Big Pharma forscht im Slum
von Sonia Shah
Neue
Medikamente müssen, bevor sie auf die Märkte kommen,
verschiedene Testphasen durchlaufen. Solche Tests führen die
Pharmakonzerne inzwischen überwiegend in armen Ländern und
an medizinisch schlecht versorgten Menschen
Durch, von denen
viele nicht lesen können – weshalb sie auch über
„Risiken und Nebenwirkungen“ unzureichend informiert
sind.
Nahezu
40 Milliarden US-Dollar geben die multinationalen Pharmakonzerne
jährlich für die Entwicklung neuer Medikamente aus. Dabei
setzen sie immer mehr herausragende Wissenschaftler und eine immer
raffiniertere Medizintechnologie ein.
Siehe zum
Beispiel www.researchandmarkets.com/reportinfo.asp?report_id=364024
Bei derart hohen Investitionen sollte man
annehmen, dass sie laufend neue Erfolge im Kampf gegen die großen
Plagen der Menschheit erzielen. Aber auch 2007 werden weltweit wieder
eine halbe Milliarde Menschen an Malaria erkranken – und bis zu
drei Millionen werden daran sterben. Und das wirksamste Mittel, mit
dem diese Patienten heute behandelt werden können, ist eine
tausend Jahre alte chinesische Arznei. Sie ersetzt ein Medikament,
das vor fünf Jahrzehnten entwickelt wurde.
Soniah
Shah, „The perfect predator“, in: Orion, Nov/Dez. 2006
Die Weltgegenden,
in denen Seuchen wie Malaria ihre Opfer fordern, wurden von der
Pharmaindustrie keineswegs vernachlässigt. Im Gegenteil: Noch
nie haben sich die Hersteller so sehr für die Armen der Welt
interessiert wie heute – sie führen nämlich in
Entwicklungsländern wie Sambia, aber auch in „billigen“
Ländern wie Bulgarien, Brasilien und Indien zehntausende
klinische Erprobungen durch.
Direkt hinter den rußgeschwärzten
Armenvierteln von Mumbai ragt ein strahlend weißes Labor von
Novartis in den Himmel. Hier zerbrechen sich die Forscher ihre Köpfe
über die Entwicklung neuer Medikamente. Und jenseits der sich
endlos ausdehnenden Slums rund um Kapstadt glänzen die Fassaden
der Testlabors von Boehringer Ingelheim. In Indien haben Pfizer,
GlaxoSmithKline und Astrazeneca in den vergangenen Jahren
Einrichtungen für die weltweite Koordinierung klinischer
Erprobungen geschaffen GlaxoSmithKLine ließ im letzten Jahr
mehr als die Hälfte seiner Praxistests für Arzneimittel
außerhalb der westlichen Märkte durchführen und zwar
ganz gezielt in „billigen“ Ländern.
Testen
statt heilen
Aber die Konzerne sind nicht nach Südafrika gekommen, um die
Krankheiten der Armen zu kurieren, die sich dort in die
Warteschlangen vor ihren blitzsauberen Forschungskliniken einreihen.
Es geht darum, das große Reservoir an „Krankengut“
in den Entwicklungsländern zu nutzen, um Medikamente zu
erproben, die der immer gesünder werdenden Bevölkerung im
reichen Westen das Altern erleichtern sollen: Mittel gegen
Herzkrankheiten , Arthritis, Bluthochdruck und Osteoporose. Dieser
Trend, Arzneien für die Reichen an den Armen der Welt zu
erproben, ist nicht nur eine Verschwendung kostbarer
wissenschaftlicher Ressourcen – er bedeutet auch eine Gefahr
für die Menschenrechte und die Weltgesundheit.
Der
weltweit größte Markt für Arzneimittel sind die USA.
Jeder US-Bürger bekommt pro Jahr durchschnittlich zehn
Medikamente verschrieben. Seit dem Jahr 2000 erfreut sich die
pharmazeutische Industrie einer jährlichen Wachstumsrate von 15
Prozent. Dass sich der Ausstoß von experimentellen Medikamenten
von 1970 bis 1990 verdreifacht hat, liegt nicht zuletzt an mehreren
Änderungen der rechtlichen Grundlagen in den USA. Die
Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) hatte
schon 1984 die Bestimmungen für die Erteilung von Patenten auf
neue Medikamente gelockert. Seit 1992 lässt sie sich von den
Herstellern für die beschleunigte Prüfung neuer Mittel
bezahlen. 1997 hebelte die Behörde die Vorschriften aus, die
Fernsehwerbung für neue Medikamente untersagten.
In den
USA lässt sich mit Medikamenten viel Geld verdienen – die
US-Pharmaindustrie gehört zu den profitabelsten Branchen der
Welt. Leider führt das reiche Angebot dazu, dass immer weniger
US-Amerikaner bereit sind, an der klinischen Erprobung neuer
Medikamente teilzunehmen. Jedes neue Mittel muss an mehr als 4000
Patienten getestet werden, was in der Praxis bedeutet, dass sich über
100 000 Freiwillige einer Voruntersuchung in einer Testklinik
unterziehen müssen.
