zahllosen Opfern führen“, herrscht in den US-Militärstrategien bis zum heutigen Tag vor. Wie im Fall von Syrien wird die Verantwortung für zivile Kriegsopfer, die der Aggressor verursacht hat, ausnahmslos den Opfern selbst zugeschoben.
Die vom Koreakrieg 1950 bis 1953 bis in die Gegenwart reichende Periode ist gekennzeichnet von einer Abfolge von US-geführten Kriegen: Korea, Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Irak und Jugoslawien. Hinzu kommen verschiedene Formen militärischer Interventionen einschließlich „Konflikten niederer Intensität“, von Bürgerkriegen wie in Kongo, Angola, Somalia, Äthiopien, Ruanda und Sudan, von Militärputschen, US-unterstützten Todesschwadronen und Massakern wie in Chile, Guatemala, Honduras, Argentinien, Indonesien, Thailand und den Philippinen, von verdeckten Kriegen unter der Leitung von US-Geheimdiensten, um USA-NATO-gestützten Militärinterventionen wie in Libyen – dort unter Einsatz von Al-Quaida-Kämpfern als von westlichen Geheimdiensten geförderten Fußtruppen, ähnlich wie im verdeckten Aggressionskrieg gegen Syrien.
Es ging bei all diesen Kriegen nicht darum, sie zu gewinnen, sondern im wesentlichen darum, diese Länder einerseits als Nationalstaaten zu destabilisieren und andererseits eine Marionettenregierung einzusetzen, die im Interesse des Westens handelt. Nimmt man diese mannigfaltigen Operationen zusammen, haben die USA seit 1945 etwa 44 Länder in verschiedenen Regionen der „dritten Welt“ direkt oder indirekt angegriffen, einige von ihnen mehrmals.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs formulierte die Truman-Regierung in den späten 1940er Jahren das umfassendere Ziel globaler militärischer Dominanz, das war Ausdruck eines imperialen Projekts und der Beginn des Kalten Krieges. Das Vorhaben wurde durch US-Präsident George Bush senior in seiner historischen Rede vor einer gemeinsamen Sitzung von US-Kongress und Senat aufgenommen, in der er eine „Neue Weltordnung“ verkündete, die nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung des Sowjetblocks entstehen würde. Die ideologische Untermauerung dieses Plans findet sich in dem, was als „Truman-Doktrin“ bekannt ist, zuerst formuliert 1948 vom außenpolitischen Berater George F. Kennan in einer Note des US-Außenministeriums.
Die politische Agenda der Neokonservativen unter der Regierung von George W. Bush sollte als Kulminationspunkt eines außenpolitischen „Nachkriegs“-Rahmenwerks gesehen werden, das die Basis für die Planung der gegenwärtigen Kriege und Grausamkeiten bietet einschließlich der Einrichtung von Folterkammern, Konzentrationslagern und des umfangreichen Einsatzes verbotener Waffen gegen Zivilisten. Diese Entwicklung geht unter der Obama-Regierung zunehmend einher mit dem extralegalen Töten von Zivilisten im Rahmen der Antiterrorismus-Gesetzgebung, also dem umfangreichen Einsatz von Drohnen gegen Zivilisten, sowie den von der Allianz von USA, NATO und Israel befohlenen Massakern an syrischen Zivilisten. Von Korea, Vietnam und Afghanistan bis zu den CIA-gestützten Militärputschen in Lateinamerika und Südostasien war es das Ziel, die Hegemonie des US-Militärs und globale ökonomische Vorherrschaft abzusichern, wie sie ursprünglich in der „Truman-Doktrin“ formuliert war. Ungeachtet bedeutender politischer Differenzen haben aufeinanderfolgende Regierungen der Demokratischen und der Republikanischen Partei von Harry S. Truman bis zu Barack Obama diese Zielsetzungen der US-Militärpolitik gleichermaßen verfolgt. Die gesamte „Nachkriegsperiode“ ist gekennzeichnet von umfangreichen Kriegsverbrechen, die für mehr als 20 Millionen Menschen den Tod bedeuteten. In dieser Zahl sind noch nicht diejenigen enthalten, die durch Armut, Hunger und Krankheit umgekommen sind.
