Der Skandal der Massenarbeitslosigkeit
Was in diesem Wahlkampf – neben vielem anderen – ganz und gar nicht vorkam, war die anhaltende, aber bloß kaschierte Massenarbeitslosigkeit. Dieses aber, so die These von Mohssen Massarrat, ist nicht zuletzt die Folge eines Versagens der Gewerkschaften.
Gibt es in Deutschland eigentlich noch Erwerbslosigkeit? Politikern und Ökonomen zufolge hat das Land eher das Problem des Fachkräftemangels. Weil wir es durch die Agenda 2010 geschafft hätten, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, würden wir in ganz Europa beneidet. Deshalb müssten die anderen Länder die deutsche Agenda-Politik nur nachahmen, um ihre eigene Erwerbslosigkeit wirksam zu reduzieren. Schließlich zeige ganz aktuell die Zunahme sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse um eine halbe Million allein im Jahr 2012, wie erfolgreich die Arbeitsmarktreformen hierzulande gewesen seien.
Hinter dieser Schönfärberei verbirgt sich jedoch das Schicksal von Millionen Menschen, die unter Erwerbslosigkeit, Unterbezahlung oder unfreiwilliger Unterbeschäftigung leiden. So betrug im April 2013 die Zahl der Erwerbslosen laut offizieller Statistik drei Millionen Menschen. Tatsächlich werden aber 883 000 Erwerbslose in dieser Statistik nicht mitgezählt, weil sie älter als 58 Jahre, Ein-Euro-Jobber, als Erwerbslose krankgemeldet sind oder weil sie in Weiterbildungsmaßnahmen stecken.
(Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht April 2013.)
Das statistische Bundesamt bezifferte Anfang September das „ungenutzte Arbeitskräftepotential“ mit 6,7 Millionen. Damit wird erstmalig von höchst offizieller Stelle ein genauer Anhaltspunkt für den tatsächlichen Umfang der Erwerbslosigkeit geliefert.
„Das angebliche Jobwunder resultiert allein daraus, dass Teilzeitjobs und geringfügige Beschäftigungen geschaffen wurden.“
Faktisch ist das reine Arbeitszeitvolumen seit 2000 beinahe unverändert. Das angebliche Jobwunder in Deutschland resultiert allein daraus, dass Millionen Vollzeitjobs verloren gingen und stattdessen Teilzeitjobs und geringfügige Beschäftigungen geschaffen wurden, von denen sich die Betroffenen oft nicht einmal ernähren können. „Viele haben jetzt eine Arbeit, aber die ist oft noch atypisch, gefährdet, befristet, nicht gut bezahlt“, bilanziert selbst der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. (FR, 17.6.2013) Auch wenn das Statistische Bundesamt Ende August dieses Jahres erstmals seit 1991 einen geringen Rückgang dieser atypischen Beschäftigungsverhältnisse vermeldete, bleibt diese Einschätzung hochaktuell: Noch immer sind knapp 22 Prozent aller Beschäftigten davon betroffen – vor 20 Jahren waren es gerade einmal knapp 13 Prozent (Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 28.8.2013, www.destatis.de) Hinzukommt, dass bei dieser jüngsten Erfolgsmeldung sogenannte Werkverträge keine Berücksichtigung fanden. Ihre Zahl jedoch ist in den vergangenen Jahren enorm angewachsen, Werkverträge sind beispielsweise in Schlachthöfen ein weit verbreitetes Mittel, um die Arbeitskosten auf ein unerträgliches Minimum zu senken.
(Bei Werkverträgen werden Fremdfirmen beauftragt, ein bestimmtes „Werk“ zu vollbringen, bezahlt wird nach Erfolg und nicht Nach Stunden)
Wir erleben also seit Jahren eine eklatante Umverteilung – von Arbeits- zu Kapitaleinkommen. So stiegen die gesamtgesellschaftlichen Lohneinkommen zwischen 1991 und 2012 von 861,2 auf 1367,64 Mrd. Euro, also um 59 Prozent, die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen dagegen im selben Zeitraum von 356 auf 657,42 Mrd. Euro, also um 84 Prozent. Die in dieser Dekade von der Lohn- auf die Kapitalseite umverteilte Summe beläuft sich auf die gigantische Summe von rund 1500 Mrd. Euro.
(Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz zwischen einem theoretisch gesetzten Arbeitnehmereinkommen (Volkseinkommen multipliziert mit 72,9 Prozent, die höchste Lohnquote in 1993) und dem jeweils tatsächlichen Arbeitseinkommen.)