Stan
Bernhard, „The Drug Drought: Primary causes, promising
solutions“ in: Pharmaceutical Executive, Nov. 2002, S. 7
Dass so viele
Versuchspersonen nötig sind, liegt an einer speziellen
Schwierigkeit bei der Entwicklung neuer Medikamente gegen chronische
und nicht übertragbare Krankheiten wie Arthritis, Bluthochdruck
und Herzerkrankungen: Trotz größter Anstrengungen der
Industrie haben sich die meisten neuen Mittel als wenig wirksam
erwiesen , manche sind kaum besser als zugleich verabreichte
Placebos.
„In der Regel findet man kaum einen
Unterschied zwischen behandelten und unbehandelten Patienten“,
meint ein Experte aus der Forschung. Andere Medikamente brauchen weit
weniger Erprobung, weil ihre Wirkung – etwa die des Insulins
auf Diabetiker – eindeutig feststellbar sind. Schwach wirkende
Mittel, etwa gegen Allergien, Herzbeschwerden oder Entzündungen,
müssen dagegen an sehr vielen Testpersonen erprobt werden, um
festzustellen, ob sie überhaupt eine Wirkung haben.
Die
Pharmaindustrie braucht also reichlich Testmaterial, kann jedoch kaum
einen von zwanzig Amerikanern zur Teilnahme an ihren klinischen Tests
bewegen. Kein Wunder: Den US-Bürgern bietet sich eine große
Auswahl an erprobten Medikamenten – warum sollten sie sich da
noch auf Experimente einlassen? Um dieses akute Problem zu lösen,
behelfen sich die Konzerne oft mit einer Art Abkürzung. Sie
vergleichen die Wirkung der neuen Medikamente nur mit Placebos –
eine einfache Standardprozedur, die in kurzer Zeit klare Resultate
bringt. Man braucht weniger Test-
Personen, und die FDA ist mit
dem Nachweis zufrieden, dass ein neues Mittel besser wirkt als gar
keines.
Aber auch für diese Placebo-Tests müssen sich
genügend Probanden finden, das heißt Menschen, die bereit
sind , an einem Experiment teilzunehmen, bei dem sie vielleicht
überhaupt keine wirksamen Medikamente erhalten.
Inzwischen
können die Firmen bei 80 Prozent ihrer klinischen Erprobung
nicht genügend Testpersonen gewinnen, um ihren vorgegebenen
Zeitplan einzuhalten. Und jeder Tag, um den sich die Einführung
eines neuen Medikaments verzögert, bedeutet hohe
Einnahmeverluste und die Gefahr, künftige Marktanteile zu
verlieren.
Medikamente in den Entwicklungsländern zu
testen wäre natürlich nicht interessant, wenn die Menschen
dort nur an Malaria oder der Schlafkrankheit litten. Selbst wenn
jeder Malariakranke einen Dollar aufbringen könnte – was
nicht der Fall ist – wäre dieser Markt nicht lukrativ
genug, um die Forscher an die Arbeit zu setzen. Gegenüber der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärten Vertreter der
Pharmaindustrie, dass die Branche sich erst ab einem erhofften Umsatz
von 200 Millionen Dollar für einen Markt zu interessieren
beginnt.
Aber das tut nichts zur Sache, denn inzwischen
leiden die Menschen in den Entwicklungsländern nicht mehr nur an
Malaria oder Tuberkulose, sondern haben auch alle die Krankheiten,
deren Medikation auf den westlichen Märkten profitabel ist. Nach
Angaben der WHO fallen heute 80 Prozent der Todesfälle durch
chronische nicht ansteckende Krankheiten, wie Herzkrankheiten oder
Diabetes, auf die Entwicklungsländer. In einigen Teilen Afrikas
ist jeder Fünfte zuckerkrank, und etwa 20 Millionen Afrikaner
leiden an Bluthochdruck.
Auf die Gesundheitssysteme wird diese
Entwicklung nach Meinung der WHO „gravierende“
Auswirkungen haben, die sich „bereits jetzt zeigen“. Kaum
einer dieser Patienten wird wegen dieser Beschwerden behandelt –
sie sind arm und haben andere und akutere gesundheitliche Probleme.
Folglich ergeben sich bei den chronischen Krankheiten mehr
Komplikationen als bei gut versorgten Patienten im Westen.
Hier
liegt die Chance für die Pharmaindustrie: Um etwa die
Wirksamkeit eines Herzmittels zu belegen, genügt es
nachzuweisen, dass bei Menschen, denen es nicht verabreicht wird,
mehr „Erkrankungsfälle“ – also Herzinfarkte
oder Tod – auftreten als bei denen, die das Mittel erhalten. In
seinem Vortrag bei einer Tagung über die Vorzüge armer
Länder bei diesem Verfahren erklärte der Vertreter einer
Testfirma:
„Eine Erprobung kann man eben nur erfolgreich
abschließen, wenn es genügend Komplikationen
gibt“.
