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Daniel Ellsberg im Gespräch mit Dorothea Hahn

Ein Auszug


Der Ökonom und Militäranalyst Daniel Ellsberg, 82, hatte 1971 Geheimdokumente aus dem Pentagon über den Vietnamkrieg an die Öffentlichkeit gebracht. Auf 7.000 Seiten zeigen die „Pentagon Papers“, wie die US-Verwaltungen von Präsident Truman über Kennedy bis Johnson sowohl die Öffentlichkeit als auch den Kongress systematisch über ihre Absichten und über ihr Wissen über den Krieg in Vietnam belogen haben.

Dorothea Hahn ist seit 2010 USA-Korrespondentin der taz. Daniel Ellsberg ist sie zum ersten Mal im März 2011 vor der Marinebasis in Quantico, Virginia begegnet. Ellsberg war damals 79, nahm an einer Sitzblockade für Bradley Manning vor dem Eingang der Kaserne teil, Manning, damals 23, befand sich drin in Isolationshaft.


Präsident Obama hatte angekündigt, er würde ein Präsident der Transparenz sein. Wie erklären Sie, dass ausgerechnet in seiner Präsidentschaft bereits sieben Whistleblower verfolgt werden, die staatliche Missstände aufgedeckt haben: Das sind mehr als unter sämtlichen früheren US-Präsidenten zusammen.

Daniel Ellsberg: Das ist eine komplizierte Sache. Die Demokraten haben panische Angst, als schwach gegenüber Terroristen stigmatisiert zu werden. Obama und Justizminister Holder wollen zeigen, dass sie hart sind. Ashcroft (der Justizminister von Bush, Anm. d. Red.) kannte diese Sorge nicht. Zweitens gibt es heute die Möglichkeit, E-Mails und Faxe und andere Nachrichten bis zu ihrer Quelle zu verfolgen. Ein weiterer Faktor ist, dass Obama sich kaum Sorgen um Kritik von Demokraten machen muss. Früher war das bei den Republikanern auch so. Aber mit der Tea Party hat sich das geändert.

Der Demokrat Obama kann schärfer vorgehen, weil seine eigenen Leute ihn nicht kritisieren?

Er kann alles tun. Bei den Bürgerrechten ist er ein Desaster. Er hackt die Grundlagen dieser Demokratie weg. Wie George W. Bush. Aber er tut es sehr offen. Und er bekommt kaum Kritik von Demokraten. Demokraten würden keinen demokratischen Präsidenten kritisieren. Sie sagen: „Das hilft den Republikanern.“ Hinzu kommt weiterhin die Furcht wegen 9/11. Und die Meinung, dass der Krieg gegen den Terror nötig für unsere Sicherheit ist. Es ist schrecklich, dass er die Unterstützung von beiden Parteien für diese antidemokratische Politik bekommt. Im September 2001 haben wir einen exekutiven Staatsstreich gegen die Verfassung erlebt. Und Obama hat das Pendel nicht etwa zurückgeschwungen, sondern er hat es noch weiter getrieben als Bush.

Was meinen Sie mit exekutivem Staatsstreich?

Die Aussetzung von Rechten wie Haftprüfungsverfahren, unbefristete Freiheitsentziehung ohne Anklage. Die Legitimierung von Folter.

Präsident Obama hat die Folter zu Anfang seiner ersten Amtszeit ausdrücklich abgeschafft.

Tatsächlich hat er die Folter entkriminalisiert, denn er hat es abgelehnt, Folterer vor Gericht zu stellen. Seit das geschehen ist, sehe ich nicht, wie irgendein künftiger Präsident noch die Folter wird anprangern können. Und ich bin sicher, dass wir auch in Baghram foltern.

Sie zeichnen ein düsteres Bild von Präsident Obama. Sehen Sie gar keinen Unterschied zu Bush?

Dies ist die vierte Amtszeit von Bush. Bei den Bürgerrechten, bei der Außenpolitik und bei Interventionen – in Irak, Afghanistan, Somalia, Suda, Jemen. Obama ist genauso düster wie Bush.

Wenn das so ist, warum haben Sie dann im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal zur Wahl Obamas aufgerufen?

Romney wäre noch schlimmer. Wäre er Präsident geworden, wären wir jetzt dabei, den Iran anzugreifen.

Was haben Sie aus der Betrachtung der Kriege in Afghanistan und im Irak gelernt?