Wir haben es mit einer verbrecherischen US-Außenpolitik zu tun. Die Medienpropaganda hat dazu gedient, sie zu verschleiern. Die US-Interventionen werden ausnahmslos als humanitäres Handeln dargestellt. Inzwischen unterstützen selbst sogenannte progressive Linke und „Antikriegsaktivisten“, die von Unternehmensstiftungen subventioniert werden, diese Politik auf der Basis eigener humanitärer Begründungen.
Es geht nicht darum, einem oder mehreren Köpfen der Staatsführung verbrecherisches Handeln vorzuwerfen. Es geht vielmehr um das gesamte staatliche System, seine verschiedenen zivilen und militärischen Institutionen genauso wie um die mächtigen Wirtschaftsinteressen, die hinter der US-Außenpolitik stehen, die Denkfabriken Washingtons und die Kreditinstitute, die die Militärmaschinerie finanzieren.
Kriegsverbrechen sind das Ergebnis der kriminellen Entwicklung des US-Staatsapparates und seiner Außenpolitik. Wir haben es konkret mit einzelnen Kriegsverbrechern zu tun, aber das Ganze ist ein Prozeß, in dem Entscheidungsträger auf verschiedenen Ebenen handeln, die über ein Mandat zum Begehen von Kriegsverbrechen verfügen und dabei geltenden Richtlinien und Verfahren folgen. Was die von den Regierungen Bush und Obama verübten Verbrechen und Greueln von früheren unterscheidet, ist, daß die Konzentrationslager, gezielte Morde und die Folterkammern heute offen als legitime Formen der Intervention angesehen werden, die den „weltweiten Krieg gegen den Terrorismus“ ermöglichen und die Ausbreitung der westlichen Demokratie unterstützen.
Diese Strategie, Al-Qaida-Kämpfer als Fußtruppen der westlichen Militärallianz einzusetzen, ist von zentraler Bedeutung. Sie war charakteristisch für die USA-NATO-Interventionen in Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien. US-gestützte Terrorbrigaden der Al-Qaida wurden auch in Mali, Niger, Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik, in Somalia und Jemen eingesetzt.
Als Teil des „weltweiten Krieges gegen den Terrorismus“ hatte das Pentagon seit 2005 den Plan auf dem Reißbrett, einen Krieg mit nuklearen Sprengköpfen gegen Iran vom Zaun zu brechen, weil sich dort bekanntermaßen die weltweit drittgrößten Ölreserven nach den in Saudi-Arabien und Irak befinden. Diese Planungen sind Teil einer weiter gefaßten militärischen Zielsetzung für Region Naher Osten und Zentralasien.
Der Krieg gegen Iran ist Teil der Schlacht ums Öl. Die öffentliche Meinung ist sich weitgehend im unklaren über die ernsten Auswirkungen dieser Kriegspläne, die den Einsatz von Atomwaffen vorsehen, ironischerweise als Vergeltungsschlag für ein nicht existierendes iranisches Atomwaffenprogramm. Darüber hinaus kombiniert die Militärtechnologie des 21. Jahrhunderts eine Reihe hochentwickelter Waffensysteme, deren Zerstörungskraft den atomaren Massenmord von Hiroshima und Nagasaki in den Schatten stellen würde. Wir sollten nicht vergessen, daß die USA das einzige Land sind, das je Atomwaffen gegen Zivilisten eingesetzt hat. Würde ein solcher Krieg entfacht, dann würde die gesamte nahöstlich-zentralasiatische Region in einer Feuersbrunst versinken. Die Menschheit würde in den Dritten Weltkrieg gestürzt. Diese Gefahr macht heute keine Schlagzeilen. Die Mainstreammedien schließen die tiefer gehende Analyse und die Debatten über die Auswirkungen dieser Kriegspläne aus ihrer Berichterstattung aus.