„Südafrika ist das perfekte Land“,
erklärt ein anderer Firmenvertreter, der Aidsmedikamente
anbietet. Dort finde man eine sehr große Zahl von
HIV-Infizierten, die noch nicht mit antiretroviralen Medikamenten
behandelt worden seien. Zu oft sind die Hersteller im Westen schon
gescheitert, weil ihre Testpersonen so mit Medikamenten voll gepumpt
sind, dass sich die Wirkung eines neuen Mittels kaum noch nachweisen
lässt. Und das macht „behandlungsfreie“ Patienten
als Versuchskaninchen so begehrt.
Doch entscheidend bleibt die
schnelle Abwicklung. Geschwindigkeit ist alles in der Branche: Es
geht stets darum, das neueste Insulininhalat oder
Markenantidepressivum noch vor der Konkurrenz auf den Markt zu
bringen. Aber in den westlichen Ländern kann es Monate oder gar
Jahre dauern, die nötige Anzahl von Testpersonen
zusammenzubringen. Anders in den Entwicklungsländern: Quintiles
schafft es in Südafrika, innerhalb von 9 Tagen 3000 Patienten
zur Teilnahme an einer Testimpfung zu bewegen. Bei einer anderen
Testreihe brauchte die Firma nur 12 Tage, um 1388 Kinder als
Versuchspersonen zu gewinnen. Im Westen springen 40 bis 70 Prozent
der Probanden wieder ab, sind unzufrieden, beklagen sich vielleicht
über Nebenwirkungen oder finden einfach die Anfahrt zur Klinik
zu lang. In Indien dagegen melden die Firmen für ihre
Testpersonen eine Durchhaltequote von 99.5 Prozent.
Ganz
problemlos gelingt es de westlichen Pharmafirmen allerdings nicht,
ihre Testreihen in die armen Länder zu verlagern. Unterlagen
müssen übersetzt werden, häufig brauchen Kliniken und
Krankenhäuser vor Ort erst einmal größere
Investitionen, das Personal muss geschult werden, häufig
brauchen Kliniken und Krankenhäuser vor Ort erst einmal größere
Investitionen, das Personal muss geschult werden, der Umgang mit
einer fremden und oft korrupten Bürokratie will gelernt
sein.
Aber für die Mehrheit der großen Pharmakonzerne
sind die Testreihen in Entwicklungsländern trotz solcher
Schwierigkeiten inzwischen unverzichtbar, und längst ist eine
florierende Branche von Consulting-Unternehmen entstanden,die dabei
ihre Unterstützung anbieten.
Firmen wie Quintiles und
Covance, die auf klinische Erprobungen spezialisiert sind –
auch Contract Research Organizations (CRO) genannt - , haben überall
in den Entwicklungsländern ihre Büros und Kliniken
aufgemacht. Quintiles unterhält Einrichtungen in Chile, Mexiko,
Brasilien, Bulgarien, Estland, Rumänien, Kroatien, Litauen,
Südafrika, Indien, Malaysia, den Philippinen und Thailand. Und
Covance hat 25000 Kliniken in mehr als einem Dutzend Ländern im
Angebot. In der Fachpresse finden sich Berichte mit Titeln wie
„Erfolgreich in Polen testen“ oder „Indien bietet
Milliardengewinne im Bereich der klinischen Forschung“ oder
auch, fast wie eine Tourismuswebung, „Entdecken Sie Russland
für die klinische Forschung“. Und ein anderer Anbieter von
Tests in armen Ländern wirbt mit dem Slogan: „Skifahren,
wo noch Schnee liegt – machen Sie ihre Tests, wo es Patienten
gibt.“
Aber was ist eigentlich einzuwenden? Schließlich
haben es die kranken Armen in den Testkliniken besser als in normalen
Krankenhäusern, wo sie oft tagelang warten und kaum
Pflegepersonal vorfinden. Und offenbar sehen sie das auch selbst so,
denn wie anders wäre der Andrang zu den klinischen Erprobungen
zu erklären? Auch für Kliniken und Krankenhäuser
ergibt sich ein Nutzen: Sie erhalten Zugang zur neuesten Technologie
und häufig können sie die Geräte, die ihnen für
die Tests zur Verfügung gestellt werden, auch für ihre
Zwecke verwenden. „Wir haben einiges an Ausrüstung
bekommen“, berichtet eine Medizinforscherin in Indien, „und
wir durften die Geräte behalten“.
Dass die Menschen
im Westen sich nicht mehr als Versuchskaninchen zur Verfügung
stellen wollen, könnte ja auch eine Chance für die Amen der
Welt bedeuten. Wir haben Sweatshops und Chemiefabriken exportiert –
warum nicht auch Einrichtungen für klinische Tests? „Man
hat mir vorgeworfen, nur meinen Vorteil zu suchen“, beklagt ein
kommerzieller Forscher, der für seine Geschäfte mit Tests
in armen Ländern kritisiert wurde, „aber ohne die
Testreihen wären alle diese Kinder gestorben!“ In der
gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung, die in den USA ständig
aufgemacht werden, erscheint der Export schwieriger klinischer
Erprobungen jedenfalls als sinnvolle Maßnahme.
Der Kodex der unbedingten Freiwilligkeit
„Ich
glaube, dass die Teilnahme an klinischen Erprobungen den Menschen in
aller Regel nützt“, meint Robert Temple, Leiter der
medizinischen Abteilung bei der FDA.
