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Falludscha – Srebenica – Grosny

Im November 2004 führten die amerikanischen Besatzungsstreitkräfte im Irak ihren zweiten Großangriff auf die Stadt Falludscha durch. Umgehend berichteten die Medien - durchaus zustimmend – über Ereignisse, die schwere Kriegsverbrechen darstellten.
Zunächst wurde die Stadt mit dem Ziel bombardiert, alle Einwohner bis auf die erwachsenen Männer zu vertreiben; sämtliche männlichen Erwachsenen zwischen 15 und 45, die versuchten aus Falludscha zu fliehen, wurden zurückgeschickt. Die Pläne ähnelten dem Vorstadium des Massakers von Srebenica, mit dem Unterschied, dass die serbischen Angreifer Frauen und Kinder mit Lkws aus der Stadt transportierten, anstatt sie hinauszubomben.

Im Verlauf dieser vorbereiteten Bombardierungen berichtete die irakische Journalistin Nermeen al-Mufti aus >>der Stadt der Minarette, einst ein Spiegel des Euphrat in seiner Schönheit und Ruhe (mit ihrem) Wasserreichtum und ihrem üppigen Grün… ein Ort der Sommerfrische für Iraker (wohin Menschen) in ihrer Freizeit fuhren, um im nahen Habbanija-See zu schwimmen und Kebab zu essen<<. Sie beschrieb das Schicksal der Bombardierungsopfer, darunter ganze Familien, schwangere Frauen und Babys, die umkamen, weil die Angreifer, die sie zur Flucht aufgefordert hatten, die Stadt abgeriegelt und die Ausfallstraßen gesperrt hatten.

Nach mehrwöchigen Bombardierungen begannen die Vereinigten Straaten ihren Bodenangriff auf Falludscha. Zuerst wurde das Allgemeine Krankenhaus erobert. In der Titelstory der New York Times hieß es, >>Patienten und Krankenhauspersonal wurde von bewaffneten Soldaten aus den Räumen gejagt und gezwungen, sich auf den Boden zu legen oder zu setzen, wo man ihnen dann die Hände hinter dem Rücken fesselte<<. Ein Photo zeigte die geschilderte Szene, und das Ganze wurde als verdienstvolle Leistung dargestellt: >>Dank der Offensive konnte man etwas unschädlich machen, was Offiziere als Propagandawaffe der Militanten bezeichneten: das Allgemeine Krankenhaus von Falludscha, aus dem ständig Berichte von über zivile Opfer kamen.<<

Natürlich ist solch eine Propagandawaffe ein legitimes Ziel, besonders wenn >>über-triebene Zahlen von zivilen Opfern (übertrieben nach Meinung unseres Präsidenten) die öffentliche Meinung im ganzen Land aufheizten und damit di9e politischen Kosten des Konflikts erhöhen.
Das Wort >>Konflikt<< ist ein üblicher Euphemismus für US-Agression, so auch im Bericht der New York Times, wo wir auf derselben Seite lesen, das >>die Amerikaner Ingenieure (ins Land) schicken, die wieder aufbauen, was der Konflikt gerade zerstört hat<< - >>der Konflikt<<, der kein handelndes Subjekt hat und wütet wie ein Hurrikan.

Einige hierzu relevante Dokumente wurden dabei nicht erwähnt, vielleicht, weil sie als weltfremd und obsolet betrachtet wurden: zum Beispiel jene Bestimmung der Genfer Konventionen, wonach >>ortsfeste (z.B. Krankenhäuser), mobile (z.B. Feldlazarette) Sanitätseinrichtungen, Sanitäter und Sanitätstransporte …unter allen Umständen zu schonen<< sind. So berichtet also die weltweit führende Zeitung auf der Titelseite fröhlich über Kriegsverbrechen, für die die politische Führung nach US-Recht zu schweren Strafen verurteilt werden kann, sogar zur Todsstrafe, falls ein Patient, der aus seinem Bett gerissen und auf dem Boden gefesselt wird, in Folge dieser Misshandlung stirbt.

Doch dem nachzugehen oder auch nur entsprechende Fragen aufzuwerfen, wurde nicht für wert erachtet.
Dieselben Mainstreamquellen teilten uns außerdem mit, dass das US-Militär >>fast alle seine Ziele weit vor dem geplanten Zeitpunkt erreicht hat<<, da >>ein Großteil der Stadt aus rauchenden Ruinen bestand<<.

Aber es war kein vollständiger Erfolg. Denn von den erwarteten toten >>Ratten<< in ihren <<Höhlen<< oder auf den Straßen war nichts zu sehen, was ein >>anhaltendes Rätsel<< darstellte. Als US-Soldaten schließlich >>die Leiche einer Frau auf einer Straße in Falludscha (fanden), war unklar, ob es sich dabei um eine Irakerin oder eine Ausländerin handelte<<. Offenbar die entscheidende Frage.

In einer weiteren Titelstory wird ein hoher Marine-Kommandeur mit den Worten zitiert, der Angriff auf Falludscha >>sollte in die Geschichtsbücher eingehen<<. Vielleicht wird er das. Dann wissen wir aber schon heute, auf welcher Seite der Geschichte er verzeichnet sein wird. Vielleicht wird Falludscha neben Grosny stehen, der in etwa ebenso großen, zerstörten Hauptstadt Tschetscheniens, mit einem Bild von Bush und Putin, die einander tief in die Augen und ihre Seelen sehen.
Diejenigen, die all dies gutheißen oder auch nur tolerieren, können sich ja ihre eigene Lieblingsseite der Geschichte aussuchen.


Noam Chomsky
in seinem Buch Der gescheiterte Staat


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