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Ein gefährliches Spiel

Von Tom Koenigs


Seit drei Monaten erinnert ein Denkmal im Berliner Tiergarten an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Europa. Vor dem Eingang sitzt eine alte Frau in der Kälte, spielt auf einer Ziehharmonika und bettelt. Wie sie, betteln heute viele Sinti und Roma. Man sieht sie in den Fußgängerzonen, wenn sie aus ihren Siedlungen und Lagern am Rande herauskommen, wo sie sich versteckt halten. Sinti und Roma sind eine Minderheit, die gesellschaftlich nicht anerkannt ist wie die Sorben und Dänen in Deutschland. Überall sind sie die Ärmsten der Armen – in Rumänien, Ungarn aber auch in Spanien, Frankreich, Deutschland. Programme der EU haben wenig geholfen oder wurden erst gar nicht umgesetzt. Die Roma sind noch immer marginalisiert, ungeliebt und diskriminiert, werden verachtet, bedrängt, abgeschoben. Oder man sieht eben etwas peinlich berührt schnell über sie hinweg – wie übe die Sinteza am Eingang zum Mahnmal in Berlin.

Bereits diese Geschichte zeigt: Der Antiziganismus dauert fort. Die Gesellschaft ist gegenüber der Diskriminierung der Roma und Sinti nicht ausreichend sensibilisiert. Anti-Ziganismus ist nicht geächtet wie der Antisemitismus. Beide Phänomene sind nicht das Gleiche. Aber ihre Strukturen sind ähnlich. Die Diskriminierung verläuft nach demselben Muster. Negative Stereotype über den Juden oder den Zigeuner wirken als Projektionsfläche. Sie sind der Schatten von jenen Eigenschaften, die die Mehrheit an sich selbst nicht wahrhaben möchte. Für Hitler verkörperten Sinti und Roma ein „Gegenbild zur Herrenrasse“. Die Vorurteile haben überlebt – auch wenn sie heute subtiler in Erscheinung treten. Im Gegensatz zum Bürgerlichen stehen „Zigeuner“ für das Vorzivilisatorische und Wilde, also das Arbeitsscheue und Sittenlose.

Opfer des Antiziganismus ist die Minderheit. 2006 gaben rund Dreiviertel der befragten Sinti und Roma an, dass sie schon häufig Diskriminierung erfahren haben. Träger des Antiziganismus ist die Mehrheitsgesellschaft. Noch 2011 stimmten 45 Prozent der Bevölkerung der antiziganistischen Zuschreibung zu, der zufolge Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. 40 Prozent „haben Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten“. Wissenschaftler sprechen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Die Ausgrenzung von Roma und Sinti, die im Dritten Reich systematisch war, ist heute diffus. Die Bundesregierung speilt das herunter. Zwar stellt sie fest, dass es Vorurtele gegen Roma gibt, unternimmt aber nichts dagegen. Spezielle Maßnahmen gegen Antiziganismus seien für Deutschland nicht nötig; die eigentlichen Probleme lägen in Europa. Innenminister Hans-Peter Friedrichs (CSU) hetzte im Oktober, kurz vor der Eröffnung des Mahnmals, verdeckt gegen Sinti und Roma: Deutschland sei zu attraktiv für Wirtschaftsflüchtlinge, vor allem aus Serbien und Mazedonien, gemeint sind Sinti und Roma von dort. Die Flüchtlinge kämen nur zum Abkassieren. Er kritisierte sogar das Bundesverfassungsgericht dafür, dass es die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes für verfassungswidrig erklärte.

Mit Eiverfahren an der Grenze will Friedrich die Roma wieder aus dem Land jagen, die zuvor aus erbärmlichen Verhältnissen fliehen mussten. Dabei ist die eklatante Diskriminierung der Roma und Sinti auf dem Balkan nicht von der Hand zu weisen. Aus politischen und rassistischen Motiven kommt es immer wieder zu antiziganistischen Progromen. Das European Roma Rights Centre (ERRC) hat ermittelt, dass noch nach der Intervention der NATO, also vor kaum 14 Jahren, ca. 100 000 Roma aus dem Kosovo vor Gewalt flüchten mussten. Der Innenminister heizt einen altbekannten Mechanismus an. Die Flüchtlinge werden hier zu Kriminellen erklärt und des Asylmissbrauchs beschuldigt. Um dies zu verhindern, soll die Visumsfreiheit für „sichere Herkunftsländer“ – Serbien und Mazedonien seien solche – eingeschränkt werden. In ihrer Heimat werden sie von ihren Landsleuten für eine scheinbare Gefährdung der langersehnten Visumsfreiheit und Annäherung an die EU verantwortlich gemacht. Schärfere Diskriminierung und Verfolgung – hier wie dort – sind die Konsequenz. So wird aus diffusem Antiziganismus systematische Diskriminierung. Gerade in Hessen kennen wir das. Mit fremdenfeindlichen Stammtischparolen versuchte Roland Koch vor der Wahl alte, fremdenfeindliche Ressentiments zu wecken, um Wähler zu gerwinnen. Das ist ein hochgefährliches Spiel.

Ein Denkmal ist kein Garant für das „Niemals mehr“. Bei der Einweihungsrede des Roma-Mahnmals von Bundeskanzlerin Merkel gab es einen einzigen Zwischenruf: „Und was ist mit den Abschiebungen? Wie helft ihr denen?“ Sie hatte darauf keine Antwort. Wir sollten die Antwort nicht ihrem Innenminister überlassen.


Tom Koenigs ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

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