„Die Hälfte von
ihnen bekommt wirksamen Medikamente und eine bessere
Gesundheitsversorgung. Und die andere Hälfte.. eben nur eine
bessere Versorgung.“
Aber seinen Körper für
wissenschaftliche Versuche zur Verfügung zu stellen, ist noch
etwas anderes, als am Fließband zu stehen. Selbst die Arbeiter
in Sweatshops dürfen sich einen, wenn auch mageren Verdienst
ausrechnen. Bei den klinischen Tests gibt es keine Verdienstgarantie.
Auch wenn die Forscher im Rahmen der jeweiligen Teilnehmergruppen die
Risiken und Vorteile insgesamt abwägen können –ob dem
einzelnen Teilnehmer geholfen oder geschadet wird bleibt offen: Der
Klärung dieser Frage soll das Experiment ja gerade dienen.
Weil
Risiken nie auszuschließen sind, bleibt die entscheidende
ethische Forderung bei medizinischen Versuchen am Menschen, dass die
Testpersonen über ihre Teilnahme aus freien Stücken und auf
der Grundlage genauer Informationen entscheiden sollten.
Dieses
Prinzip ist in unzähligen Entschließungen bekräftigt
worden, unter anderem in der Erklärung von Helsinki der World
Medical Association und dem Nürnberger Kodex von 1947. Der
Kernpunkt ist die Freiwilligkeit: Der Proband darf nicht unter Druck
gesetzt werden, auch nicht indirekt – das heißt, man darf
ihm auch keine ungewöhnlich hohe Vergütung oder den Zugang
zu besonderer medizinischer Versorgung anbieten, um ihn zur Teilnahme
an einem medizinischen Experiment zu bewegen. Der Forderung von
Aktivisten der Anti-Aids-Bewegung, jedem Probanden, der sich bei
einer Impfungs-Testreihe infiziere, müsse eine lebenslange
medizinische Versorgung garantiert werden, begegnen die Vertreter der
Industrie mit dem Hinweis auf das Prinzip der
Freiwilligkeit.
Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die
Menschen in den Entwicklungsländern durchaus nicht freiwillig an
den medizinischen Versuchen teilnehmen. Bioethiker untersuchen die
Zahl der Probanden, die ihre Einwilligung zurücknehmen oder die
Tests abbrechen. Dies ist in der Tat ein Beleg dafür, dass sie
die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme begreifen. Im Westen beträgt
der Anteil von Aussteigern und Verweigerern bis zu 40 Prozent. Bei
einer anonymen Umfrage der National Bioethics Advisory Commission
unter Testpersonen in Entwicklungsländern erklärten dagegen
45 Prozent der Befragten, keine ihrer Zielpersonen habe je die
Teilnahme an den Tests abgelehnt. Auch die rasche Anwerbung –
3000 Teilnehmer an einer Testimpfung innerhalb von 9 Tagen, 1300
Kinder für einen anderen Test innerhalb von 12 Tagen –
deutet darauf, dass hier kaum jemand Nein sagt.
National
Bioethics Advisory Commission, Ethical and Policy Issues in
International Research: Clinical Trials in Developing Countries,
April 2001
Aber woran kann das
liegen? Eine Studie unter Teilnehmern an einem HIV-Vorbeugungsversuch
in Südafrika zur genauen Art und Weise ihrer Zustimmung hat
gezeigt, dass mehr als 80 Prozent der Befragten glaubten, sie hätten
nicht das Recht den Versuch abzubrechen. Zu ähnlichen
Ergebnissen kam eine Studie in Bangladesch.
Q.A.Karim
u.a. “Informed consent for HIV testing in a South African
hospital: is it truly informed and turly voluntary” in:
American Journal of Public Health,1.April 1998, S. 637-640; sowie
Niels Lynoe u.a.
“Obtaining informed consent in
Bangladesh”, in: New England Journal of Medicine, 8. Februar
2001, S. 460-461.
Allein
diese Belege für – zumindest inneren – Zwang sollten
Grund genug sein, in diesen Ländern weniger Versuche
durchzuführen, aber die Testfirmen machen aus der Tatsache, dass
in den Entwicklungsländern so wenige Nein sagen, sogar noch ein
Werbeargument. So schreibt ein Autor in der Fachzeitschrift Applied
Clinical Trials ganz
begeistert ,
dass russische Testpersonen
„stets pünktlich
erscheinen und alle Pillen
vorschriftsgemäß einnehmen…
Sie ziehen ihre Einwilligung nur selten zurück… Die
Russen halten sich genau an die Anweisungen der Ärzte –
wirklich erstaunlich!“ Auch in einem Bericht von CenterWatch
über Versuchsreihen in China wird festgestellt: „Die
Chinesen sind nicht so emanzipiert wie US-Bürger. Sie zeigen
sich eher bereit, Versuchskaninchen zu spielen.“
Um in
Europa oder den USA einen klinischen Test durchzuführen, muss
ein Pharmakonzern zunächst die Aufsichtsbehörden
informieren und alle Daten aus vorangegangenen Labor- und
Tierversuchen vorlegen. Außerdem verlangen die Behörden
genaue Auskunft über die geplante experimentelle Verabreichung
eines Medikaments an Menschen.
