zurück zur Hauptseite


So wird die Euro-Zone explodieren“

Ein Gespräch mit Emiliano Brancaccio

Italiens Bevölkerung stand lange mit überwältigender Mehrheit hinter dem Euro. Inzwischen nimmt die Ablehnung rasant zu. Warum?

Nach dem Wunsch ihrer Gründerväter hätte die Europäische Währungsunion mehr Kollegialität bei den wirtschaftspolitischen Entscheidungen schaffen sollen, um die erdrückende Macht des vereinten Deutschlands einzudämmen. Heute wissen wir, daß dies leere Hoffnungen waren. Bei Ausbruch der weltweiten Krise hat die Eurozone als maßgeschneidert für die einzige starke Volkswirtschaft, nämlich die deutsche, erwiesen. Von 2008 bis 2013 konnte die Bundesrepublik ihre Beschäftigung um 1,5 Millionen Stellen steigern, während Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Irland mehr als sechs Millionen Arbeitsplätze verloren. In einem solchen Szenario muß die Unzufriedenheit mit den europäischen Institutionen einfach zunehmen.

Was sind die Hauptübel des Euro?

Ich denke, das Problem liegt in der Gesamtstruktur der Union, in ihrer neoliberalen Ausrichtung auf Freihandel und rigide Kürzungspolitik – nicht einfach in der Gemeinschaftswährung. Dennoch existiert ein monetäres Ungleichgewicht. Einer der Gründe ist, daß Deutschland in diesen Jahren eine eiserne Politik der Lohndrückerei betrieben hat. Seit 1999 sind die Löhne und Gehälter nominal gerade mal um 22 Prozent gestiegen, während es in der Euro-Zone 39 Prozent waren. Die Folge ist, daß Deutschland die anderen Mitgliedstaaten dazu zwingt, sich an einem wilden Wettstreit um die relative Senkung der Löhne und Preise zu beteiligen. Dieser Konkurrenzkampf begünstigt die deutsche Wirtschaft und ihre Satelliten noch weiter und läßt den Rest der Union in einer allgemeinen Depression der Einkommen und der Beschäftigung versinken.

Halten Sie den Ausstieg aus dem Euro für möglich?

Wir haben eine Reform der Union gefordert, aber bislang ist praktisch nichts passiert. Die von EZB-Chef Mario Draghi in Gang gesetzte Rettungsstrategie ist widersprüchlich. Die Zentralbank gewährt den schwächsten Ländern Liquidität, verlangt aber im Austausch dafür massive Kürzungen und Lohnsenkungen und kündigt dennoch die Schließung vieler Banken vor allem in jenen Ländern an. Dies kann die Kluft gegenüber der Bundesrepublik nur weiter vertiefen. Eine wirkliche Wende in den Zielsetzungen der europäischen Wirtschaftspolitik ist nicht zu erkennen, und es ist unsinnig zu meinen, man könne dieses Desaster mit noch mehr leerer proeuropäischer Rhetorik beheben. Mit solch scharfen Unterschieden wird die Eurozone früher oder später explodieren.

Einige italienische Ökonomen sehen einen Ausweg in der Privatisierung staatlicher Dienste und Unternehmen. Sie auch?

Ich glaube nicht, daß weitere Privatisierungen eine Lösung wären. Wir sollten nicht vergessen, daß die Krise von 1992 gerade durch einen umfangreiche Privatisierungsplan und Verkäufe von Staatsbetrieben ins Ausland ausgelöst wurde. Die damaligen Dimensionen waren weltweit rekordverdächtig. Heute wissen wir, daß jene Operation dem Land geschadet hat. Sie sorgte kurzfristig für eine Reduzierung des öffentlichen Schuldenbergs, schwächte aber das nationale Produktionssystem. Und dafür bezahlen wir heute noch. Ich glaube nicht, daß die Lösung in einer Kürzung der öffentlichen Gesamtausgaben liegt. Im Staatsapparat gibt es noch jede Menge Verschwendung, in weiteren Schlüsselbereichen registriert man einen fürchterlichen Mangel an Ressourcen, der die Modernisierung des Staatsapparats bremst. Übrigens liegen die Ausgaben der öffentlichen Hand bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt nur einen Prozentpunkt über dem europäischen Mittel – ohne die Zinszahlungen sogar unter dem Durchschnitt.

Was wäre ein „linker“ Ausweg?

Die Alternative ist eine Wiederherstellung der Kontrolle über internationale Kapitalbewegungen und Devisenkäufe aus dem Ausland. Das heißt nicht nur, die Einheitswährung muß zur Diskussion gestellt werden, sondern auch die gesamte Struktur der Europäischen Union. Kurz gesagt: Der Euro ist zweifellos Teil des Problems, aber Abkürzungen gibt es bei der Lösung nicht. Wenn wir die Politik der letzten Jahre nicht generell in Frage stellen, gibt es keinen Ausweg aus der Krise.

Interview: Raoul Rigault

Emiliano Brancaccio ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der süditalienischen Universität Sannio

zurück zur Hauptseite