Von
Albrecht Müller
Der Text basiert auf Albrecht Müllers
neuem Buch Machtwahn. Wie eine mittelmäßige
Führungselite uns zugrunde richtet. Droemer Verlag
Vergl.
Noam Chomsky Hybris, Europa Verlag
Die
Förderer und Propagandisten der neoliberalen Ideologie haben den
Sieg von Demokratie und Marktwirtschaft über das kommunistische
Regime gründlich missbraucht. Sie nutzen den Wegfall der
Systemkonkurrenz, um das Soziale zu diskreditieren und der
Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken. Die
gesellschaftspolitische Friedensdividende ist deshalb für die
Mehrheit der Menschen eher mager ausgefallen. Sie leiden unter der
Spaltung der Gesellschaft, sie fühlen sich ohnmächtig und
entmutigt, und sie sind als Arbeitnehmer, obwohl sie die Mehrheit
stellen, an die Wand gedrängt.
Die neue Ideologie- „Jeder
ist seines Glückes Schmied“ – entsolidarisiert, sie
mobilisiert die schlechten Seiten im Menschen, statt die guten zu
fördern. Wie ehedem der Kommunismus, so unterwirft der
Neoliberalismus die Menschen dem Zwang, sich den neuen Gegebenheiten
anzupassen, anstatt die Gegebenheiten nach den Bedürfnissen der
Menschen zu gestalten. Je mehr wir Versuchskaninchen und Opfer der
neoliberalen Ideologie werden, um so mehr entdecken wir schlimme
Parallelen zu dem, was wir überwunden zu haben glaubten: Die
neoliberalen Ideologen reden zwar andauernd von Freiheit, tatsächlich
jedoch zielen sie darauf ab, die Menschen nach den Vorgaben ihrer
Ideologie zu ändern und zu gängeln. Sie sollen flexibel
sein. Sie sollen sich bewegen. Sie sollen nicht durchhängen. Sie
sollen nicht im sozialen Netz hängen. Sie sollen Blut, Schweiß
und Tränen vergießen, obwohl sie vom Ergebnis ihrer Mühen
nichts haben. Sie sollen eigenverantwortlich sein, was in vielen
Fällen nichts anderes heißt, als dass sie sich den
Gewohnheiten der oberen Schichten oder Finanzinteressen anpassen
sollen.
Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, dass
eine von ihnen freiwillig begründete Gemeinschaft ihre
Interessen nach besten Möglichkeiten vertritt. Sie sollen als
Einzelwesen agieren und nicht gemeinsam, nicht im Kollektiv der
Arbeitnehmervertretung zum Beispiel. Individualismus wird zur Pflicht
gemacht.
Wir
erleben eine dramatische Spaltung unserer Gesellschaft in Oben und
Unten, wir erleben eine herablassende und die Manipulation und
Ausbeutung des Volkes planende Elite, ohne schlechtes Gewissen, ohne
Umschweife.
„Die
Überzeugung, dass Unternehmen und Bevölkerung durch
gemeinsame Interessen verbunden sind, letztlich in einem Boot sitzen,
erodiert zur Zeit“, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung
zum Ergebnis einer Allensbach-Umfrage (faz.net, 22.12.05). Das Volk
denkt offenbar anders, als die Eliten wollen. Und dennoch nimmt man
auf diesen Willen keine Rücksicht, sondern macht weiter mit dem
Versuch, die Menschen mit Hilfe der Propaganda im Sinne der Eliten
„rumzukriegen“. Das ist ein im Kern undemokratisches
Vorgehen, denn es missachtet den Willen des Volkes, das in einer
Demokratie ja eigentlich herrschen soll. Kurzum: Neoliberalismus und
Demokratie vertragen sich nicht. Der praktizierte Neoliberalismus ist
im Kern keine liberale, sondern eine feudalistische Bewegung.
Innerhalb
der den politischen Markt beherrschenden Eliten hat sich eine
besondere Gruppe durchgesetzt: eine allenfalls betriebswirtschaftlich
richtig denkende Wirtschaftselite mit starker Exportorientierung, auf
Wachstum und den Kapitalmarkt orientiert. Sie ist der eigentliche
Träger der Ideologie. Die strategische Effizienz der
Arbeitgeberseite kann man nur bewundern. Ihr Sieg hat zwar keinem
guten Zweck gedient, nicht mal aus der Sicht der Arbeitgeber
insgesamt, aber aus der verengte eigenen Perspektive ist es schon
beachtlich, wie sie nahezu zu 100 Prozent die Hegemonie in
Deutschland erobert haben. Und wie sie den Gewerkschaften und
Arbeitnehmern das Kreuz gebrochen haben. Wie sie der europäischen
Entwicklung ihren Stempel aufdrücken. Wie sie sich kategorisch
gegen Sozialstaatlichkeit und für die eigenen Interessen
verwenden.
Es
fällt ihnen immer nur das Gleiche ein: Sozialabbau (Ackermann),
Kürzung sozialer Leistungen (DIHK- Präsident Braun).