Versuchsreihen in der übrigen
Welt werden dagegen kaum überwacht. Man akzeptiert Resultate,
aber in Europa wie in den USA besteht vorab keine Informationspflicht
über diese Versuche – es müssen lediglich die
Bestimmungen der Erklärung von Helsinki oder eventuell weiter
gehende örtliche Schutzvorschriften beachtet werden. Bleibt eine
Versuchsreihe erfolglos und das getestete Medikament kommt nicht auf
den Markt (90 Prozent der klinisch erprobten Produkte werden nicht
zugelassen), interessiert sich für die Tests keiner mehr: Die
Erprobungen in den armen Ländern werden nicht erfasst, als hätte
es sie nie gegeben.
Eigentlich könnte die Erklärung
von Helsinki ausreichend Schutz bieten. Die Einhaltung ihrer
Bestimmungen zu überwachen, ist vor allem Aufgabe der so
genannten Ethikkommissionen - sie sollen die Tests genehmigen und die
Rechte der Probanden schützen. Da sich die Herkunftsländer
der Firmen nicht darum kümmern, bleibt diese Überwachung
tatsächlich alleinige Aufgabe lokaler Komitees und
Aufsichtsbehörden. Doch in manchen Ländern sind offenbar
die Strukturen nicht vorhanden, die diese ethischen und
administrativen Anforderungen erfüllen könnten.
Ein
gutes Beispiel ist Indien. Hier sehen die zuständigen
Regierungsvertreter in den Aktivitäten der Medikamententester
vor allem eine Devisenquelle. Einige von ihnen äußerten
die Hoffnung, dass sich die Jahresumsätze der Branche von 70
Millionen auf eine Milliarde Dollar vergrößern ließen.
Man hat bereits eine Reihe von Vorschriften gelockert, um die
Durchführung der klinischen Erprobungen zu erleichtern: Die
Einfuhr der Testmedikamente ist jetzt zollfrei; abgeschlossene
Erprobungen in der „Phase 3“
(siehe
unten) sind nicht länger Vorraussetzung für Tests in
Indien. Es braucht auch keinen Nachweis mehr, dass die Medikamente
„von besonderem Interesse“ für Indien sind. Und alle
Firmen, die in Indien Investitionen im Bereich von Forschung und
Entwicklung tätigen, erhalten zehn Jahre lang
Steuererleichterungen.
Ken Getz von der
Consultingfirma CenterWatch berichtete mir, dass er in Indien hofiert
wurde wie ein Staatsoberhaupt. Siehe auch: Narayan Kulkarni, „The
trials leader“, in: Biospectrum, 10. Juni 2003.
Vier Testphasen
Neue Medikamente werden für den Markt erst
zugelassen, nachdem sie in einer Reihe von Tests am Menschen
erfolgreich erprobt wurden. Zuvor müssen zahlreiche biochemische
Experimente und Tierversuche durchgeführt worden sein. Die
Erprobung am Menschen erfolgt dann in mehreren Testphasen.
In
der ersten Phase geht es darum, an einer kleinen Zahl von gesunden
Probanden (40-80 Personen) zu prüfen, ob die chemischen
Wirkstoffe und ihre Kombination in einem Medikament für den
menschlichen Körper verträglich sind- in diesem Stadium
werden 30 Prozent der getesteten Moleküle ausgesondert.
Die
zweite Phase soll die Wirksamkeit des Medikaments erweisen. Dafür
sind 100 bis 300 Versuchspersonen nötig, die an den zu
behandelnden Beschwerden leiden. Sie werden nach dem Zufallsprinzip
in zwei Gruppen (oder „Zweige“) aufgeteilt. Die eine
Gruppe (Kontrollgruppe) erhält Placebo-Pillen oder ein
Medikament, dessen Wirkung erwiesen ist, der anderen wird das zu
erprobende Mittel verabreicht. Solche Experimente führt man
häufig als „Doppelblindtests“ durch – weder
die Probanden noch die Wissenschaftler wissen, wer zu welcher Gruppe
gehört.
Für Phase drei, in der nur noch ein Drittel der
Moleküle getestet wird, braucht man üblicherweise mehrere
hundert Patienten, wenn nicht gar tausende – und entsprechend
viele Mediziner und Laborpersonal. Diese Tests erstrecken sich über
zwei oder mehrere Jahre und sind sehr kostenintensiv. Hier geht es
darum, die Vorzüge eines Medikaments und seine unerwünschten
Nebenwirkungen genau zu erfassen. Mehr als 70 Prozent der Mittel, die
diese Phase erreichen, erhalten auch eine Zulassung und kommen auf
den Markt.
Viele Firmen schließen noch eine vierte
Phase an, ein „Postmarketing“, das durch genauere
Testdaten die Markteinführung des Produkts beschleunigen soll.
Besonders bei Impfstoffen dienen diese Versuche auch dazu,
Nebenwirkungen für den Fall einer massenhaften Anwendung zu
erfassen.