Die Antikriegsbewegung einiger westlicher Länder befindet sich in der Krise. Sie wird von selbsterklärten „Progressiven“ dominiert. Einige Kriege der USA werden geradeheraus verurteilt, während andere als „humanitäre Interventionen“ gepriesen werden. Ein wesentlicher Teil der US-Antikriegsbewegung verurteilt zwar den Krieg, unterstützt aber die Kampagne gegen den „internationalen Terrorismus“, der das Rückgrat der US-Militärdoktrin bildet.
Die Geschichte zeigt, daß fortschrittliche soziale Bewegungen, einschließlich des Weltsozialforums, infiltriert wurden, ihre Anführer werden kooptiert und manipuliert, indem Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gewerkschaften und politische Parteien durch Unternehmen finanziell gefördert werden. Letzten Endes ist der Zweck der „Finanzierung von Dissens“, Protestbewegungen davon abzuhalten, die Legitimität der kapitalistischen Eliten in Frage zu stellen. Die Theorie vom „gerechten Krieg“ dient dazu, den wahren Charakter der US-Außenpolitik zu vertuschen und die Invasoren mit einem menschlichen Antlitz auszustatten. Weite Teile der „fortschrittlichen“ Meinung in den USA und Westeuropa unterstützen das „humanitäre“ Mandat „R2P“ der NATO (R2P = Responsibility to Protect/Schutzverantwortung) insoweit, daß die Kriegspläne im Namen der Zivilgesellschaft abgenickt werden. Prominente „fortschrittliche“ Autoren haben ebenso wie einige unabhängige Medien den Regimewechsel und die „humanitäre“ Interventionen der NATO in Libyen unterstützt. In gleicher Weise haben dieselben selbsternannten „Progressiven“ zur Unterstützung der von den USA-NATO gesponserten Opposition in Syrien demonstriert.
Wir sollten uns keine Illusionen machen: Dieser pseudo-„fortschrittliche“ Diskurs ist ein Instrument der Propaganda. Einige prominente „linke“ Intellektuelle – die vorgeben, gegen den US-Imperialismus zu sein – haben die Einrichtung von „Flugverbotszonen“ und „humanitäre Interventionen“ gegen souveräne Staaten unterstützt.
„Progressive“ werden von Elitestiftungen wie Ford, Rockefeller etc. finanziert und kooptiert. Die wirtschaftlichen Eliten trachten danach, die Volksbewegungen in ein unüberschaubares „Do-it-yourself“-Mosaik aufzusplittern. Der Kampf gegen Krieg und Globalisierung steht bei den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten nicht mehr an erster Stelle. Der heutige Aktivismus neigt dazu, sich im Klein-Klein zu verzetteln. Es gibt keine geschlossene Antiglobalisierungs- und Antikriegsbewegung mehr. Die Wirtschaftskrise wird nicht mit den von den USA geführten Kriegen in Zusammenhang gebracht. Gesellschaftlicher Dissens ist dem Schubladendenken verhaftet. Voneinander getrennte „themenorientierte“ Protestbewegungen – z.B. für den Umweltschutz, gegen die Globalisierung, für den Frieden, Frauenrechte, gegen die Forcierung des Klimawandels – werden im Gegensatz zu einer zusammenhängenden Massenbewegung gefördert und großzügig finanziert. Dieses Mosaik nahm bereits in den G-7-Gegengipfeln und den People´s Summits der 1990er Jahre überhand.
Dier imperiale Weltordnung schafft sich so ihre eigene Opposition. Die Occupy-Bewegung in den USA ist infiltriert und manipuliert. Von der Wall Street finanzierte „Farbenrevolutionen“ finden in mehreren Ländern statt, z.B. in Ägypten, der Ukraine, Georgien und Thailand. Durch ihre Frontorganisationen hat die CIA Massenbewegungen in verschiedenen Teilen der Welt infiltriert. Ein bunter Reigen von alternativen Medien stellt ihrerseits die „Farbenrevolutionen“ so dar, als bewirke sie ein „großes Erwachen“, quasi eine Massenbewegung gegen die Grundpfeiler der kapitalistischen Weltordnung.
