zurück zur Hauptseite


Geruch der Verwesung

Marc Benecke: Was hat ein Minister mit Liegezeiten von Leichen zu tun? Meistens nichts. Manchmal alles.


Als ich meine Mitarbeiterinnen fragte, welches Verbrechen sie in diesem Monat für das ätzendste hielten, waren sie sich blitzschnell einig: die versiebte Doktorarbeit des Ministers. Das überraschte mich, allerdings nur kurz. Bei uns geht es normalerweise um Spuren von Pädophilen, Mördern, unschuldig verurteilten oder zumindest bekloppten Schlägern. Was kümmert uns da, ob irgendein gestriegelter Mensch sich oder andere um einen Titel betrügt?

Der Grund ist, dass die Auswertungen der Hinterlassenschaften von Tätern von uns eine kauzige Geduld und zwanghafte Sorgfalt erfordert, die bisher jede Praktikantin und jeden Praktikanten in die Flucht geschlagen haben. Diese Geduld und die dazugehörigen Labor-Techniken müssen wir uns sehr hart erarbeiten.

Wenn beispielsweise das einzige Haar, das am Tatort gefunden wurde, unter dem Vergrößerungsgerät liegt, atmet niemand mehr. Nicht weil der Fall so spannend wäre, sondern weil das Beweismittel sonst für immer davonfliegt. Wenn wir Wattestäbchen kaufen, um damit DNA-Spuren abzureiben, müssen wir vorher zigmal testen, ob nicht eine Fabrik-Mitarbeiterin beim Nachstopfen der Packung mit ihren Hautschuppen eine Phantomspur legt. Und wenn wir die Liegezeiten von Leichen anhand von Insekten bestimmen wollen, müssen wir auch schon mal im alten Kinderzimmer zu Hause tote Schweine verwesen lassen. Nur so wissen wir, ob unsere Berechnung auch auf den richtigen Annahmen fußt.

Doch das ist nicht alles. Unsere Arbeit, die teils mitentscheidet, ob ein Mensch hingerichtet wird oder nicht, ist lächerlich bis gar nicht bezahlt. Eine Mitarbeiterin hat vor kurzem mit Bestnote und nach harter Arbeit promoviert und dabei eine völlig neue Berechnungsart für Leichenliegezeiten entwickelt und in einer guten, internationalen Fachzeitschrift unter den überkritischen Augen der Referees veröffentlicht. Die andere steckt noch bis zu den Armen in verfaultem Gewebe und lebt in einer Wohnung, die bereits überfüllt ist, wenn zwei Personen sich darin bewegen wollten. Ihr Keller ist unbenutzbar, weil die Abflüsse des Hauses im Winter platzten und ihren fäkalen Inhalt in das von Spinnen und Schimmel besiedelte Erdloch leckten. Wirklich wahr. Ganz ohne Tränendrüse.

So kommt es, dass wir es nicht nur widerlich finden, sondern auch für verbrecherisch halten, wenn ein gut gelauntes Blaublut nonchalant eine von wem auch immer zusammengeschusterte Doktorarbeit samt Titel einfach zurückgeben kann, als wäre es ein hässlicher Schlafanzug, den ihm Oma unter den Weihnachtsbaum gelegt hat und der nun nach einer höflichen Ruhepause beseitigt wird. Noch schlimmer ist, dass der überforderte Minister das alles nur tat, weil er erstens wie ein dummer Eierdieb erwischt wurde und zweitens finanziell so unabhängig ist, dass er seine WählerInnen dabei noch anlachen kann.

Wenn sich jeder unserer Klienten damit herausreden könnte, dass er überlastet war, als er die Tat beging, wo – um in den Worten des ertappten Galans zu bleiben – ja, wo kämen wir denn da hin? Sehr einfach: in Therapie. Schon allein deshalb, damit bei der nächsten Überforderung nicht wieder ein Bubenstreich das ganze Land der Lächerlichkeit und uns dem Wunsch preisgibt, unseren Job künftig einfach bezahlten Faxenmachern zu überlassen.

Marc Benecke arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Zu seinen Klienten zählen neben der Polizei auch Serienmörder, Anwälte, Eltern von Opfern.

FR 25.2.2011

zurück zur Hauptseite