Ausdruck dieser enormen Umverteilung ist insbesondere die sinkende Lohnquote, also der immer geringere Anteil des Lohns an den Herstellungskosten von Produkten. Die Lohnquote ist ein guter Indikator für die Entwicklung der Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit. Die politische Stärke der Kontrahenten hängt vom jeweiligen Organisationsgrad und von der Angebotssituation auf dem Arbeitsmarkt ab. Im 19. Jahrhundert, bei schwachen Gewerkschaften, betrug die Lohnquote deutlich unter 50 Prozent. Erst in der Bundesrepublik stieg sie, und in den 1960er Jahren rapide, auf über 70 Prozent an – aufgrund starker Gewerkschaften und einer großen Nachfrage nach Arbeitskräften durch Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Also jedoch seit Mitte der 80er Jahre die Erwerbslosigkeit kontinuierlich zunahm, begann die Lohnquote wieder zu sinken.
Anschließend haben jedoch noch andere Faktoren zu dieser Entwicklung beigetragen: Erstens nahm der Anteil der Teilzeit- bzw. der geringfügig Beschäftigten rasant zu – von rund 3,5 Millionen in 1992 auf 12,75 Millionen in 2012. Heute arbeitet beinahe ein Drittel aller Beschäftigten in Teilzeit.
(12,7 Millionen von insgesamt 37 Millionen abhängig Beschäftigten waren 2012 teilzeit- und/oder geringfügig beschäftigt. Vgl. Heinz-Josef Bontrup, Krisenkapitalismus und EU-Verfall, Köln 2013, S. 76.)
Zweitens entstand im Zuge der rot-grünen Agenda-Politik ab 2003 ein Niedriglohnsektor mit gegenwärtig 6,5 Millionen, sprich: einem Fünftel aller Beschäftigten – bei einem Stundenlohn unterhalb von 8,50 Euro. Darunter befinden sich eine Million Beschäftigte mit einem Stundenlohn von 5 Euro und weniger. 1,3 Millionen Menschen erreichen entsprechend nur durch Aufstockung das Hartz-IV-Niveau – trotz Vollzeitarbeit.
(Vgl. Franz Bsirske, Von wegen Jobwunder, in: Ver.di Publik 2/2013)
Drittens schließlich hat sich die Zahl der Leiharbeiter nach Beginn der rot-grünen Agenda-Politik 2003 auf gegenwärtig 822 000 Beschäftigte verfünffacht. Sie erhalten für dieselben Tätigkeiten erheblich geringere Löhne und sonstige Ansprüche (wie Urlaubstage) als Stammbelegschaften. Hinzu kommen die durch Werkverträge beschäftigten Zeitarbeiter, deren Zahl seit 2110 rapide ansteigt. Diese verdienen ebenfalls wesentlich weniger als die Stammbelegschaften und müssen zudem von Einsatz zu Einsatz um den Fortbestand ihres Jobs bangen.
(Heute sind über 18 500 Zeitarbeitsfirmen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet, vgl. Wetzel, a.a.O.)
„Das soziale Fundament dieser ruinösen Konkurrenz ist nichts anderes als die Massenerwerbslosigkeit.“
Diese Umverteilung von Lohn- zur Kapitalseite führt dazu, dass die soziale Spaltung in Deutschland in den letzten zwei Dekaden tiefer, flächendeckender und differenzierter geworden ist: Heute konkurrieren die noch Erwerbstätigen mit den Erwerbslosen, die Vollzeit- mit den Teilzeitbeschäftigten und den Minijobbern, die Stammbelegschaften mit den Leiharbeitern. Das soziale Fundament dieser ruinösen Konkurrenz ist nichts anderes als die Massenerwerbslosigkeit – von der aber das gegenwärtige Kapitalismusmodell zehrt. Auf diesem Fundament ruht eine insgesamt stagnierende Gesellschaft, in der längst nicht mehr Wohlstand für alle produziert wird, sondern primär für die bereits Wohlhabenden. So erhöhte sich der Anteil des reichsten Zehntels der Bevölkerung am gesamten Nettoprivatvermögen in Deutschland von 45 Prozent in 1998 auf 53 Prozent in 2011, während der Reichtumsanteil der unteren Hälfte der Gesellschaft sich im selben Zeitraum von 4 auf 1 Prozent reduzierte.
(Vgl. Hauke Janssen, Wie gerecht sind Einkommen und Vermögen verteilt, www.spiegel.de, 4.12. 2012)
Mit anderen Worten: Die untere Hälfte der Einkommensgruppen in einem der reichsten Länder der Welt besitzt mittlerweile so gut wie keine Privatvermögen mehr.
Wettbewerb kann durchaus eine stimulierende und ausgleichende Funktion haben – wenn die Gesellschaft auf einem sozial abgesicherten Fundament steht. Ein immer stärker forcierter Wettbewerb unter den Lohnabhängigen ruiniert dagegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und beschädigt damit letztlich auch die Interessen derjenigen, die kurzfristig davon profitieren. Die Konsequenzen sind: zunehmende Erwerbslosigkeit, sinkende Löhne, gesundheitliche Gefährdungen und wachsende Armut bei Rentnern und Kindern.
