Das Geschäft mit der Grippe
Angela Spelsberg
Ende Oktober starten die lange geplanten Impfungen gegen A/H1N1. Dabei stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest: Die erwartete Pandemie mit hoher Morbidität und Mortalität ist ausgeblieben. So stieg die Todesrate von August bis Oktober 2009 weltweit von 1462 auf 4735 Fälle, wovon 3406 (1274) Fälle auf den amerikanischen Kontinent entfielen, während die Todeszahl in Europa sich auf 207 Personen belief (nach 53 im August). Damit sind bisher weniger als 0.2 Prozent der Erkrankten weltweit verstorben. In Deutschland wurden bis zum 16. Oktober sogar nur zwei Todesfälle gemeldet, die bei Personen mit schweren Grunderkrankungen auftraten – statt der nach den etwa 23 000 Infektionsfällen erwarteten Fallzahl von 23 bis zu 138 Todesopfern (bei angenommenen Mortalitätsraten zwischen 0,1 Prozent und 0,6 Prozent.
Trotz dieser geringen Werte löst die „Schweinegrippe“ erstaunliche Ängste aus, seit im April 2009 die ersten Fälle bei Mexikanern und USA-Amerikanern bekannt wurden. Durch Reiseverkehr waren in den folgenden Wochen auch andere Länder betroffen. „Jetzt haben wir eine Pandemie der Schweinegrippe“ erklärte bereits am 1. Mai in einem Radiointerview Sir Professor Roy Anderson, britischer Regierungsberater des Imperial College London, Mitglied des Scientific Advisory Council for Emergencies (SAGE) und gleichzeitig hoch bezahltes Vorstandsmitglied des Impfstoff-Herstellers Glaxo-Smith-Kline (GSK) – speziell tätig im Kampf gegen die Schweinegrippe.
Worum handelt es sich bei dem “Neue Influenza A/H1N1-Virus“ überhaupt? Das anfänglich „Schweinegrippe“ genannte Virus ist eine neu aufgetretene Virus-Variante (Antigenshift) mit Anteilen aus Influenza A/H1N1-Viren, die in Schweinen, Vögeln und Menschenzirkulieren. Charakteristisch für diese Influenza ist eine schnelle Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Der Krankheitsverlauf ist allerdings mit nur drei bis vier Tagen kürzer und die Symptomatik milder als bei der saisonalen Grippe. Überdies zirkulieren seit Jahrzehnten weltweit Varianten von A/H1N1-Viren, die sich nur gering vom neuen „Influenza A/H1N1“-Typ unterscheiden. Deswegen enthalten die „saisonalen“ Grippeimpfstoffe seit Jahren auch immer Varianten von A/H1N1.
Faktisch handelt es sich damit also gerade nicht um ein „neues Virus“. Dafür spricht auch die weltweit sehr niedrige Infektionsrate bei Personen über 59 Jahren. Wahrscheinlich besteht bei diesem üblicherweise durch Influenza besonders gefährdeten Personenkreis eine Immunität durch Vorimpfungen.
Dennoch wurde Anfang Juni die „Neue Influenza“ von der WHO auf die höchste Alarmstufe 6 hochgestuft. Und trotz der geringen Mortalität trat auch in Deutschland der 2005 entwickelte Pandemieplan in Kraft – mit Vorschriften für Schutzmaßnahmen, Bevorratung und Herstellung von Medikamenten und neuen Impfstoffen. Am 12. Oktober veröffentlichte die Ständige Impfkommission (STIKO) im „Epidemiologischen Bulletin“ (41/2009 d.Red.) ihre Begründung und Empfehlungen zur Impfung. Als Impfziel nennt die STIKO die Reduktion von Morbidität und Mortalität durch die Influenza. Allerdings lässt sie völlig offen, wie sie dies erreichen will – angesichts des bislang überhaupt nicht messbaren Anstiegs von Morbidität und Mortalität.
