zurück zur Übersicht - Israel, oh Israel
Von Dirk Schrader
Sein „Gedicht“ habe ich dreimal gelesen. Und „zur Sicherheit“ ist es im Folgenden abgedruckt:
Was gesagt werden muss
Warum schweige
ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde,
an deren Ende als Überlebende wir alle allenfalls
Fußnoten sind.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird
Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheim gehalten – ein wachsendes nukleare Potenzial verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestrandes, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat, empfinde ich als belastende Lüge und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt, sobald er missachtet wird; der Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.
Jetzt aber, weil
aus meinem Land, das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich
sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum
und rein geschäftsmäßig, wenn auch mit flinker Lippe als
Wiedergutmachung deklariert, ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll,
dessen Spezialität darin besteht,
allesvernichtenden Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die
Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als
Befürchtung von Beweiskraft sein will, sage ich, was gesagt werden
muss.
Warum aber schwieg ich bislang? Weil ich meinte, meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist, verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten.
Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muss, was schon morgen zu spät sein könnte; auch weil wir- als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.
Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen, es mögen sich viele vom Schweigen befreien, den Verursacher der erkennbaren Gefahr zum Verzicht auf Gewalt auffordern und gleichfalls darauf bestehen, dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potenzials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern, mehr noch, allen Menschen, die in dieser vom Wahn okkupierten Region dicht bei dicht verfeindet leben, und letztlich auch uns zu helfen.
Günter Grass
Günter Grass wurde heute, Ostern 2012, von der israelischen Regierung wegen dieses „Gedichts“ zur Persona non grata erklärt (mit einem Einreiseverbot belegt), „weil er mit seinem umstrittenen Gedicht den Hass auf Israel schürt“.
In den schnellen Nachrichten des Internets lese ich, dass auf einem Universitätscampus eine von Grass gestiftete Skulptur mit folgenden Worten braun-rot beschmiert worden ist:
„SS-Günni - Halts Maul!“
Welcher akademische Mob diese Worte auch veranlasst haben mag – sie treffen mich ins Herz. Daneben ist das, was unser ostzonaler Liedermacher Biermann über Grass` Gedicht schreibt, alberne Selbstdarstellung. Selbst Westerwelle & Co. haben nichts G´scheits von sich gegeben. Und die Empörten in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und im Zentralrat der Juden laben sich am Brei ihrer Selbstgerechtigkeit – sie salbadern dummes Zeug- nicht lesbar.
Wahrheit ist nicht die Wahrheit des Mainstreams. Wahrheit ist das, was ungefiltert und ungebremst von Wissenschaftlern erkannt worden ist – von Wissenschaftlern, die in Freiheit um die Erkenntnis ringen, niemandes Knecht und nicht käuflich sind.
Noam Chomsky´s Kritik an der Politik Israels ist nachlesbar; wer will der kann. Wer nicht lesen (kann) will – eben nicht. Chomsky ist Jude und zweifelsfrei kein Antisemit. Aber er lebt in den USA – unangefochten als Mensch und Wissenschaftler- jedoch von den Medien dort gemieden – wie eine heisse Kartoffel, die den Gaumen der New York Times verbrennen könnte.
Grass und Chomsky sind Brüder im Geiste, und ich akzeptiere nicht, dass sie von der korrumpierten Elite unserer Republik verächtlich gemacht werden: Ich finde, Grass sagt die Wahrheit. Sie ist schmerzhaft aber kristallklar – ohne Trübung. Seine Worte versteht doch wohl jeder, oder?
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Welche Väter, Großväter, Onkel unserer nachwachsenden Jugend waren nicht in der SS?
Einer meiner Onkel war bei der Reiter SS. Die „schneidigen Jungs“ sahen auf ihren Pferden alle aus wie Amon Göth. Und was machten die? Diese Herrenmenschen-Elite umstellte die Dörfer in Polen und Russland – jeder Fluchtversuch der Einwohner wurde bei einem Angriff der Wehrmacht auf elegante Weise verunmöglicht: Hasenjagd nannte man das, was da passierte. Sie war es auch, die die Unglücklichen in Holzhäuser oder Holzkirchen trieb und Feuer legte. Es waren Leute mit praktischem Sinn.
Das Ausmaß der Schande in unserem Land ist ohne Dimension.
Oft bin ich in Israel gewesen. Nicht nur als „Touri“ in Jerusalem oder am See Genezareth. Die Menschen dort sehnen sich nach Sicherheit und Frieden – aber die National-Religiösen machen ständig Lärm. Sie treiben die Gesellschaft Israels vor sich her mit dem erklärten Ziel: Groß-Israel. Okkupation, Enteignung, Verhaftung oder Vertreibung – die Palästinenser dort haben keine Chance. Ihr Leben wird ihnen - von Staats wegen - systematisch unerträglich gemacht. Sie leben wirklich im Dreck.
Haben Sie mal die Mauer gesehen, die das Westjordanland abriegelt? Na klar – ein Bollwerk gegen Terroristen – hochwirksam. Als ich das letzte Mal in Bethlehem war, fragte ich mich, was ich wohl tun würde, wenn ich dort leben müsste: Abhauen oder Terrorist – na klar. Keine weiteren Alternativen.
Dieses andauernde Unrecht hat sich auf das Bewusstsein der Menschen des gesamten „islamischen Gürtels“ übertragen: Der unglaubliche Haß auf Israel und „den Westen“ transportiert sich von Ramallah in den Himalaya, in den Kaukasus, in den Maghreb, den Sudan- und zurück.
Iran – das erdöl- und erdgasreichste Land der Region greift nach der Atomwaffe. Eine logische Konsequenz unter Berücksichtigung der jüngsten Geschichte dieses Landes. Dort hat man Erfahrung mit den Hinterhältigkeiten und der Gewalt anglo-amerikanischer Regierungen.
Und da Geschichte ein unbeliebtes Fach in den Schulen ist, weiss in Deutschland niemand, was der Schah Reza Pahlevi seinerzeit mit dem Wohlwollen von BP , Esso und Shell im Iran anrichtete. Lesen Sie es gefälligst selbst und fragen sich dann bitte: „Würden Sie die Atombombe bauen, wenn Sie Ahmadinedschad hiessen?“ Ich ja. Denn unsere westlichen Freunde benötigen dringend Öl und Gas, welches sie am preiswertesten erhalten könnten, wenn sie wieder einen Schah inthronisierten.
„Ach was-„ würde jetzt Loriot gesagt haben.
In Israel kreierte jüngst ein junger israelischer Vater ein Plakat, welches ihn mit seiner kleinen Tochter zeigte: Sie hatte ein israelisches Fähnchen in der Hand. Unter dem Bild stand so etwas wie: „Iranians we love you – we do not want war“. Wirklich anrührend. Der junge Mann hätte mein Sohn sein können. Und da ich eine israelische Schwiegertochter habe, die meinem Sohn zwei bezaubernde Töchter geboren hat, frage ich mich: Wie fühlt man sich denn in Herzlia, wenn in den Medien dort ständig der Angriff auf den Iran „zur Beseitigung seiner Atomwaffenfabriken“ durchgespielt wird?
Wer nach Israel einreist, bekommt im Flughafen Ben Gurion mal wieder eine Gasmaske aufgedrängt. Zu vernehmen ist, dass das Land nur 800 – 900 Tote im Falle eines israelisch-iranischen Krieges zu beklagen hätte. Wirklich beruhigend. Mehr nicht? Aber eigentlich möchte ich nicht, dass meine Kinder und Enkel unter den Toten sein werden.
Hoffentlich greift die israelische Luftwaffe den Iran erst an, wenn meine Kinder und Enkel vom Pessach Fest kommend wieder in Hamburg sind.
Die Perversion des Denkens. Schlimm und unwürdig. Die Wahrheit, die hinter dem angeheizten Nahost-Konflikt steht, ist die von Günter Grass, Noam Chomsky und vielen anderen, die man allerdings lesen muss, um dem (gleich) geschalteten Mainstream zu entgehen. Und natürlich – man muss sie verstehen wollen.
Der Ober-Ober-Spezialist für Deutsch-Israelische Fragen, Avi Primor, befindet, Grass sei kein Antisemit , „aber es sei Unsinn, wenn er behaupte, Israel wolle den Iran auslöschen“. Hat der Heini das Gedicht überhaupt gelesen?
Das Dauer-Trauerspiel in unserem schönen Land ist heute unter anderem, dass auch „Hochrangige“ nicht lesen bevor sie den Mund aufmachen. Das erfüllt mich mit Ekel.
Lieber Günter Grass,
solange Du
in Israel Persona
non grata bist, werde ich da nicht mehr hinfahren. Ich danke Dir für
Deine sorgsam gewählten Worte.