Just ten years ago
Amerika im Jahr 1996
Im
August 1996 unterzeichnete der Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika das sogenannte „Gesetz über persönliche
Verantwortung und Arbeitsfähigkeit“, mit dem die seit 1935
bestehende Verpflichtung der Bundesregierung gegenber den Armen
beseitigt wurde
…darin wird gesagt, daß auch
siebenjährige Kinder persönliche Verantwortung tragen
müssen, und jetzt steht ihnen endlich eine Möglichkeit
offen, die ihnen durch frühere Gesetzgebung verwehrt war,
nämlich die Möglichkeit zu hungern. Es ist einfach ein
weiterer Angriff auf Wehrlose, weil das Gefühl herrscht, ein
bisschen Brutalität ihnen gegenüber könne nicht
schaden. Auch das beruht auf einer sehr erfolgreichen
Propagandakampagne, die einen Großteil der Bevölkerung
dazu gebracht hat, die Armen zu fürchten und zu hassen.
Das
ist gut durchdacht. Schließlich sollen die Leute nicht auf die
Idee kommen, auch einmal die Reichen unter die Lupe zu nehmen. Wenn
sie sich in Fortune und Business Week über das „verblüffende“
und „unglaubliche“ Wachstum der Profite informieren
würde, wäre das nicht so gut.
Wie über das
Militärsystem Gelder in den Hightech-Sektor gepumpt werden,
brauchen sie nicht zu wissen. Damit sollen sie sich nicht befassen.
Sie sollen sich mit der schwarzen Sozialhilfemutter beschäftigen,
die im Cadillac herumfährt und sich ihre Wohlfahrtsschecks
abholt, damit sie noch mehr Kinder kriegen kann.
Dann
sagen die Leute: Und dafür soll ich Steuern bezahlen? Diese
Sorte von Propaganda hat gut funktioniert. Dabei sind die
Umfrageergebnisse verblüffend. Die meisten Leute sind der
Ansicht, daß der Staat die Pflicht hat, auch für die Armen
einen vernünftigen Minimalstandard zu garantieren. Gleichzeitig
sprechen sich die meisten Leute gegen Sozialhilfe aus, die doch genau
das tut. Das ist ein Propagandaerfolg, den man nur bewundern
kann.
Die Sache hat aber
noch eine andere Seite, über die kaum diskutiert wird, obwohl
sie sehr wichtig ist . Wenn jetzt verstärkt Druck ausgeübt
wird, um Sozialhilfeempfänger zu zwingen, eine Arbeit
anzunehmen, wird damit unter anderem das Ziel verfolgt, die Löhne
zu drücken. Angeblich gibt es ja eine natürliche
Arbeitslosenquote. Die Arbeitslosenquote darf auf keinen Fall unter
einen bestimmten Wert sinken, weil sonst alle möglichen
schrecklichen Dinge passieren werden. Wenn wir einmal annehmen, das
stimmt, dann sollten wir diesen Leuten weiter Sozialhilfe zahlen.
Schließlich sorgen sie dafür, daß die
Arbeitslosenrate hoch bleibt. Was wird passieren, wenn man sie auf
den Arbeitsmarkt wirft?
Vermutlich werden sie Jobs annehmen,
und wenn das geschieht, geht die Arbeitslosigkeit zurück. Genau
das ist ja angeblich ganz schrecklich. Aber wenn sie keine Arbeit
bekommen, werden sie zumindest als Lohndrücker fungieren. Und
das tun sie auch dann, wenn sie Arbeit bekommen, so wie es in New
York schon passiert.
Dort stellen die städtischen Dienste
jetzt Sozialhilfeempfänger ein, deren Lohn teilweise
subventioniert wird. Gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte
haben so keine Chance mehr. Auf diese Art zwingt man die
Sozialhilfeempfänger und die Arbeiter mit Job unter die Knute.
Man wirft jede Menge ungelernte Arbeitskräfte auf den Markt und
hält sie dabei so kurz, daß sie praktisch jede Arbeit
annehmen müssen, und wenn man dann noch ein bisschen öffentliche
Subventionen zuschießt, kann man so die Löhne für
alle nach unten treiben.
Außerdem wird systematisch
versucht, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das soziale Netz
zu untergraben.
Was über das soziale Netz verbreitet wird,
ist größtenteils betrügerisches Geschwätz.
Nehmen wir die Privatisierung der Sozialversicherungen. Dafür
gibt es keinen vernünftigen Grund. Wenn man glaubt, es sei
lohnender, die Gelder der Sozialversicherungen am Aktienmarkt zu
investieren, sagen wir einmal, in Schatzbriefen, dann kann eine
Pflichtversicherung genauso gut tun wie eine private.
Das
Hauptziel bei all dem ist, die Versicherung im wortwörtlichen
Sinne zu privatisieren: die Leute sollen sich nur um ihre
individuellen Guthaben kümmern und nicht die Art von Solidarität
füreinander empfinden, die entsteht, wenn man etwas gemeinsam
tut. Es soll unbedingt das Gefühl und das Bewußtsein
zerstört werden, daß der Einzelne auch eine Verantwortung
für andere hat, in der die soziale Grundeinheit aus dem
Einzelnen und seinem Fernsehapparat besteht und alle anderen Menschen
völlig unwichtig sind. Wenn meine Nachbarin ihre
Versicherungsgelder schlecht angelegt hat und jetzt im Alter hungern
muß, ist das schließlich nicht mein Problem.
Das
Netz der sozialen Sicherheit war etwas, wodurch die Leute Kontakt
miteinander hatten. Mit dem sozialen Netz übernahmen sie
gemeinsam die Verantwortung dafür, daß für alle ein
minimaler Lebensstandard gewährleistet ist. Das ist gefährlich,
denn das zeigt ja, daß die Leute fähig sind,
zusammenzuarbeiten.Und wenn sie das können, könnten sie ja
auch gemeinsam daran arbeiten, die Tyrannei der Konzerne durch die
Kontrolle der Arbeiter selbst zu ersetzen. Sie könnten
demokratische Prozesse organisieren und anfangen, ihre eigenen
Entscheidungen zu treffen. Bevor so etwas geschieht, ist es besser
eine Mentalität zu schaffen, wo jeder sich nur um sich kümmert.
Der Sieg der Mächtigen und die Niederlage der Armen sind dann
garantiert. Dadurch werden Solidarität, Kommunikation,
gegenseitige Unterstützung, Informationsaustausch und all die
anderen Entwicklungen unterbunden, die zu Demokratie und
Gerechtigkeit führen könnten. Ich denke, das ist der
wirkliche Grund für die Propaganda gegen den Wohlfahrtsstaat.
Alles andere sind lediglich technische Fragen, die aller
Wahrscheinlichkeit nach relativ leicht zu lösen sind. Mit einer
etwas stärkeren Steuerprogression könnte as soziale Netz in
seiner jetzigen Form auf unbegrenzte Zeit beibehalten werden.
Vergl. Z-Magazine und
Black & Red Revolution, Human Rights Fifty Years on. A
Reappraisal.
By Noam Chomsky