Die Dienstbotengesellschaft
Von Christoph Butterwegge
Wer
über Armut in Deutschland redet, darf nicht die Augen davor
verschließen, dass sie häufig Migranten trifft. So bildet
sich in der Bundesrepublik eine Dienstbotengesellschaft nach
US-amerikanischem Muster heraus. Hierbei spielen Migrantinnen, die
auf Grund ihrer persönlichen Notlage schlecht bezahlte Jobs in
Privathaushalten annehmen müssen, eine Schlüsselrolle. Die
ehedem als "Perlen" bekannten Dienstmädchen, aber auch
Hausdamen, Kinderfrauen und Stiefelknechte lassen grüßen.
Je stärker die Bundesregierung durch Ausbau der steuerlichen
Abzugsmöglichkeiten für private Arbeitgeber, "Kombi-Löhne"
und andere Maßnahmen extrem niedrig bezahlte Jobs im
personennahen Dienstleistungsbereich fördert, umso mehr uralte
Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse kehren zurück.
Das neoliberale "Reform"-Projekt einer größeren
sozialen Ungleichheit macht die historischen Errungenschaften der
Französischen Revolution von 1789 rückgängig und
ähnelt nicht nur ökonomisch, vielmehr auch sozialpolitisch
und demokratietheoretisch einem Rückfall ins Mittelalter.
Unter
den bestehenden Herrschafts-, Macht- und Mehrheitsverhältnissen
wirken Globalisierungsprozesse nicht nur als gesellschaftspolitische
Spaltpilze, bergen vielmehr auch sozialen Sprengstoff in sich. Die
als neoliberale Modernisierung frontal gegen das Projekt sozialer
Gleichheit gerichtete Spielart der Globalisierung führt zu
Ausdifferenzierungs- bzw. Polarisierungsprozessen in fast allen
Bereichen von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat:
- die
soziale Polarisierung zwischen Zentrum und Peripherie, d. h.
Metropolen und Entwicklungsländern, wie innerhalb jeder
einzelnen Gesellschaft;
- die Aufspaltung des Gemeinwesens
entwickelter Industrieländer in einen Wohlfahrtsmarkt und einen
Wohltätigkeitsstaat, welcher Menschen auf einem Minimalniveau
versorgt, die keine Chance haben, ihre Lebensbedürfnisse und
Sicherheitsinteressen als Käufer/innen auf jenem zu befriedigen;
- die Herausbildung einer Doppelstruktur der Armut ("underclass"
und "working poor");
- die Dualisierung des Prozesses
transkontinentaler Wanderungen in Experten- bzw. Elitenmigration
einerseits und Elendsmigration andererseits;
- die
Ausdifferenzierung der Migrationspolitik in positive Anreize für
Erstere sowie Restriktionen und negative Sanktionen für
Letztere;
- eine Krise bzw. ein Zerfall der Städte, bedingt
durch die soziale Marginalisierung und siedlungsräumliche
Segregation von (ethnischen) Minderheiten.
In einer Welt, die
so reich ist wie nie zuvor, verbreitet und verfestigt sich die Armut.
Fast die Hälfte aller Erdenbürger/innen, ca. 2,8 Milliarden
Menschen, lebten um die Jahrtausendwende von weniger als zwei
US-Dollar pro Tag, und ein Fünftel, ca. 1,2 Milliarden Menschen,
gar von weniger als einem Dollar pro Tag. Not und Elend sind schlimm,
noch schlimmer ist aber, dass gleichzeitig Luxus und Überfluss
wachsen. Man kann von einer "globalen Klassengesellschaft"
(Birgit Mahnkopf) sprechen, deren Spaltung so abgrundtief sei wie
noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Die globale
Verarmung verbindet sich mit einer sozialen Polarisierung ohne
Vorbild: Milliardenvermögen wie das des US-amerikanischen
Computerunternehmers Bill Gates einerseits sowie Seuchen, Hungertod
und Verzweiflung von Milliarden Menschen (besonders in der südlichen
Hemisphäre) andererseits bestimmen das Bild einer Welt, die
zunehmend zerfällt. Eine der Konsequenzen ist die
Militarisierung, Brutalisierung und Verrohung vieler Gesellschaften
wie der internationalen Beziehungen, wodurch sich Putsche,
Bürgerkriege und Kriege häufen.
Die
beschriebene Kluft zwischen Arm und Reich existiert nicht nur auf
der individuellen Ebene (materiell unterschiedlich ausgestatteter
Personen), sondern reproduziert sich auch im Weltmaßstab
sozialräumlich: Metropolen und Peripherie des globalisierten
Kapitalismus entwickeln sich immer weiter aus-, teilweise auch
gegeneinander. Während die nordwestlichen Industriestaaten
und hier wiederum hauptsächlich deren leistungsfähigste
Bevölkerungsschichten von der neoliberalen Modernisierung
profitierten, wurde die südliche Hemisphäre, ganz
besonders Afrika, weitgehend von der wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung abgekoppelt. |
Der
Autor |
Die
neoliberale Hegemonie hat in der Gesellschaft bisher allgemein
verbindliche Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen auf den
Kopf gestellt. Galt früher der soziale Ausgleich zwischen
gesellschaftlichen Klassen und Schichten als Ziel staatlicher
Politik, so steht heute den Siegertypen alles, den
"Leistungsunfähigen" bzw. "-unwilligen" nach
offizieller Lesart hingegen nichts zu. In einer
"Winner-take-all"-Gesellschaft (Robert H. Frank/Philip J.