In den USA wurden Ende September vier nicht adjuvantierte (also nicht mit Wirkverstärkern versehene) Impfstoffe gegen Schweinegrippe zugelassen, deren Herstellung den üblichen saisonalen Impfstoffen entspricht. Die STIKO hingegen empfiehlt die Verwendung adjuvantierter Impfstoffe, die in den USA nicht zugelassen sind. Diese neue Impfstrategie wurde von vielen Fachleuten bereits im Vorfeld der Einführung wegen der mangelnden Sicherheit und Erprobung dieser Zubereitungen kritisiert. Erhebliche Zweifel an den neuen Impfstoffen hegt offensichtlich auch die Bundeswehr: So wurde bekannt, dass die verantwortlichen Bundeswehrstellen einen nicht adjuvantierten Impfstoff für ihre Soldaten bestellt haben – weshalb der Hallenser Mikrobiologe Alexander Kekulé bereits von einem „Impf-GAU“ spricht.
Damit stellt sich die Frage, wann „pandemische“ Influenza-Impfstoffe überhaupt zum Einsatz kommen müssen. Die nationalen Pandemiepläne sehen bei Pandemiestufe 6 Massenimpfungen mit „Pandemie-Impfstoffen“ vor, die nach der den ersten Wirksamkeitsprüfungen eine sehr verkürzte, sogenannte „Mock-up“-Zulassung erhalten. Dieses Zulassungsinstrument war nach dem Expertenrat für Europa nur mit Blick auf die Gefahren einer Ausbreitung der bei über 60 Prozent der Erkrankten tödlich verlaufenden asiatischen Vogelgrippe (Influenza A/H5N1) geschaffen worden. Als 2003 erste Fälle bei Menschen auftraten, setzte eine weltweite Panikwelle ein. Obwohl bei allen der 130 Fälle, die bis Ende 2005 bekannt wurden, immer ein direkter Kontakt zu Vögeln („Zoonose“) und keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung nachgewiesen werden konnte, warnten die WHO und nationale Gesundheitsbehörden von einer möglichen Pandemie durch mutierte HN1-Viren mit hoher Gefährlichkeit für Menschen. Da führende Impfstoffhersteller (beispielsweise Novartis, GSK) technische Entwicklungen und Patente für eine schnellere Massenproduktion von Impfviren (in Zellkulturen und gentechnischen Verfahren) entwickelt hatten, wurden nun auch die Zulassungsbehörde veranlasst, für eine Verkürzung von notwendigen Zulassungsverfahren zu sorgen – bei neuen Impfstoffen auf etwa 240 Tage. Diese monovalenten Mock-up-Impfstoffe gegen Grippe enthalten nur eine rduzierte Antigenmenge eines Virustyps (3,75 oder 7,5 µg anstatt 15 µg wie in den saisonalen Impfstoffen), dafür aber verschiedene neue Adjuvantien und das quecksilberhaltige Thiomersal als Konservierungsmittel. Obwohl keiner der Impfstoffe an Schwangeren auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit getestet wurden, empfiehlt das RKI für Schwangere die Impfung ab dem zweiten Trimenon.
Laut „arzneitelegramm“ wird die angelaufene Impfaktion in Deutschland mindestens 700 Mio. Euro verschlingen, bei der in Betracht gezogenen Nachbestellungen sogar bis zu zwei Mrd. Euro. Erwartungen, dass der geringe Antigengehalt im Vergleich zur konventionelle Produktion zu deutlich niedrigeren Preisen führt, wurden enttäuscht. Der jetzt festgesetzte Preis von 18 Euro pro Doppelimpfung (zuzüglich zweimal fünf Euro für das Impfen) liegt sogar über dem Preis der saisonalen Impfung: Diese kostet pro Immunisierung auf der Basis der Herstellerabgabepreise etwa 14 Euro. Dabei ist der Großauftrag für den Anbieter äußerst kostensparend: Die sonst üblichen Kosten für Verkaufsförderung entfallen. Üblicherweise geben Großkonzerne etwa ein Viertel ihres Umsatzes für den Bereich Marketing und Werbung aus. Trotz der Größe des Auftrages sind die damit verbundenen Konditionen nicht öffentlich zugänglich. Das verschleiert die Interessenkonflikte jener Personen, die die Bedingungen ausgehandelt haben.
Intransparenz und Interessenkonflikt
Die Bundesregierung hat beim Impfstoff-Hersteller Glaxo-Smith-Kline (GSK) in Dresden 50 Mio. Dosen im Wert von von 700 Mio. Euro bestellt. Bereits seit Ausrufung der „Schweinegrippe-Pandemie“ stieg der Wert der GSK-Aktien um zehn Prozent und der GSK-Quartals-Gewinn im Dritten Quartal auf 2,4 Mrd. Euro. Weitere 2,3 Mrd. Gewinn werden in diesem Quartal erwartet, in dem es zur Auslieferung des „Schweinegrippe-Impfstoffes“ kommt.
Die neuen „Pandemien“ sind auf jeden Fall ein sicheres Geschäft für die Hersteller. Und das alle Jahre wieder, wenn nicht schnellstmöglich „stopping-rules“ zur Entwarnung bei vermuteten, aber sich als harmlos erweisenden Pandemien eingeführt werden – sowie eine öffentliche Kontrolle der Entscheidungsprozesse, einschließlich der Offenlegung der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Impfstoffherstellern und Regierung. Gesundheitsressourcen in derartiger Höhe, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden, dürfen in Zukunft nicht mehr einfach hinter verschlossenen Türen verteilt werden. Intransparenz und potenzielle Interessenkonflikte unterminieren die Glaubwürdigkeit der zuständigen Empfehlungs- und Zulassungsbehörden. Mehr noch: Im aktuellen Fall nähren sein den Verdacht, dass die H1N1-Grippewelle als Schweinegrippe-Pandemie von der Pharmaindustrie gezielt zur Vermarktung genutzt wurde. Eine genaue Durchleuchtung der Vorgänge durch eine parlamentarische Untersuchungskommission ist deshalb dringend angezeigt.
Offensichtlich sind die bestehenden Mechanismen zur Sicherung der Unabhängigkeit der STIKO nicht ausreichend, insbesondere, was Interessenkonflikte anbelangt. Um dies zu ändern, müssten die Protokolle der Sitzungen und die gefällten Entscheidungen, vor allem aber auch deren Begründungen, grundsätzlich veröffentlicht werden.
Immerhin haben die Mitglieder der STIKO seit August 2008 nach jahrelangem Drängen, etwa von Transparency Deutschland, ihre potentiellen Interessenkonflikte auf der STIKO-Website offengelegt. Die aktuellen Angaben vom März d.J. zeigen, dass die Mehrzahl der derzeit 16 Mitglieder mehr oder Minder intensive Kontakte zu den wichtigsten Herstellern von Impfstoffen haben. Einzelne Mitglieder leiten außerdem Studien zur Impfung oder arbeiten in enger Kooperation mit Impfherstellern. Weiterhin ist dort nachzulesen, dass einige der STIKO-Mitglieder sich für das „Forum Impfen“ engagieren, das seinerseits finanzielle Unterstützung unter anderem der Firma Sanofi-Pasteur-MSD genießt. Die Website des Forums gibt leder keinen Hinweis auf die finanzielle Höhe dieser Unterstützung.
Im Falle der Schweinegrippe erfolgte die Zulassung des Impfstoffs durch die europäische Zulassungsbehörde EMEA, deren Arbeit Transparency Deutschland seit Jahren äußerst kritisch beobachtet. Höchst problematisch ist, das EMEA der Generaldirektion Wirtschaft der Europäischen Kommission und nicht der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz untersteht. Ebenso bedenklich ist die Tatsache, dass ihre Arbeit um fast zwei Dritteln durch die pharmazeutische Industrie finanziert wird – und eine Überprüfung der Zulassungsunterlagen durch externe Wissenschaftler grundsätzlich erst nach erfolgter Zulassung möglich ist. Solange hier nicht wirksam Abhilfe geschaffen wird, dürfte der aktuelle Skandal der Schweinegrippe-Impfung nicht der letzte seiner Art gewesen sein.
Angela Spelsberg, Dr. med, ist Epidemiologin, Ärztliche
Leiterin des Tumorzentrums Aachen und Vorstandsmitglied bei
Tranparency International Deutschland.