Was wir derzeit in vielen Branchen beobachten, ist die Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden pro Woche (ohne Lohnausgleich, versteht sich). Hinzukommt die generelle Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre. In vielen Metallbranchen ist die in den 1980er Jahren hart erkämpfte 35-Stundenwoche faktisch aufgehoben. Der Staat und die Privatwirtschaft halten es inzwischen geradezu für selbstverständlich, dass letztere ihren Bedarf an Arbeitskräften durch Arbeitszeitverlängerung decken. Dies ist angesichts der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit regelrecht absurd.
Auch die Verdichtung der Arbeit hat stark zugenommen, mit signifikanten Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten: Denn sie bedeutet, dass sich diese stärker konzentrieren müssen, um bei gleichbleibender Arbeitszeit durch höhere Anstrengung ein größeres Ergebnis zu erzielen – folglich steigt der Stress.
(Beispielsweise produzieren Montagearbeiter in der Stunde normalerweise zehn Fahrzeugkarosserien. Wenn aber dieselbe Gruppe dazu gebracht wird, in derselben Zeit ohne Steigerung der technisch bedingten Produktivität elf Karosserien zu produzieren, dann erhöht sich die Arbeitsverdichtung um zehn Prozent.)
Diese Methode mag die Lohnstückkosten reduzieren, sich also betriebswirtschaftlich rechnen, sie verursacht jedoch erhebliche Probleme für die Menschen und enorme volkswirtschaftliche Folgekosten. Nahezu monatlich warnen inzwischen die Krankenkassen vor wachsenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Burnout und psychosomatischen Erkrankungen in den Betrieben.
„Hierzulande leidet inzwischen jeder Sechste unter Angst vor Arbeitsplatzverlust.“
Der „Stressreport Deutschland 2012“ vermittelt einen Überblick über den Gesundheitszustand der Beschäftigten: „Für 43 Prozent der Befragten hat in den vergangenen beiden Jahren Stress und Arbeitsdruck zugenommen. Jeder Fünfte fühlt sich überlastet. Termin- und Leistungsdruck sind in Deutschland höher als im europäischen Durchschnitt, Vorgesetzte weniger zugänglich für ihre Mitarbeiter als das in anderen Ländern üblich ist.“ Die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen wegen psychischer Erkrankungen hätten in den vergangenen 15 Jahren um 80 Prozent zugenommen, auf 5,9 Mio. Tage im Jahr 2011; psychische Erkrankungen seien außerdem die Hauptursache für Frühverrentungen. All das führe zu Produktionsausfällen in Höhe von 6 Mrd. Euro. Insgesamt werden die volkswirtschaftlichen Kosten des Stresses auf 10 Mrd. Euro pro Jahr veranschlagt.
(Daniele Vates, Bis der Arzt kommt, in: FR, 30.1.2013, sowie Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Stressreport Deutschland 2012, Dortmund, Berlin und Dresden, S.34 f.)
Unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit leben Beschäftigte mit der ständigen Angst, in die Erwerbslosigkeit abzurutschen. Diese Angst dominiert den Alltag und das Familienleben vieler lohnabhängig beschäftigter Menschen. Hierzulande leidet inzwischen jeder Sechste unter der Angst vor Arbeitsplatzverlust. Angst lähmt die Menschen, minder ihre Kreativität und Leistungsfähigkeit und treibt sie zum Verzicht auf Rechte – in der bloßen Hoffnung, so ihren Arbeitsplatz sichern zu können. Diese Entwicklung hat die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgeberverbänden nachhaltig geschwächt. So entstand zukzessive der Nährboden für Zugeständnisse bei der Lohnhöhe, bei der Arbeitszeit und bei den Sozialleistungen.
Zudem unterstützt die Politik der letzten 20 Jahre einseitig das Interesse der Arbeitgeber an maximalem Profit. Statt einer Machtbalance zwischen Kapital und Arbeit und einer zumindest neutralen Verteilung der Wertschöpfungen wurde ein dauerhaftes Machtgefälle zugunsten der Kapitalseite hergestellt. Statt Tarifverhandlungen auf Augenhöhe zu führen, wurden Unternehmer und ihre Verbände in die Lage versetzt, den Gewerkschaften ihre Handlungsfähigkeit zu nehmen, um ihnen so ihre Ziele bei den Tarifverhandlungen diktieren zu können.
In den 90er Jahren gelang es den Arbeitgeberverbänden mit ihrer Offensive zur Verlängerung der Arbeitszeit, die Tarifverhandlungen auf Lohnfragen zu beschränken. Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit – neben Lohnfragen der zweite klassische Gegenstand von Tarifverhandlungen – ist den Gewerkschaften seither abhanden gekommen.