Cook) zählt nur der ökonomische, sich möglichst in
klingender Münze auszahlende Erfolg.
Je mehr die so
genannte Dritte Welt im Globalisierungsprozess von der allgemeinen
Wirtschafts- bzw. Wohlstandsentwicklung abgekoppelt wird, umso eher
wächst der Migrationsdruck, welcher Menschen veranlasst, ihrer
Heimat den Rücken zu kehren und gezielt nach Möglichkeiten
der Existenzsicherung in ferneren Weltregionen zu suchen, was
wiederum verschärfend auf die Einkommensdisparitäten
zwischen den und innerhalb der einzelnen Gesellschaften zurückwirkt.
Gleichzeitig werden soziale Zusammenhänge labiler und die
Menschen gezwungenermaßen sowohl beruflich flexibler wie auch
geografisch mobiler. Sie überwinden leichter und viel schneller
als in der Vergangenheit riesige Entfernungen.
Arbeitsmigration
als wichtigster Migrationstyp der Gegenwart teilt sich noch einmal in
eine Luxus- und eine Pariavariante. Neben die Migrationsform eines
intentionalen, direkten und definitiven Wohnsitzwechsels, der in
aller Regel einer prekären oder Notsituation im Herkunftsland
geschuldet ist (Elends- bzw. Fluchtmigration), tritt eine neue
Migrationsform, bei der sich Höchstqualifizierte,
wissenschaftlich-technische, ökonomische und politische
Spitzenkräfte sowie künstlerische und Sportprominenz heute
hier, morgen dort niederlassen, sei es, weil ihre Einsatzorte
rotieren, der berufliche Aufstieg durch eine globale Präsenz
erleichtert wird oder Steuervorteile zum "modernen Nomadentum"
einladen (Eliten- bzw. Expertenmigration).
Bedingt durch
zunehmende Spaltungstendenzen zwischen den wie innerhalb der
einzelnen Nationalstaaten, gestaltet sich die Migrationspolitik immer
weniger einheitlich: Während die westlichen Industrienationen
gut ausgebildete Fach- bzw. Führungskräfte aus aller Herren
Länder zu gewinnen suchen, gilt ihnen unerwünschte
Armutsmigration bzw. Flucht als "Standortnachteil", den man
tunlichst zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren sucht. Zu- bzw.
Einwanderung wird fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt
ihres volkswirtschaftlichen Nutzens für das in erster Linie als
"Wirtschaftsstandort" begriffene Aufnahmeland bewertet.
Dies gilt hier zu Lande umso mehr, als die Konkurrenzfähigkeit
des "Standorts D" in einer weitgehend vom Neoliberalismus
beeinflussten Öffentlichkeit zum Maß aller Dinge avanciert
ist.
Mit den Wanderungsbewegungen erfährt die Zuwanderungspolitik eine Ausdifferenzierung: Die Elendsmigration folgt, unterliegt jedoch auch ganz anderen Gesetzen als die Eliten- bzw. Expertenmigration. Erstere stößt meist auf offene Ablehnung in der Öffentlichkeit, weil sie als Existenzbedrohung für den "eigenen" Wirtschaftsstandort gilt; Letztere wird zwar im Standortinteresse akzeptiert, aber je nach Konjunktur- bzw. Arbeitsmarktlage begrenzt. Globalisierung macht die Grenzen also nicht durchlässiger, bietet Menschen, die als "Edelmigrant(inn)en" bevorzugt ins Land gelassen, wenn nicht gar gelockt werden, jedoch Schlupflöcher. |
Das
Buch |
Wenn
man so will, entsteht ein duales Migrationsregime: Die "guten"
(sprich: jungen und möglichst hoch qualifizierten) Zuwanderer
werden angeworben bzw. willkommen geheißen, die "schlechten"
(sprich: älteren und niedrig qualifizierten) Zuwanderer
systematisch abgeschreckt. "Zuckerbrot" und "Peitsche"
dienen als Instrumente einer Migrationspolitik, die ökonomischen
bzw. demografischen Interessen folgt. Bei diesem Konzept wundert es
nicht, dass man Zuwanderer im "Wettbewerb um die besten Köpfe"
gewinnen möchte und Migrant(inn)en als Wohlstandsmehrer/innen
und/oder demografische Lückenbüßer/innen fungieren.
Demnach fehlen nur die richtigen Arbeitskräfte bzw. kinderreiche
Familien, um eine größere Gesamtgütermenge zu
produzieren bzw. sich als "Gesellschaft im Niedergang"
biologisch überhaupt noch zu reproduzieren.
[
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Copyright © FR online 2006
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erstellt am 17.10.2006 um 16:56:02 Uhr
Letzte Änderung am
17.10.2006 um 17:29:28 Uhr
Erscheinungsdatum 18.10.2006