Aus
indischer Sicht gilt die Branche als guter Geschäftspartner. In
der führenden Wirtschaftszeitung Economic Times heißt
es: „Das Potential ist gewaltig, die Multinationalen sind sehr
interessiert und die indischen Unternehmen sind bereit. Wir haben das
Know-how, wir haben die Menschen, und diesen Vorsprung wird China
vermutlich niemals aufholen. Und das Beste: gegen diese Art von
Outsourcing dürften auch die US-amerikanischen Arbeiter nicht
protestieren..“
Eine Nachbesserung der Vorschriften zur
Kontrolle der Tests wäre zwar denkbar. An der Situation in
Indien würde das jedoch nur wenig ändern, weil es hier
leider viel zu wenig gesetzliche Bestimmungen für den Bereich
der medizinischen Forschung gibt. Das fängt schon in der
Ausbildung an: In einigen Fällen haben medizinische
Ausbildungsstätten Dozenten nur auf dem Papier eingestellt, um
die staatlichen Inspektoren zu täuschen, Studienplätze
verkauft oder Diplome meistbietend versteigert. Hat ein Arzt erst
einmal seine Zulassung, muss er keinerlei Weiterbildung nachweisen.
Auch hat der indische Ärzteverband Indian Medical Association
keine ethischen Grundsätze festgeschrieben. Als bei einem
Ausbruch der Pest in der Stadt Surat drei von vier Ärzten das
Weite suchten – obwohl sie die Seuche durch Antibiotika hätten
eindämmen können – drückten sich die
Verbandsvertreter um eine Stellungnahme.
Der indische
Arzneimittelmarkt ist berühmt für seine unregulierte
Vielfalt. Mehr als 70.000 Markenprodukte sind im Angebot. Eine Studie
hat ergeben, dass über 70 Wirkstoffkombinationen verkauft werden
(unter mehr als 1000 verschiedenen Markennamen), die nachweislich
wirkungslos oder schädlich sind. Es gibt Medikamente gegen so
zweifelhafte Beschwerden wie „geistiger Verfall“,
„soziale Auffälligkeit“ oder „Verhaltensstörung“.
2003 kam einen Untersuchung in einer Fachzeitschrift zudem Schluss,
dass jedes vierte Medikament auf dem Markt entweder minderwertig oder
wirkungslos ist. Im selben Jahr fanden die staatliochen Kontrolleure
heraus, dass in der Stadt Patna sieben von neun Apotheken keine
Zulassung hatten und dass man in ihnen alles kaufen konnte. Selbst
verschreibungspflichtige Medikamente gehen überall problemlos
über die Ladentheke.
Chandra
Glhati, Irrational fixed-dose combinations: a sordid story of profits
before patients”, in:Indian Journal of Medical Ethics, Januar
–März 2003. Siehe auch: Arindam Mukherjee, “Pills
that kill” in: Outlook, 22 September 2003, S. 52; sowie Indian
Express, 17. August 2001.
Der
prominente Arzneimittel Chandra Gulharti, Chefredakteur der
Zeitschrift Monthly Index of Medical Specialities in
Indien stellt fest: „Wenn eine Firma mal bei illegalen
Geschäften ertappt wird, kommt sie mit einer Verwarnung davon.
..“ Amar Jesani, der führende Bioethiker des Landes,
meint: „Indien fehlt es an einer entwickelten medizinischen
Berufsethik.“
Aber auch die USA haben mehr als 30 Jahre
gebraucht, um gesetzlich festzulegen, dass Testpersonen über
versuche aufgeklärt werden und ihnen explizit zustimmen müssen.
Dieser Grundsatz wurde erstmals 1947, nach dem Nürnberger
Ärzteprozess, formuliert. Und es dauerte abermals Jahrzehnte,
bis sich dieser Standard in der medizinischen Forschung durchgesetzt
hatte. Länder wie Indien, wo noch 2003 keine einzige
medizinische Fakultät eine Vorlesung über Ethik und Medizin
im Lehrplan hatte, stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Zwar hat
man Ethikkomitees zur Überwachung der Medikamententests
eingerichtet, aber Sandhya Srinivasan, eine Aktivistin der
Gesundheitsbewegung, ist überzeugt, dass sie nicht dem Schutz
der Probanden dienen, sondern nur „Persilscheine“
ausstellen sollen.
Natürlich gab es auch reichlich
Skandale in der medizinischen Forschung und Praxis des Landes. In den
1970er-Jahren wurde hunderttausenden von Frauen das nicht zugelassene
Anti-Malaria-Mittel Quinacrine verabreicht, das sie unfruchtbar
machte. Viele der Frauen, die zumeist Analphabetinnen waren,
erklärten später, man habe sie mit falschen Angaben zu
Einnahme überredet. Auch die Dorfbewohner, an denen in den
1908er Jahren ein bereits vom Markt genommenes verhütungsmittel
erprobt wurde, versicherten nachträglich, sie hätten „gar
nicht gewusst, dass sie an einer Versuchsreihe teilnahmen“. Und
die Teilnehmer an der vom Staat 1991 bis 1999 durchgeführten
Erprobung eines Mittels gegen Lepra waren nach ihren Angaben nicht
informiert worden, dass es sich um einen Doppelblindtest mit Placebos
handelte.
Ende der 1990er-Jahre entschieden staatliche
Forscher, bei mehr als 1100 Frauen mit Brustkrebs im Frühstadium,
auch sie sind Analphabetinnen, die Behandlung auszusetzen, um die
Entwicklung der Krankheit zu beobachten. 2001 geriet ein Forscher der
Johns Hopkins University in Baltimore in die Schlagzeilen, weil er an
Krebspatienten in Kerala Versuche mit einem Medikament durchführte,
das noch nicht die Phase der Tierversuche duchlaufen hatte. Und 2003
erhielten mehr als 400 Frauen, die schwanger werden wollten, ein
experimentelles Anti-Krebs-Medikament, das sich als Schädlich
für Embryos erwies.
Sanjay
Kumar, „Sterilization by quinacrine comes under fire in India“,
in The Lancet, 17. Mai 1997; Laxmi Murthy, “Contraceptive
research: need for a paradigm shift”, in: One India, One
People, Juli 2001; Amit Sen Gulpta, “Research on hire”
in: Indian Journal of Medical Ethics, Oktober/Dezember 2001; Ganapti
Mudur, “Johns Hopkins admits scientist used Indian patients as
guinea pigs”, in: British Medical Journal (BMJ), 24 November
2001, S. 1204.
Auch in den Ländern des Westens gibt es reichlich Skandale
dieser Art. Bsonders drastisch sind die von der US-Gsundheitsbehörde
in Tuskegee im ländlichen Alabama durchgeführten
Forschungen zur Syphilis. Dutzenden von Männern aus der armen
schwarzen Bevölkerung wurde dabei über Jahrzehnte jede
Behandlung verweigert. Dass die Studie 1974 an die Öffentlichkeit
kam, führte in den USA zu den ersten rechtlichen Regelungen zum
Schutz von Versuchspersonen. In Indien wurden die erwähnten
skandalösen Fälle allesamt in der Presse verhandelt –
doch Schutzbestimmungen existieren noch immer nicht.
Der
US-Gesundheitsbehörde FDA ist das alles nicht neu, aber man
vertraut eben auf die Fähigkeit der Testpersonen, sich nach
entsprechender Aufklärung autonom zu entscheiden und eventuell
auch ihre Zustimmung zurückzuziehen. In Ländern wie Indien
dagegen ist das Machtgefälle zwischen Klinikpersonal und
Probanden wesentlich größer als im Wesen. Nicht einmal 1
Prozent der indischen Bevölkerung ist krankenversichert. Die
meisten Menschen müssen im Voraus bezahlen, wenn sie eine
Behandlung brauchen, und so etwas wie ein Hausarzt ist unbezahlbar.
Landesweit kommt ein Arzt auf 2000 Einwohner. Für Farhad
Kapidia, Forscherin am Hinduja Hospital in Mumbai, bedeutet das in
der Praxis, dass nur Menschen, die „wirklich keine Alternative
haben“, sich den Hightech-Versuchen der Pharmaindustrie
anvertrauen.
Die Probanden seien immerhin keine Höhlenmenschen
Robert Temple, der medizinische Leiter der US-Gesundheitsbehörde
FDA, hält es für überheblich, den armen Patienten zu
unterstellen, sie könnten sich nicht informieren und eine
bewusste Entscheidung treffen. „Man darf doch nicht so tun, als
seien sie nicht in der Lage, ihre Interessen wahrzunehmen“,
erklärt er im Gespräch. „Sie sind nicht wohlhabend,
aber doch keine Höhlenmenschen.“ Damit hat er zweifellos
Recht:
Eine Zustimmung zu Tests auf der Grundlage von
Informationen kann man auch von Menschen erwarten, die ungebildet und
des Lesens und Schreibens unkundig sind und in extremer Armut leben.
Die Terminologie der klinischen Forschung mag ihnen fremd sein, aber
keineswegs völlig unbegreiflich. Allerdings heißt das noch
lange nicht, dass sie auch tatsächlich aufgeklärt werden
und bewusst in die klinischen Erprobungen einwilligen. Alle
Erfahrungsberichte sprechen dagegen.
Medizinanthropologen
haben eine einfache Methode, um diese Zustimmung zu überprüfen:
Sie verteilen Fragebögen an Probanden, die bereits an Tests
teilnehmen. In Thailand ergab sich bei der Erprobung eines
Aids-Impfstoffs, dass 30 von 33 Testpersonen nichts über den
Versuch wussten. Ähnlich das Ergebnis beim Test eines
Verhütungsmittels in Brasilien: keine der Probandinnen war
informiert. Und auf Haiti zeigte die Befragung von Teilnehmern an
einer Versuchsreihe zur Übertragung des HI-Virus, dass 4 von 5
Probanden die Grundvoraussetzungen des Tests nicht begriffen
hatten.
