Schlafmützen der Politik
Von Albrecht Müller
Der Wahlkampf beginnt. Aber alles, was eine sinnvolle Wahl möglich macht fehlt: Diese Opposition stellt einfach keine glaubwürdige realistische Alternative dar. Wer einen Politikwechsel wünscht, muss auf Rot-Grün-Rot hoffen. Dieses Bündnis hatte in den Umfragen zumindest zeitweise eine Mehrheit. Dennoch wird eine solche Koalition von SPD und Grünen kategorisch ausgeschlossen. Ja, es wäre nicht leicht gewesen, diesen Weg zu gehen. Die öffentliche Debatte wird von übler Hetze geprägt. Aber es wäre der einzige Weg gewesen, Angela Merkel und ihre Politik des inneren Stillstands abzulösen.
Stattdessen wird an der Option Rot-Grün festgehalten – obwohl alle Umfragen seit Monaten belegen, dass es für eine Mehrheit nicht reichen wird. Als Wähler muss man den Eindruck gewinnen, die Führungen dieser Parteien lebten in einer Traumwelt. Oder kann es sein, dass sie uns für dumm verkaufen wollen?
Die SPD macht einen fürchterlichen Wahlkampf. Sie hat mit Peer Steinbrück einen hölzernen, auf die konservative Seite der SPD festgelegten Spitzenkandidaten präsentiert. Sie greift nicht an. Und wenn, wie mit den neulich vorgestellten Plakaten gegen die Kanzlerin, dann macht sie tumbe Fehler. Sie flüchtet in die Ironie. Dabei wissen Kommunikationsstrategen: Ironie funktioniert in der Massenkommunikation nicht. Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Die SPD macht die Unterschiede zu Schwarz-Gelb nicht sichtbar. Sie kann nicht glaubhaft vermitteln, dass die sozialdemokratische Werte vertritt. Merkel hat ihre Hauptbotschaften dagegen gut platziert: Uns geht es gut. Dank der Reformen sind wir besser als alle anderen. Wir sind effizient, erfolgreich und dabei auch sozial, behauptet sie. Der Wechsel ist nicht nötig.
Jene Oppositionsparteien, die die Macht gemeinsam erobern wollen, widersprechen Merkels Hauptbotschaften nicht. Im Gegenteil, sie bestätigen sie auch noch, indem sie darauf beharren, mit der Agenda 2010 jene Reformen eingeleitet zu haben, denen wir auch nach Meinung der regierenden Koalition die wirtschaftliche Blüte verdanken. Die Agenda wird so ein zweites Mal zur tödlichen Hypothek. 2005 nämlich hat die SPD zu ihrer Rettung Neuwahlen ausgerufen und die Kanzlerschaft aufgegeben.
Die Oppositionsparteien wiedersprechen auch nicht der unheilvollen Fixierung auf die Exportüberschüsse. Sie tun dies nicht, obwohl eine Auseinandersetzung um die Wirtschafts- und Währungspolitik dringend geboten wäre. Denn diese Politik lässt zwar die Exportwirtschaft und Teile der Investitionsgüterindustrie blühen; aber sie hilft der inländischen Wirtschaft wenig und stürzt zugleich befreundete Völker in tiefes Elend. Wir exportieren nicht nur Güter, sondern auch Arbeitslosigkeit.
Die gleichlautenden Grundlinien von regierender Koalition und den Oppositionsparteien, die doch eigentlich den Wechsel propagieren sollten, sind die Hauptursache des Desasters, in dem unsere Demokratie steckt: Es gibt keine Alternative.
Dabei gab es großartige Möglichkeiten zur Profilierung: SPD und Grüne hätten zusammen mit der Linkspartei die Grundsatzauseinandersetzung mit der schwarz-gelben Koalition über den Weg unseres Landes und Europas führen müssen. Sie hätten der neoliberalen Ideologie den Garaus machen können. Das wäre nicht nur notwendig, sondern auch glaubwürdig gewesen. Denn überall werden die Mängel sichtbar: Die Privatisierung der Altersvorsorge hat nicht funktioniert, die Deregulierung der Finanzmärkte hat Milliarden verschlungen und Europa in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Einkommen und Vermögen sind immer ungerechter verteilt. Viele Menschen erkennen, dass man auf Egoismus keinen Staat bauen kann, dass die soziale Sicherung eine wichtige Basis nicht nur für Arbeitnehmer sondern auch für den Mittelstand ist. Was will man mehr als diese Steilvorlagen?
Die Bankenrettung hat gezeigt, dass die Politik vom großen Geld an der Nase durch die Manege geführt wird. Sie hat gezeigt, dass die großen Spekulanten gerettet werden und die Steuerzahler dafür zahlen und dass die Kleinsparer mit Zinsen abgespeist werden, die nicht ausreichen, um den gravierenden Wertverlust ihres Angesparten auszugleichen. Es hätte nahe gelegen, den Kampf gegen das große Geld faktisch gleichlautend mit dem Kampf gegen Merkel zu führen. Nichts davon.
Die Offenlegung der Überwachung durch die Geheimdienste der USA gäbe die großartige, neu hinzugekommene Möglichkeit, einen fundamentalen Angriff gegen die Regierung Merkel zu führen – wegen mangelnder Souveränität, wegen Abhängigkeit von den USA. Das wäre ein großes Thema, um sowohl Bürgerrechtler wie auch konservative Kreise zu erreichen.
SPD und Grüne haben ihre Chancen nicht genutzt. Das ist irrational, so unfassbar, dass man auf schräge Gedanken kommen muss. Sind diese Parteien noch selbstbestimmt? Oder sind sie fremdbestimmt von einem Mix aus verschiedenen Kräften, darunter die Bilderberger, große Medienkonzerne, PR-Agenturen, Finanzindustrie und die USA? Diese Fremdbestimmung jedenfalls würde die Krise erklären, in der unsere Demokratie zweifellos steckt.
Albrecht Müller ist Herausgeber der Nachdenkseiten www.nachdenkseiten.de