Sie laufen inzwischen ständig neuen Kampagnen der Arbeitgeberseite hinterher und sind hauptsächlich damit beschäftigt, noch Schlimmeres zu verhindern. So konzentrieren sich die Gewerkschaften mittlerweile auf Standort- und Bestandssicherung, ohne allerdings weitere Entlassungen oder substanzielle Zugeständnisse verhindern zu können. Das Schicksal von mehreren Millionen Arbeitslosen ist ihnen damit weitestgehend aus dem Blick geraten.
Auch als gesellschaftliche Gestaltungskraft spielen die Gewerkschaften in Deutschland so gut wie keine Rolle mehr. Waren sie in der Nachkriegsdekade eine wichtige gesellschaftliche Institution – mit eigenständigen Reformvorschlägen etwa zur Bildungs-, Gesundheits- und Rentenpolitik -, so ging in den letzten zwei Dekaden keine einzige gesellschaftspolitische Reforminitiative von ihnen aus. Auf diese Weise haben die Unternehmensverbände leichtes Spiel, staatliche Institutionen, aber auch die gewerkschaftsnahen Parteien zu infiltrieren und letztlich ihre Interessen durchzusetzen. Sämtliche neoliberale Reformen, einschließlich der Liberalisierung der Arbeits- und Finanzmärkte, wurden durchgesetzt, ohne dass Gewerkschaften nennenswerte Gegenreaktionen entfaltet hätten. Auch der Krise der Europäischen Union stehen die deutschen Gewerkschaften mehr oder weniger tatenlos gegenüber, während die Unternehmerverbände, zusammen mit der Bundesregierung, die in Deutschland bereits „erfolgreiche“ Agenda-Politik samt der durch sie verursachten gesellschaftlichen Spaltung nach ganz Europa exportieren.
„Die Gewerkschaften müssen wieder politische Alternativen formulieren – gerade in Deutschland.“
Schwache Gewerkschaften führen im Kapitalismus jedoch nicht nur zu Sozial-, sondern auch zu Demokratieabbau. Existieren dagegen in der Wirtschaft annähernd gleich starke Kräfte, erweitern sich auch die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteure, die den erforderlichen gesellschaftlichen Reformen neue Impulse geben könnten. Zusammen mit den Gewerkschaften und den diesen nahestehenden Parteien könnten sie sogar den hegemonialen Diskurs definieren. Letztlich wirkt ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital politisierend und schafft so eine lebendige Demokratie. All das fehlt in Deutschland – seit sich die Kräfteverhältnisse in den letzten zwei Dekaden zugunsten der Konzerne und des Finanzkapitals verschoben haben.
Die Folge dieser Schieflage sind Politikverdrossenheit und die weit verbreitete Überzeugung, man könne ja doch nichts ausrichten gegen die allmächtigen Konzerne, gegen Vermögende und die sie unterstützenden Medien und Parteien. Die niedrige Wahlbeteiligung bei dieser Bundestagswahl gibt davon beredtes Zeugnis. Diesem Trend müssen die Gewerkschaften mit aller Kraft entgegenwirken und wieder politische Alternativen formulieren - gerade in Deutschland als dem gegenwärtigen Gravitationszentrum in Europa.
Diese Alternative kann eine Politik sein, die trotz aller denkbaren Hindernisse in naher Zukunft zur Überwindung der Massenerwerbslosigkeit und zu Vollbeschäftigung führt. Dazu bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: Erstens Wachstum und zweitens Arbeitszeitverkürzung. Bei einer realistischen Betrachtung scheidet der Weg von mehr Arbeitsplätzen durch Wachstum nicht nur aus ökologischen Gründen aus. Denn tatsächlich sind die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts seit drei Dekaden kontinuierlich gesunken: von 2,6 Prozent in den 80er Jahren auf 1,6 Prozent in den 90ern und schließlich auf 1 Prozent in den 2000er Jahren. Zugleich waren die Produktivitätsraten seit den 90er Jahren stets höher als die Wachstumsraten (in den 90ern lag sie bei 2,1 und in den 200ern bei 1,3 Prozent).
(Vgl. Bontrup, a.a.O., S. 84)
Somit ist unter dem Strich eine größere Zahl von Arbeitsplätzen trotz anderslautender neoliberaler Propaganda verloren gegangen als neu geschaffen worden ist. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Somit bleibt die kollektive Arbeitszeitverkürzung die einzige – historisch übrigens auch unabdingbare – Alternative für die Gewerkschaften, um durch Vollbeschäftigung ihre Stärke und Gestaltungskraft zurückzugewinnen.
Mohssen Massarrat, geb. 1942 in Teheran/Iran, Dr. rer. pol., Professor em. für Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück.