zurück zur Übersicht - Israel, oh Israel
Kerrry go away
Von Avirama Golan
Bitte, John Kerry, hören Sie auf, zwischen uns und den Palästinensern hin und her zu rennen. Es ist genug. Machen Sie Urlaub, ruhen Sie sich aus. Schauen Sie lieber aus der Ferne zu. Lassen Sie uns allein.
Man hätte uns eigentlich von Anfang an allein lassen sollen, ohne Hilfe der Amerikaner, der Europäischen Union und all der anderen Weltverbesserer. Wir allein mit dem Mittelmeer auf der einen und den Bergen auf der anderen Seite. Allein mit unseren Nachbarn, den Ägyptern, Jordaniern, Syrern und Libanesen. Und den Palästinensern, jenen Menschen gleich nebenan, die wir hinter Mauern in ein Land gesperrt haben, das von Straßen, die nur wir benutzen dürfen, nun wie von Furchen durchzogen ist. Wir haben es mit rotgedeckten Häusern übersät, in denen nur wir wohnen. Wir haben ihre Straßen mit Checkpoints abgeriegelt, die „unsere Kinder“ bewachen, damit ihre Kinder nicht herüberkommen können.
Wenn wir uns selbst überlassen wären, würde dieses falsche Ritual, das sich Friedensverhandlung nennt und inzwischen zu einem Selbstzweck geworden ist, vielleicht endlich ein Ende haben. Trotz all des Herumgerennes, hochöffentlich und inoffiziell, haben doch alle bemerkt, was im Hintergrund wirklich passiert ist: Benjamin Netanjahu und seine Regierungskoalition haben weitere umfangreiche Siedlungen in den besetzten Gebieten beschlossen. Nur das schafft konkrete Fakten; nicht die Gespräche oder die Freilassung palästinensischer Gefangener. Wir würden wahrscheinlich ein ganzes Gefängnis freilassen, wenn man uns nur weiter an diesem größenwahnsinnigen Land Israel bauen ließe. Wir glauben nämlich, wir könnten die Anderen austricksen und tun doch nichts anderes, als unsere eigenen Bürger für dumm zu verkaufen.
Herr Kerry, Sie hatten wahrscheinlich geglaubt, dass Millionen Menschen hier in Israel gegen diese neuen Siedlungspläne protestieren würden, auch weil sie irrsinnig teuer sind. Dass sie es satt haben, weiter die ständig steigenden Lebenshaltungskosten aufzubringen, die oft unerschwinglich gewordenen Mieten zu bezahlen; dass sie dieser immer angespannten Sicherheitslage überdrüssig sind und auch wollen, dass wieder mehr in die Infrastruktur und das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem investiert wird. Doch das ist nicht passiert. Und eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass die Menschen hier glücklich sind, dass sie immer wieder denselben Premierminister wählen würden.
Sie sehen also, sehr geehrter Herr Kerry, wir brauchen keine Hilfe. Auch wenn sich unter dieser dünnen Oberfläche erschreckende Risse in der Gesellschaft zeigen: Immer mehr Familien sind von Armut bedroht. Die Giere der Reichen wächst ebenso wie der Rassismus gegenüber Migranten und arabischen Mitbürgern. In der politischen Elite breitet sich Korruption aus, die Knesset wird des Öfteren zum Schauplatz hemmungsloser Hetze.
Der Staat der Juden, der einst den Verfolgten Zuflucht bieten, ein souveränes und freies Gebilde all seiner Bürger sein wollte, ist zu einem isolationistischen und ausgrenzenden „jüdischen Staat“ geworden, der sich von einer rassistischen, konservativen, orthodox-religiösen Weltsicht leiten lässt, die nationalistisch gefärbt ist. Es ist nicht einfach das zu erkennen. Denn wenn unsere Politiker nach Amerika reisen, erzählen sie anschaulich von einem florierenden Land voller Innovationen, fest auf dem Boden der Bibel stehend, aber den Kopf voll mit Hightech-Ideen. Wir könnten hier im Paradies leben, wären nicht die heimtückischen Palästinenser, die antisemitischen Europäer, die iranischen Atomanlagen und Ihre erbärmliche Obama-Regierung, sagen sie.
Also lassen Sie uns einfach allein und warten Sie ab, was passieren wird. Wir werden schon nicht zusammenbrechen. Nur „der Konflikt“ wird dann mit noch größerer Brutalität ausgetragen, die Armee wird weniger moralisch, weniger intelligent und die Regierung noch korrupter werden. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Und die Reste dessen, was man heute noch als souveränes Israel bezeichnen kann, werden von einem radikalen und gewaltsamen religiösen Nationalismus aufgefressen werden.
Ja, Herr Kerry, das klingt schrecklich. Aber wenn das unsere Wahrheit ist, dann sollte sie lieber jetzt gesagt werden und nicht erst, wenn es zu spät ist. Dann ist diese Wahrheit gefährlich geworden, dann sind die Menschen hier am Ende eines Weges angekommen, der sie ins Desaster geführt hat. Man sollte diese Wahrheit jetzt sagen, einen Moment vorher. Denn jetzt können wir noch nach einem Ausweg suchen.
Avirama Golan, geb. 1950, ist Mitherausgeberin der Tageszeitung Haaretz. Die Fernsehmoderatorin und Bestsellerautorin gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten Israels. Ihr Roman Die Raben erschien im Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Zilla Hofman