P.Pittisutihum u.a., “Risk
behaviors and comprehension among intravenous drug users volunteered
for HIV vaccine trial”, in: Journal of Medical Association of
Tailand, Januar 1997, S. 80; Danile W. Fitzgerald u.a.,
“Comprehension during informed consent in a less-developed
country”, in: The Lancet, 26. Oktober 2002, S. 1301-1302.
“Die
Idee der bewussten und informierten Einwilligung ist ein schlechter
Scherz“, erklärte ein Forscher gegenüber der National
Bioethics Advisory Commission. Ein anderer bekräftigte: „Man
kann doch nicht behaupten, ein Mensch, der noch nie etwas von einem
Bakterium oder einem Virus gehört hat, sei angemessen zu
informieren.“
Es wäre schon hilfreich, die
bestehenden Vorschriften konsequenter durchzusetzen, aber leider geht
die Entwicklung in die andere Richtung. Die FDA versucht, sich
schrittweise von der als zu streng empfundenen Erklärung von
Helsinki abzusetzen. 2001 war die US-Gesundheitsbehörde nicht
bereit, eine Neufassung dieser Bestimmungen zu übernehmen, die
zusätzliche Auflagen für Placebo-Versuche enthielten. Und
2004 kam von der FDA der Vorschlag, für die Testreihen in
Entwicklungsländern nicht mehr die Erklärung von Helsinki,
sondern neue Verfahrensregeln zum Maßstab zu machen, die von
den Behörden in den USA, Japan und Europa gemeinsam zu
entwickeln seien.
Im Sommer 2006 äußerte sich
dieser neue Zeitgeist überdeutlich: Das wichtigste
medizinwissenschaftliche Beratergremium der USA, das Institute of
Medicine, empfahl die Aufhebung des Verbots, klinische Erprobungen
unter Strafgefangenen durchzuführen. Die Bedenken wegen der
fehlenden bewussten Zustimmung, die Experimente an Gefangenen
jahrzehntelang verhindert hätten, seien „kurzsichtige“
Einwände.
Sonia Shah,
„Testing new drugs on prisoners: the easy out“, in: The
Boston Globe, 17.August 2006.
Klinische
Erprobungen, die sich nicht an ethische Grundsätze halten, sind
nicht nur ein Angriff auf die Menschenrechte, sie bedeuten auch einen
schweren Legitimitätsverlust für die Medizin des Westens.
Schon heute vertieft sich die Vertrauenskrise zwischen der westlichen
Medizin und vielen Menschen in den Entwicklungsländern. In
Südafrika verdammen Regierungsvertreter die Aidsmedikamente aus
dem Westen als Gift der Weißen, und in Nigeria will die
Regierung keine Impfungen gegen Kinderlähmung zulassen. Dass
überall kaum kontrollierte Kliniken für die Erprobung von
Medikamenten entstehen, wird diese Reaktion verstärken –
und das bedroht die Weltgesundheit insgesamt.
Auch viele
Pharmahersteller und Medizinforscher wissen längst, dass
Beeinflussung der Probanden, ungenügende Kontrolle und mangelnde
Information ein Problem darstellen. Aber in ihren Augen überwiegen
die Vorteile: Die biomedizinische Forschung hat eine große
Zukunft, und jede Verschärfung der Auflagen für klinische
Erprobungen würden den Fortschritt in diesem Bereich behindern
und damit vielen Menschen das Leben kosten.
So deutlich wird
das Argument kaum je vorgetragen, aber diese Überzeugung ist
weit verbreitet und bedeutet einen mächtigen und nicht
unproblematischen Aspekt des Problems. Es ist nicht zu leugnen, dass
die Teilnehmer an klinischen Tests in den Kliniken der Pharmakonzerne
häufig eine bessere Versorgung erhalten als über ihr
nationales Gesundheitssystem, und dass auch die beteiligten Mediziner
profitieren. Aber die so gewonnenen Daten sind eben nicht
gleichbedeutend mit medizinischem Fortschritt. Das kann jeder
bestätigen, der einmal irgendwo im Süden eines der
Lagerhäuser gesehen hat, in dem billige Impfstoffe verrotten.
Dieser Fortschritt hängt nicht nur von den Ergebnissen der
Forschung ab, sondern auch davon, dass Regierungen,
Krankenversicherungen, Patienten und viele andere die in der Praxis
gewonnenen Daten sinnvoll nutzen. Als Mindestforderung muss gelten,
dass Testpersonen Anspruch auf bereits gesicherte Behandlungsmethoden
haben. Nur zu oft erhalten die neuen Mittel nie eine Zulassung in den
Ländern, in denen sie getestet wurden, oder die Bevölkerung
kann sie nicht bezahlen. Häufig gibt es für bestimmte
Medikamente dort auch gar keinen Anwendungsbereich. Weiterhin wäre
zu fordern, dass die Zustimmung der Probanden, vor allem die
Freiwilligkeit, überprüft wird. Nach diesen Kriterien
dürfte so mancher Test eigentlich gar nicht stattfinden.
Sonia Shah (www.soniashah.com) ist Journalistin. Von ihr erschien zuletzt „The Body Hunters. Testing New Drugs on the Worlds Poorest Patients“, New York (The New Press) 2006.