„Wenn
die Kosten unseres Sozialmodells die individuelle und
gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen,
stellt der Sozialstaat sein eigenes Fundament in Frage.“ Das
sagt Joseph Ackermann, nachdem nun schon über zwei Jahrzehnte
lang die Kosten eben dieses Sozialmodells gekürzt werden –
ohne dass dies etwas bringt. „Die Wirtschaft“ bestimmt
erstaunlich vieles von dem, was in den Zeitungen und in den
Fernsehsendern, im Hörfunk und den Internetmedien gedacht,
gezeigt und gesagt wird; die Legende vom Rotfunk wird allenfalls noch
an ultrakonservativen Stammtischen erzählt; die modernen Herren
des Landes lachen sich tot. Sie bestimmen mit ihrer Linie und den
ihnen nahestehenden Personen nicht nur in weitem Maß die
Magazinsendungen, die Talkshows und Nachrichten, sondern sie
intervenieren auch hart und intolerant, wenn ihre Agitation
durchleuchtet und kritisiert wird.
Die
Öffentlichkeit und selbst interessierte Kreise ahnen noch nicht
einmal, wie weit die Arbeitgeberverbände, ihre
Vorfeldorganisationen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
und einzelne Unternehmen schon in die Schul- und Hochschulpolitik
eingreifen: Die Unternehmensberatung McKinsey zum Beispiel kümmert
sich um die vorschulische Erziehung
(www.mckinsey-bildet.de/html/01_home/home.php.)
Auch auf den Stoff vieler Schulen nehmen sie Einfluss, etwa wenn die
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eigene Themenhefte für
den Unterricht zur Verfügung stellt. Sie mischen sogar in der
Lehrerfortbildung mit. Die Bertelsmann Stiftung nimmt über ihr
eigenes Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE), aber auch direkt
und unmittelbar Einfluss auf die Hochschulpolitik, und zwar- wie
andere bei der Schulpolitik auch – immer in Kooperation mit
staatlichen Stellen. Das bedeutet, dass hier private Interessen
jenseits der demokratischen Linien von Parlamenten, Regierungen und
Behörden die Politik mitbestimmen. Nicht nur Bertelsmann, auch
andere Unternehmen greifen auf die praktische Hochschulpolitik zu.
Der Vorstandsvorsitzende des Pharmaunternehmens Altana AG, Nikolaus
Schweikart, sagt, wie das geht: „Durch die Finanzierung von
Stiftungslehrstühlen, durch die Unterstützung privater
Hochschulen, durch die personale Beteiligung von erfahrenen
Wirtschaftsführern in den Hochschulgremien“. Bei vielen
Hochschulen redet die Wirtschaft sogar in den Führungsgremien
mit. (http://zeus.zeit.de/text/2001/20/200120_getriebener_ceo.xml.)
Der
Einfluss der Wirtschaft bei den Hochschulen erhält eine neue
Qualität durch neue Regelungen von staatlicher Seite. So hat der
nordrhein-westfälische „Innovationsminister“ Andreas
Pinkwart (FDP) ein, wie er es nennt, Hochschulfreiheitsgesetz
eingebracht. Es ist geprägt von einer geradezu feindseligen
Einstellung gegenüber dem demokratischen Staat und dem
Parlamentarismus. Die Fachaufsicht über die Hochschulen soll an
einen ständestaatlich anmutenden Hochschulrat abgetreten, in dem
aller Erfahrung nach vor allem Vertreter der Wirtschaft das Sagen
haben dürften.
(http//nachdenkseiten.de/cms/front_content.php?client=1&lang=1&idcat=45&idart=1382)
Unternehmen wirken als Sponsoren tief hinein in die Gesellschaft ;
Sie verfügen über Geld. Und wer zahlt, schafft an.
Die
praktische Politik richtet sich in hohem Maße nach den
Meinungsführern der Wirtschaft: Nichtstun gegen die Krise,
Privatisierung, Deregulierung, Sozialabbau, Steuerfreiheit für
„Heuschrecken“. Von ihnen kommen die wichtigsten
Glaubenssätze: dass wir unter Strukturreformen leiden und der
Sozialstaat übertrieben ist, dass die Löhne zu hoch und die
Lohnnebenkosten unzumutbar sind, dass die Gewerkschaften schuld sind
an der Blockade und an allem, was sonst noch als Ursache unserer
wirtschaftlichen Schwierigkeiten diagnostiziert wird.
Es
ist beachtlich, dass es die Arbeitgeberseite geschafft hat, das Bild
unserer Gesellschaft – nach einer etwas anders geprägten
Zwischenphase zu Zeiten der sozialliberalen Koalition von 1969 bis
1974 – neu zu prägen. Ihr Geist bestimmt unser
Zusammenleben.
Es ist aber ebenso beachtlich, was aus diesem
Grunde zum Beispiel der gewerbliche Mittelstand so alles über
sich ergehen lässt. Das binnenmarktorientierte Gewerbe und das
Handwerk, der Einzelhandel und die Gastronomie haben es hingenommen,
dass nunmehr schon über zwei Jahrzehnte lang die Binnennachfrage
nicht mehr richtig wächst und unnötig viele Betriebe von
Insolvenz bedroht sind. Dass die Errichtung von Supermärkten auf
der grünen Wiese auf vielfältige Weise gefördert wird
und damit die Vitalität der Innenstädte und deren
Einzelhandel zusehends leidet. Dass die Mehrwertsteuer zum 1. Januar
2007 um drei Prozentpunkte erhöht wird, obwohl dies die
Schwarzarbeitet fördert und tendenziell die Exportwirtschaft zu
Lasten des am Binnenmarkt orientierten Gewerbes begünstigt. Dass
die öffentlichen Investitionen zu Lasten des Bauhandwerks
gekürzt wurden, ja, sie haben diese Entwicklung mit Sparappellen
sogar noch ideologisch gestützt.