In zahlreichen Organisationen einschließlich der Gewerkschaftsbewegung wird die Basis von ihren Anführern betrogen. Die Unternehmensstiftungen lassen Geld auf sie herniederrieseln, dessen Vergabe an Auflagen für die Basisaktivitäten gebunden sind. Das nennt man „Fabrizieren von Dissens“. Viele dieser NGO-Verantwortlichen sind engagierte und wohlgesinnte Individuen, die sich aber in einem Bezugssystem bewegen, das dem Dissens Grenzen setzt. Die Anführer dieser Bewegungen sind oft kooptiert, ohne selbst zu realisieren, daß die finanzielle Förderung durch Unternehmensstiftungen ihnen die Hände bindet.
In der aktuellen Geschichte – mit Ausnahme des Irak – waren besonders von den „Progressiven“ der sogenannten westlichen Linken nur Lippenbekenntnisse zu den militärischen USA-NATO-Interventionen in Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien zu hören. Die „Progressiven“ tragen auch die offizielle 9/11-Version der Ereignisse mit.
Die Argumentation im Fall Syrien sah freilich etwas anders aus. Die „progressiven“ und „Antikriegs“-Organisationen des Mainstream unterstützten die sogenannten oppositionellen Kräfte, ohne sich klarzumachen, daß letztere im wesentlichen Terroristen, die mit Al-Qaida verbunden sind und die von USA-NATO und ihren Verbündeten Israel, Türkei, Katar und Saudi-Arabien rekrutiert, trainiert und finanziert werden. Diese Antikriegsgruppen, die zuvor schon die NATO-Intervention in Libyen unterstützt hatten, beschuldigen die syrische Regierung, für die von den USA unterstützten Al-Qaida-Rebellen begangenen Gräueltaten verantwortlich zu sein.
Es ist jetzt erforderlich, wieder eine Massenbewegung aufzubauen. Und dieser Prozeß darf von selbsternannten „Progressiven“ weder geführt noch manipuliert werden. Sowohl die soziale Basis als auch die Organisationsstruktur der Antikriegsbewegung müssen verändert werden. Der „lange Krieg“ der USA ist ein imperialistisches Projekt, das die finanziellen Strukturen und institutionellen Grundlagen der kapitalistischen Weltordnung aufrechterhalten soll. Hinter den militärischen Zielsetzungen stehen mächtige Unternehmensinteressen, unterstützt von einem gewaltigen Propagandaapparat.
Das Abhalten von Massendemonstrationen und Antikriegsprotesten ist nicht genug. Was wir brauchen, ist die Entwicklung eines breiten und gut organisierten Antikriegsnetzwerks der Basisbewegungen national und international, das die Machtstrukturen und Autoritäten sowie das innere Gefüge der kapitalistischen Weltordnung angreift. Die Leute müssen nicht nur gegen die militärische Agenda mobilisieren – der Kampf gilt auch der Staatsgewalt und ihren Vertretern.
Eine wirklich effektive Antikriegsbewegung muß die Propaganda vom „Krieg gegen den Terrorismus“ aufbrechen und die Wahrheit über 9/11 dagegensetzen. Wollen wir in Sachen Krieg und Globalisierung eine Trendwende erreichen, brauchen wir eine massive Kampagne zum Aufbau von Netzwerken und müssen nach draußen gehen, um die Leute national und international aufzuklären: Über den Charakter des imperialen Projekts, seine militärischen Dimensionen, ganz zu schweigen von den Gefahren eines von den USA angezettelten Atomkriegs. Das muß in den Wohngebieten, am Arbeitsplatz, in Kirchengemeinden, Schulen, Universitäten und Stadtgemeinden passieren.
Michel Chossudovsky (geb. 1943) ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Ottawa. Er ist Herausgeber der mehrsprachigen Website www.globalresearch.ca sowie Gründer und Direktor des Centre for Research on Globalization.