Afghanistan präsentiert fast dieselbe Situation wie Vietnam. In seiner Hoffnungslosigkeit, in seiner Rücksichtslosigkeit, in seiner Brutalität. Afghanistan ist Vietnam. Auch in Afghanistan wissen die meisten Amerikaner nicht einmal, welche Sprache die Menschen dort sprechen. Dennoch versuchen wir, das Land und die Gesellschaft neu zu erfinden.

Was ist im Irak anders?

In Afghanistan hatten wir die Anschläge von 9/11. Und viele meinen, das hätte uns ein gewisses Recht zum Angriff gegeben. Afghanistan ist nicht so eindeutig ein Verbrechen gegen den Frieden. Nicht so eindeutig ein Angriffskrieg. Aber der Irak ist ein klarer Angriffskrieg. Ohne Weltsicherheitsrat. Ohne einen Angriff auf die USA. Es war keine Selbstverteidigung. Die legale Basis beim Irakkrieg ist genauso wie bei Hitlers Invasion in Polen. Oder wie bei der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Oder bei Saddam Husseins Invasion in Kuwait.

Herr Ellsberg, muss es denn unbedingt ein Hitler-Vergleich sein?

Ich würde es vorziehen, mich nicht auf die Nazis zu beziehen. Aber wenn Sie in die Geschichte schauen, finden Sie nicht so viele Versuche, ganze Regionen durch Gewalt zu verändern. Für die Neocons unter Bush war der Irak bloß der Anfang. Danach wollten sie in den Irak, nach Afghanistan und in den Iran. Und sie haben auch über Ägypten nachgedacht und Syrien. Es war ein Krieg ohne einen Funken von Legitimität. ES gab nur Lügen über angebliche Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen. Die USA waren die Aggressoren. Etwas, wofür die Verantwortlichen in Nürnberg gehenkt worden sind.

Nie zuvor hat es mehr Kritik und Proteste gegen einen Krieg gegeben, bevor der Krieg überhaupt begann. Sowohl in den USA als auch weltweit sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Warum konnte das den Krieg nicht verhindern?

Die Protestierenden waren nicht die Medien und die Abgeordneten. Und dann war da noch die verabscheuungswürdige Komplizenschaft der europäischen Regierungen in der Koalition der Willigen.

Nicht ganz Europa war willig. Es gab auch ein paar Regierungen, die 2003 dagegen waren. Das „alte Europa“. Die französische Regierung zum Beispiel. Und die deutsche ebenfalls.

Sie waren auf der richtigen Seite. Die Deutschen sollten lernen, nicht mitzugehen.

Was kann die Antikriegsbewegung aus ihrem Scheitern im Jahr 2003 lernen?

Dass unser Land, unsere Medien, unsere Abgeordneten bereit sind, in einen Krieg zu gehen. Und gleich danach in einen weiteren Krieg zu gehen. So lange nicht zu viele Amerikaner gekillt werden, ist dies ein ganz gewöhnliches Imperium: brutal, aggressiv, ausbeuterisch. Mit einer Ausnahme: Wir haben die Weltuntergangsmaschine gebaut. Wir haben sie 60 Jahre lang behalten. Und wir haben keine Anstrengungen unternommen, um zu verhindern, dass die Russen uns imitieren. Wir wollten einen Feind. Jetzt – gleich nach dem Debakel im Irak – diskutieren wir über den Iran.

Sie sagen, Deutschland solle lernen, Nein zu sagen. Nein wozu?

Was wäre die deutsche Reaktion auf einen amerikanischen Angriff auf den Iran? Würde Deutschland – wie im Irak – erlauben, dass sein Luftraum genutzt wird? Was würde Deutschland tun, wenn wir Atomwaffen gegen den Iran einsetzen? Bleibt Deutschland in der Nato? In einer angeblich defensiven Allianz, in einer Zeit, wo der Warschauer Pakt und die Sowjetunion nicht mehr existieren und wo das stärkste Mitglied der Allianz in einem aggressiven Krieg ist?

Sie halten ein Bombardement des Irans mit Präsident Obama für möglich?

An diesem Abzug sitzt Israel.

Ich rede von Washington.

Wenn Israel in den Krieg zieht, müssen die USA Israel unterstützen. Das würde jeder Präsident tun – ganz egal ob Demokrat oder Republikaner. Ein US-Präsident, der sich weigert, Israel zu unterstützen, wenn der Iran gegen Israel zurückschlägt, würde binnen weniger Tage vom Kongress amtsenthoben werden. Lediglich eine Handvoll würde sich dagegen stellen.

Sonntaz Das Gespräch 25./26. Mai 2013

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