Die
neoliberalen Ideologen erreichen all das zusammen mit den privaten
Medien, die selbstredend auch zuallererst unternehmerische Interessen
wahrnehmen. Die öffentlich-rechtlichen Medien fügen sich
teils, teils führen sie den Zug sogar an. Das alles wäre
nicht so schlimm, wenn diese Hegemonie sinnvoll genutzt würde.
Wenn die Arbeitgeberseite wenigstens verstanden hätten, dass es
auch in ihrem Interesse liegt, wenn der „Kuchen“ wächst
und größer wird, und man sich deshalb nicht zuallererst
über die Größe des Stücks streiten muss, das
eine verunsicherte Arbeitnehmerseite für sich noch haben will.
Dass die herrschenden Kreise aus der Wirtschaft dies nicht verstehen,
hat nicht nur mit ihrem betriebswirtschaftlichen Blick auf die
Volkswirtschaft zu tun, es folgt auch daraus, dass sie die Interessen
der binnenmarktorientierten Teile unserer Volkswirtschaft, des
Einzelhandels und des Handwerks zum Beispiel, nicht im Blick haben.
Die herrschende Ideologie denkt vor allem an die Interessen
der Finanzindustrie und der exportorientierten Großindustrie.
Warum sollten sie ihre speziellen Interessen auch nicht vertreten,
wenn der Mittelstand sich wie ein lahmer Stier am Nasenring durch die
Manege führen lässt?
Den Siegeszug der neoliberalen Bewegung und ihren Einfluss auf die politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik versteht man nur, wenn man in Rechnung stellt, dass in der modernen Gesellschaft politische Entscheidungen im Wesentlichen über die öffentliche Meinung bestimmt werden. Wer Einfluss nehmen will auf politische Entscheidungen, der muss die öffentliche Meinung zu den wichtigsten Problemen unserer Zeit bestimmen. Die konservativen und neoliberalen Kräfte haben schnell verstanden. Das ist nicht sonderlich erstaunlich, es entspricht dem, was in ihrem Milieu des Geschäftslebens seit Jahren gang und gäbe ist: Wenn man eine Ware loswerden will und Gewinn erzielen will, dann muss man sie gut verkaufen. Um zu einem guten Preis zu verkaufen, muss man gute Werbung dafür machen. Das sind Erfahrungen, die für den Erfolg in der politischen Arena prädestinieren.
Die wirtschaftlichen Eliten sind gewohnt, mit Medien umzugehen, sie sind gewohnt, Public Relations einzusetzen, sie wissen, dass der Erfolg etwas kostet. Und sie haben in der Regel mehr Geld als alle anderen Gruppen in unserer Gesellschaft zusammengenommen. Diese Konstellation macht sie naturgemäß zu den Mächtigen in der modernen demokratischen Gesellschaft. Ihr einziges Problem: Sie sind in der Minderheit. Wenn es danach ginge, wie viele Stimmen sie ohne Beeinflussung anderer auf die Waage bringen, dann hätten sie schon verloren. Sie haben aber nicht verloren, sie haben gewonnen und gewinnen immer mehr, weil sie die anderen beeinflussen. Sie verschaffen sich Mehrheiten.
Um Missverständnissen
vorzubeugen: Es geht nicht um Werbung im traditionellen Sinn. Was uns
interessiert, sind jene (gelungenen) Versuche der wirtschaftlich
führenden Kräfte, auch die politischen Entscheidungen der
Mehrheit bei Wahlen und zwischen den Wahlen durch Einflussnahme auf
die Meinungsbildung zu prägen.
Diese Einflussarbeit der
neoliberalen und arbeitgebernahen Kräfte lässt sich
belegen. Hier nur einige Beispiele: Namhafte Wirtschaftsfunktionäre
machen seit Jahren Propaganda gegen Konjunkturprogramme und
für einen schlanken Staat. Von den Arbeitgeberverbänden und
dem Bundesvorstand der Deutschen Industrie war schon lange kein
abgewogenes Urteil zur Makropolitik mehr zu hören. Auch nach
Verkündung des Investitionsprogramms der Regierung Merkel und
den erkennbaren Versuchen des neuen Wirtschaftsministers Glos, die
Bedeutung der Binnennachfrage zu verstehen, ist bei den
Unternehmerverbänden keine Einsicht eingekehrt. Selbst die
Tatsache, dass die Chance zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen
Verbesserung davon abhängt, dass es 2006 massiv aufwärts
geht, bevor 2007 die Mehrwertsteuererhöhung dämpfend wirkt,
vermochte sie nicht zu beirren.
In dieser Situation verschickte das Institut der deutschen Wirtschaft am 18. Januar 2006 eine Pressemitteilung mit der Überschrift: „Konjunkturprogramme – Schädliche Therapie“ . Diese Sorgen möchte man haben. DB Research, die ökonomische Forschungsabteilung der Deutschen Bank, liefert unentwegt Papiere und Materialien im Sinne der neoliberalen Theorie. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Norbert Walter, hat mit diesen Arbeiten und den Materialien seiner Einrichtung großen Einfluss auf die deutsche Publizistik, vor allem auf den „Spiegel“. Artig bedankt sich etwa der Leiter des Berliner Büros des „Spiegel“ , Gabor Steingart, bei Norbert Walter für den „unbestechlichen ökonomischen Rat“ bei der Arbeit an Steingarts Buch „Deutschland – Der Abstieg eines Superstars“.
Bertelsmann versucht auf den verschiedensten Ebenen und auf die verschiedensten Themen Einfluss auszuüben: zum Thema Demographie und für Privatvorsorge, in der Schul- und Hochschulpolitik, für Studiengebühren und für den Rückzug des Staates aus bisher öffentlichen Dienstleistungen. Die Bertelsmann Stiftung hat großen Einfluss auf die Agenda 2010 und die Hartz-Reform-Entwürfe. Die deutschen Medienunternehmen tragen die Kampagne „Du bist Deutschland“ , unter tatkräftiger Hilfe wiederum der Bertelsmann Stiftung. Das Pharmaunternehmen Altana AG, das im Wesentlichen der Familie Quant gehört, finanziert eine Aktion der so genannten Jungen Bundestagsabgeordneten zur so genannten Generationengerechtigkeit und damit pro Privatvorsorge. Die Deutsche-Bank-Gruppe finanziert das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA), das wiederum Aufträge an andere Personen und Institutionen des neoliberalen Netzwerks vergibt. Die Robert Bosch Stiftung finanziert eine Kommission unter dem Vorsitz von Kurt Biedenkopf zu Familie und demographischem Wandel. McKinsey ist der Initiator eines Kreises, der zusammen mit „Stern“ , ZDF und Web.de mit Hilfe einer Umfrag eine subtile Propaganda für neoliberale Ideen macht.
In der Online-Umfrage
„Perspektive-Deutschland“ fusionieren Presse, Wirtschaft
und Politik, die Mediengiganten ZDF und „Stern“
(Bertelsmann) mit dem Beratungsriesen McKinsey unter der
Schirmherrschaft von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Der gibt dem aktuellen politischen Kurs die altpräsidiale Weihe
der Staatsräson: „Wir müssen konsequent die
begonnenen Reformen fortsetzen. Erfolgreich können diese jedoch
nur dann sein, wenn sie von den Bürgern mitgetragen werden. Die
Initiative Perspektive Deutschland will die Meinungen der Menschen in
die politische Diskussion über unsere Zukunft einbringen.“
(www.persepektive-deutschland.de)
Übersetzt heißt das: „Perspektive –Deutschland“
kann den Politikern bei der Umsetzung des Reformprozesses helfen und
wichtige Einsichten in die Stimmungslage der Bevölkerung geben.
Die Medien als Freund und Helfer der Politik, das Volk nicht
als Souverän, sondern als Patient, dessen Stimmungslagen
ergründet werden sollen.
Also werden sie befragt, die Bürger,
was sie von den Reformen halten. Ein kräftiges und vor allem
wohlbegründetes Nein ist da natürlich nicht vorgesehen.
Vielmehr sind die Fragen so suggestiv formuliert, dass am Ende nur
ein Ergebnis herauskommen kann: Die Deutschen sind bereit zu harten,
schmerzhaften Reformen.
In
einem Fall werden die Bürger zwei Szenarien zur Auswahl
vorgestellt, die sich so zusammenfassen lassen: „ Wollen Sie
mehr Staat und weniger Wachstum, oder weniger Staat und mehr
Wachstum?“ Die neoliberale Ideologie, wonach mehr Staatsanteil
zu weniger Wachstum führt und weniger Staat mehr wirtschaftliche
Dynamik nach sich zieht, wird einfach als Tatsache unterstellt. Dabei
haben 25 Jahre neoliberaler Praxistest bewiesen, dass genau dieser
Kurs zu wirtschaftlicher Stagnation führt bzw. dass kein
Zusammenhang zwischen Staatsquote und Wirtschaftswachstum
festzustellen ist. Das zeigt eindeutig die Erfahrung in den
skandinavischen Ländern. Solche ideologisch eingefärbten
Suggestivfragen werden mit dem Plazet eines Richard von Weisäcker
und dem Renommee einer öffentlich-rechtlichen Anstalt versehen.
Das zeigt, wie unverfroren expansiv und aggressiv das Netzwerk
ist.
Zu dererlei semantischen Ticks vergl. Stephan
Kaufmann, Der Sound des Sachzwangs, in : „Blätter 3/2006,
S. 365-374.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schließlich, in dem Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie zusammengeschlossen sind, finanziert die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bereits seit ihrer Gründung am 12. Oktober 2000 mit 8.8 Mio.Euro jährlich. (www.insm.de) Das sind bisher schon weit über 50 Mio. Euro. Hinzu kommt ein weit verzweigtes Netz von Kooperationspartnern, die jeweils selbst ihren Personal- und vermutlich auch Sachaufwand dazutun und damit die Wirkung multiplizieren. Die INSM arbeitet sehr professionell und ist in Deutschland inzwischen so etwas wie das Rückgrat der neoliberalen Agitation.
Die INSM ist ein gutes Beispiel dafür, dass diese Elitenorganisationen sich bewusst und planend zum Ziel setzen, eine vorhandene Meinung so zu verändern, dass sie den Interessen der Wirtschaft entspricht (und nicht mehr den Interessen und Wünschen der Mehrheit der Bürger) und dass daraus dann politische Entscheidungen folgen, die sich an den Interessen der Führungspersonen in der Wirtschaft orientieren. Von Anfang an war klar, zu welchem Zweck die INSM gegründet worden war. In einem Artikel mit der Überschrift „Revolution von oben“ hat der „Stern“ dies im Dezember 2003 ausführlich beschrieben. Ausgangspunkt war eine Allensbach-Umfrage, die zeigte, dass die Bevölkerung in vielen Bereichen nicht der Meinung der Wirtschaft folgte.
Die Mehrheit der Bürger
hält viel vom Sozialstaat, sie hält viel von der
Verantwortung des Staates für die Daseinsvorsorge, sie hält
viel von Solidarität, sie will sogar Arbeitszeitverkürzung
und Kündigungsschutz und hat von den Arbeitgebern und
Unternehmern keine sehr hohe Meinung.
Deshalb haben die Elektro-
und Metallarbeitgeberverbände beschlossen, die Meinung des
Volkes zu ändern. Ob sie damit bis jetzt sonderlich erfolgreich
waren, ist ungewiss. Eine neuere Umfrage von Allensbach spricht für
eine gewisse Kontinuität der Mehrheitsmeinung. Aber es sind
Einbrüche zu verzeichnen. So ist das vertrauen in die
gesetzliche Rente nahezu zerstört worden; auch das vertrauen in
den Staat und die Bereitschaft, öffentliche Verantwortung und
damit auch den Staat als etwas Positives und Kooperatives zu sehen,
dürfte geschwunden sein. Der Widerstand gegen Sozialabbau, der
Widerstand gegen die Hartz-Gesetze ist unter dem Wirbel der
Propaganda zusehends schwächer geworden, und dass die Löhne
schuld sind an der schlechten Wirtschaftslage, daran glauben
inzwischen wohl sogar jene Gruppen, die für höhere Löhne
streiten müssten. Propaganda wirkt, Wiederholung wirkt. Und wenn
der Trick angewandt wird, bestimmte Parolen aus ganz verschiedenen
Ecken aussenden zu lassen, also von CDU/CSU- und SPD-Personal, von
Freien Demokraten und Grünen, von Professoren, Sportlern und
Intellektuellen, dann wird auch die fragwürdigste Propaganda
glaubwürdig.
Diese Agitationsmethode
ist uns am 2. Oktober 2004 meisterhaft demonstriert worden. An diesem
Tag erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ eine
ganzseitige Anzeige mit der Schlagzeile „Auch wir sind das
Volk“. Anlass und Hintergrund dieser Anzeige waren die
aufkeimenden Montagsdemonstrationen gegen die mit dem Begriff Hartz
IV verbundenen Arbeitsmarktreformen, die zum Ziel hatten,
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen.
In der Anzeige
wurde dem Volk von seinen Spitzen-Eliten mitgeteilt, Hartz IV sei
„überlebensnotwendig für den Standort Deutschland“.
Diese abstruse und inzwischen widerlegte Behauptung wurde dadurch glaubwürdig, dass die Anzeige nicht nur von Repräsentanten der Wirtschaft unterschrieben worden war, sondern auch von
Günter Grass,
von
Peter Glotz,
dem Theatermann Jürgen Flimm,
dem
linksliberalen Professor Uwe Wesel
und Mario Müller-Westernhagen.
Sie sorgten für die Glaubwürdigkeit der Propaganda. Ihr gemeinsames Auftreten mit der Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft ist symptomatisch für den Niedergang der kritischen Intelligenz in Deutschland und ihre teilweise Integration in den neoliberalen Mainstream.
Diese einzige Anzeige in einer einzigen deutschen Tageszeitung ließ das Medieninteresse an den Montagsdemonstrationen übrigens schlagartig schwinden. Wahrscheinlich war dies auch das einzige Ziel der Aktion: von Medien und Journalisten wahrgenommen zu werde. Andernfalls hätte es gar keinen Sinn gemacht, nur in der „Süddeutschen Zeitung“ zu inserieren. Die Gründung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wie bewusst Meinung gemacht wird. Andere Fälle sind etwas weniger offensichtlich, aber dennoch in ihrer Wirkung grandios. Das gilt zum Beispiel für die große Kampagne der Versicherungswirtschaft und der Banken für die Privatvorsorge. Dafür wurde die demographische Entwicklung zu einem kaum zu bewältigenden Problem stilisiert. Die finanzielle Dimension dieser Kampagne zu Gunsten der Versicherungswirtschaft und der Banken dürfte sogar die finanziellen Mittel der INSM beträchtlich übersteigen. An Geld für Öffentlichkeitsarbeit hat es bisher nicht gemangelt. Noch wichtiger ist aber die Vernetzung und die Infrastruktur und die organisierte Kraft jener, die diese Öffentlichkeitsarbeit zu ihren Gunsten organisieren und konzipieren.
Opfer, die zu Tätern werden
Unter den meinungsmachenden Eliten finden sich Täter und Opfer. Genauer gesagt: Es finden sich Täter und Opfer, und es finden sich Opfer, die zu Tätern werden. Jene, die beispielsweise die Gründung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft geplant und dann mit Geld ausgeführt haben und immer wieder neu mit Aktionen und Werbung füttern, das sind „Täter“. Auch jene Verbände und einzelne Unternehmen, Wissenschaftler und Publizisten, die die Privatisierung unserer Altersvorsorge geplant haben und durchzusetzen versuchen, sind Täter.
Aber was wären Sie ohne die Opfer, aus denen Handlanger werden? Die Propagandisten im Hintergrund brauchen Multiplikatoren aus den eigenen Reihen der deutschen Eliten, aus dem Bildungsbürgertum und den Medien, aus den Kirchen und den Parteien, aus der Wissenschaft und der Kunst. Ohne diese Multiplikatoren aus den Kreisen der Eliten würden sie ihre Hegemonie nicht erreicht haben und schon gar nicht halten können. Dabei war für die Macher, die ich für clevere Leute halte, von vornherein klar: Es macht keinen Sinn, die eigenen Anhänger und Glaubensbrüder noch „katholischer“ zu machen, als sie schon sind.
Bedeutende Zielgruppen
sind deshalb für sie eher jene, die von ihren Grundauffassungen
und ihren Grundwerten her nicht von vornherein zu den Anhängern
der neoliberalen Ideologie und ihrer Protagonisten in der
Bundesrepublik gehören. Also haben sie sich die Sozialdemokraten
und die Grünen zu Zielgruppe erkoren und diese Parteien
nachhaltig verändert. Die SPD und die Grünen haben nicht
erst bei den Wahlen verloren. Sie sind lange vorher geistig
unterwandert worden, haben sich angepasst und sind damit kraftlos und
unattraktiv zumindest für den politisch engagierten Teil ihrer
eigenen Anhänger geworden.
An der SPD kann man das gut
studieren. Die neoliberale Bewegung nahm über einzelne Personen
wie Wolfgang Clement, Florian Gerster, Sigmar Mosdorf, Peter Glotz,
Olaf Scholz, Bodo Hombach und Gerhard Schröder, über
einzelne Gruppen in der Partei wie zum Beispiel den Seeheimer Kreis
sowie über ausländische Parteifreunde wie Tony Blair und
Anthony Giddens Einfluss auf das Denken und die programmatische
Entwicklung.
So wurde die SPD in Programm und Stil von innen
heraus verändert – und zugleich saft- und kraftlos. Der
Wahlverlust war dann nur noch die Draufgabe. Ähnlich bei den
Grünen.
Für die neoliberale Bewegung ist die programmatische Veränderung von SPD und Grünen von großer Bedeutung gewesen. Wäre die Veränderung dieser beiden ursprünglich als links geltenden Parteien nicht gelungen, dann hätten sich auch die konservativen Parteien dieser Ideologie nicht so total geöffnet. Den Medien kam bei dieser Veränderung von SPD und Grünen die Rolle des Hebels zu, getreu der Erkenntnis, dass die programmatische Entwicklung von Parteien wie auch von Medien miteinander verknüpft sind. Auf die praktische Politik bezogen kann man feststellen: Gerhard Schröder hat mit seiner Agenda 2010 und den anderen Reformpolitiken das Bett gemacht, in dem sich die jetzige Regierung – und vor allem die Union – so richtig suhlen kann. SPD und Grüne sind wegen ihrer Anpassungspolitik in der gemeinsamen Regierungszeit zahnlos und profillos geworden.
Eine andere wichtige Zielgruppe der neoliberalen Bewegung der Arbeitgeberfunktionäre sind die Kirchen. Vor nicht allzu langer Zeit waren sie noch entschiedene Fürsprecher für mehr soziale Gerechtigkeit. Man denke nur an das bemerkenswert engagierte gemeinsame Sozialwort der evangelischen und der katholischen Kirche von 1997. Das ist lange her. Bei der katholischen Kirche gab es im Dezember 2003 eine neue Verlautbarung mit dem Titel „Das Soziale neu denken“. Daran mitgeschrieben hat der Kuratoriumsvorsitzende der Initiative neue Soziale Marktwirtschaft, Hans Tietmeyer.
Beide Kirchen signalisierten Zustimmung zu dem Reformkurs von Gerhard Schröder. Wie andere bürgerliche Kreise sind auch die Kirchen den Parolen zu den angeblich neuen Herausforderungen, zur Demographie und zur Globalisierung auf den Leim gegangen.
Wenn wir von Meinungsmache und Manipulation hören, dann fällt uns aus Gewohnheit und Erfahrung die „Bild“ –Zeitung ein. Wir trauen es ihren Machern zu, dass sie dies täglich versuchen, und wir trauen ihren Lesern eher zu, anfällig für Meinungsgängelung zu sein. Bei Manipulationen und Manipulierbarkeit denken wir nicht zuallererst an die Leser des Spiegel“ oder der „Zeit“ oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Weil viele der Analytiker und Beobachter zu den Eliten und zum Kreis der Leser dieser Blätter gehren, denken sie zuallererst an sich als Ziel von Manipulation. Die Realität sieht anders aus: Die Eliten sind ebenso sehr Opfer von Manipulationen wie die ganz normalen Bürger. Das variiert zwar von Thema zu Thema. Aber in der entscheidenden Debatte um das, was zu geschehen hätte, um unser Land aus der wirtschaftlichen Krise herauszuführen, wie auch bei der Debatte um die gesellschaftliche Ausrichtung des Landes sind die Eliten sogar deutlich häufiger Opfer von Manipulationen als die übrige Bevölkerung. Das hat verschiedene Gründe, und es wirken verschiedene Mechanismen.
Die Soziale Sicherheit sei das „Vermögen der kleinen Leute“, so sagten führende Sozialdemokraten früher. Überholt ist diese Redensart auch heute nicht: Wer über kein oder nicht viel Vermögen verfügt, der ist auf die Solidarität der Stärkeren angewiesen, wenn er die Risiken des Lebens zu spüren bekommt – im Alter, bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit. Eine intakte solidarische Absicherung gegen diese Risiken hilft wenigstens gegen die materielle Bedrohung. Wer krank wird, wird immerhin von den Kosten her einigermaßen aufgefangen. Wer alt wird und gebrechlich, setzte und setzt noch auf die gesetzliche Rente. Und wer auf die Pflege angewiesen ist, findet in der Pflegeversicherung zumindest eine finanzielle Absicherung. Auch wenn kein Vermögen vorhanden ist, fühlte sich die Mehrheit der Menschen lange Zeit einigermaßen abgesichert durch die solidarischen Sicherungssysteme. Deshalb auch die hohe Zustimmung zum Sozialstaat. Wer über gutes Vermögen verfügt oder solches erwarten kann oder so gut verdient, dass ein gutes Vermögen angesammelt werden kann, schätzt die Bedeutung der sozialen Sicherungssysteme verständlicherweise geringer ein. Alles andere wäre sonderbar.
Deshalb sind diese Eliten
auch um vieles offener für neue Experimente und für den
Abschied von sozialstaatlichen, solidarischen Absicherungssystemen.
Sie haben auch viel eher die finanziellen Mittel für
Privatvorsorge.
Die Mehrheit der Menschen, insbesondere die
Mehrheit der Arbeitnehmerfamilien, weiß hingegen, was sie an
der solidarischen Absicherung und damit am Sozialstaat hat. Sie sind
lange immun gewesen gegen die Dauerpropaganda der neoliberalen Kräfte
gegen sozialstaatliche Regeln. Sie wollten keine Experimente, weil
sie ahnten, dass dies zu Lasten ihrer sozialen Sicherung gehen und
damit zu Lasten ihrer Sicherheit und ihres wirtschaftliches
Auskommens insgesamt. Man mag ja die Unbeweglichkeit der breiten
Bevölkerung beklagen. Sie hat jedoch ihren begründeten
Ursprung und ihre Basis in realer Lebenserfahrung. Deshalb ist die
Mehrheit der Menschen risikoscheu.
Das Sein bestimmt das
Bewusstsein. Das führt bei en Eliten zu einer höheren
Empfänglichkeit für die von anderen Eliten ausgesandten
Parolen zur Durchsetzung von Interessen: Für Elite-Universitäten
engagieren sich Arbeitnehmerkinder vermutlich wenig; die obere
Mittelschicht, die Angst hat, die eigenen Kinder könnten in
Konkurrenz mit ähnlich gebildeten Kindern der großen Masse
kommen, schon eher. Vergleichbares gilt aus ähnlichen Motiven
für die Einführung von Studiengebühren.
Ziemlich
spannend war der Widerhall, den die Behauptung fand, Akademikerinnen
wären von einer weit überdurchschnittlichen Kinderlosigkeit
betroffen, und es müsste ein einkommensabhängiges
Elterngeld eingeführt werden, damit auch Akademiker und andere
Gutverdienende mal eine Babypause machen könnten.
Dieses
Projekt wird von der Mehrheit der Menschen wenig erstanden.
Geringverdiener finden die etwas höhere Kinderlosigkeit bei
Akademikerinnen nicht sonderlich dramatisch und bedrückend. Dass
unserem Volk die Kinder wohlsituierter Akademiker mehr wert sein
sollen als die Kinder der anderen Schichten, will dem Normalverdiener
nicht so recht in den Kopf. Den Eliten dagegen leuchtet das schnell
ein.
Historiker wollen heute
mitreden, wenn über zu hohe Löhne diskutiert wird.
Soziologen meinen ein Urteil abgeben zu müssen, wenn es um die
Wirkung der Senkung von Lohnnebenkosten geht. Und sie wissen auch
ganz genau, dass die Produktivität so hoch ist, dass die Arbeit
ausgeht. Der Soziologe Ralf Dahrendorf zum Beispiel empfiehlt, die
Betroffenen sollten auf Lohnfortzahlung und Pflegeversicherung
verzichten, berichtet sie „Welt“ (v. 25.1.2006) .
Die
meisten Menschen mit einfacher Ausbildung und einem einfachen Beruf
dagegen haben keinen Bedarf, über Konjunkturprogramme als
Strohfeuer zu diskutieren. Sie maßen sich auch nicht an, über
das Umlageverfahren im Vergleich zum Kapitaldeckungsverfahren zu
urteilen. Was sie dazu an Bewertungen gelernt haben, zum Beispiel
dass die gesetzliche Rente nicht mehr trägt, das haben sie
sozusagen im zweiten Schritt von anderen Multiplikatoren „gelernt“,
von den elitären Multiplikatoren könnte man sagen. Aber
zunächst schützt sie ihre geringere Neigung, überall
mitreden zu wollen, vor Fehlurteilen. Das schützt sie in
gewissem Maße auch vor Indoktrination, weil sie nicht glauben,
sich ein Urteil bilden zu müssen.
Der Kommunikationsbedarf
der Eliten ist demgegenüber um einiges höher. Sie wollen
mitreden, sie haben Lust am Diskutieren und am Meinungsstreit. Wenn
sie bei Rotariern, um Kreis der IHK-Junioren oder im Hintergrundkreis
der Journalisten mitreden wollen, dann müssen sie sich
notgedrungen eine Meinung bilden. Damit werden sie anfällig für
Einflüsterungen der Stichwortgeber, die die Meinung machen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es ist ehrenwert und es
ist notwendig, sich zu informieren und sich eine Meinung zu bilden.
Ich versuche nur zu erklären, warum die Eliten in diesem
berechtigten Drang sehr schnell zu Opfern werden, wenn sie nicht
aufpassen.
Die Eliten aus dem bildungsbürgerlichen Lager
müssen wieder lernen, zu zweifeln und skeptisch zu sein. Das
gehört genauso zur Urteilsbildung wie die Neugier und das
Interesse. Eliten sind in besonderer Weise Opfer der
Meinungsbeeinflussung, weil sich Public-Relations-Agenturen
zur Durchsetzung von bestimmten Meinungen und Themen, die sie im
Auftrag von Interessenten betreiben, zuallererst an Eliten wenden.
Sie sind die geborene Zielgruppe für eine lohnenswerte
Indoktrination. Auch das ist keine Kritik an diesen Eliten. Es ist
eine kleine Mahnung zur Skepsis. Mehr nicht.
Warum aber sind gerade
Intellektuelle und andere Eliten so anfällig für das
„Reform“ – Brainwashing? Offenbar spielt eine
Rolle, dass die öffentliche Debatte nahezu ausschließlich
um das Terrain der Ökonomie kreist. Auch Menschen, deren Fach
dies nicht ist, sehen sich zu einem Urteil gezwungen.
Dennoch
bleibt es ein Rätsel, dass sich Menschen, die wenig Ahnung von
einer Sache haben, davon eine um so festere Meinung bilden. Das ist
seltsam, zumal sie das in ihrem eigenen Fach ja auch nicht tun
würden. In der Regel sind Wissenschaftler vom Umgang mit
Theorien der eigenen Wissenschaft her gewöhnt, skeptisch zu
sein. Sie haben gelernt, zu zweifeln. Im Umgang mit den neoliberalen
Theorien für die Ökonomie und die Gesellschaft vergessen
sie dieseTugenden jedoch. Der Einsatz der Sprache als Mittel der
Manipulation hat in Kreisen der Eliten offenbar ähnlich gut
gewirkt wie bei den „Bild“-Zeitungslesern: „Ruck“,
„Reformen“, „Chancen für alle“,
„Lohnnebenkosten senken“, „Eigenverantwortung“,
„Generationenkonflikt“ und „Generationenkrieg“,
„die Frustrierten“- das sind die ALG-II-Empfänger -
, „neu“, „neu“ und noch mal „neu“:
„neue soziale Marktwirtschaft“, „neue
Herausforderungen“, „neu denken“, „die
Republik neu gründen“. Solch eigentlich leicht
durchschaubare Sprachfiguren haben auch gebildete Menschen
beeindruckt. Schlimmer noch. Offenbar haben sie diese ganz besonders
beeindruckt.
Der Glaube an die Unmöglichkeit von aktiver Konjunkturpolitik und an die Notwendigkeit von Reformen, an die Bedeutung von Lohnnebenkosten und die Notwendigkeit, soziale Leistungen über Steuern zu finanzieren, der Glaube daran, dass es mit unserem Sozialstaat nicht so weitergehen kann, dass wir über unsere Verhältnisse leben und Strukturen ändern müssen, hat eine erstaunlich gemeinschaftsbildende Bedeutung. Diese Kommunikationsgemeinschaft ist sogar auf einer abgehobenen Ebene möglich. Unsere Eliten müssen gar nicht konkret werden. Sie müssen nichts Konkretes wissen. Sie müssen nur die Parolen kennen. Dann klappt die Kommunikation.
So stoßen wir immer
wieder auf das gleiche Phänomen, heute beim Glauben an die
neoliberale Erlösung genauso wie vor Jahrzehnten beim Glauben an
die heilsame Wirkung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel.
Unsere Eliten sind in diese Glaubensgemeinschaft eingebunden, die
ihnen Kommunikation und Sicherheit bietet. Sie leben und wachsen im
gemeinsamen Jargon. Wer draußen bleibt, ist einsam. Das Volk
bleibt draußen. Wer drinnen weilt, genießt die Wärme
der Gemeinschaft. Da spielt es dann keine Rolle, ob der Glaube
Bestand hat, ob er Berge versetzt, ob er Sinn macht und uns
weiterbringt oder ob er Wichtiges behindert und zerstört –
heute den Sozialstaat und morgen die Demokratie.