Milliarden
im Salzstock versenkt
Von Wolfgang Ehmke
Immer noch favorisiert die Bundesregierung Gorleben als Endlager. Dabei ist es geologisch ungeeignet. Ein vergleichendes Verfahren gibt es bis heute nicht.
Die Debatte um ein Endlagersuchgesetz ist voll entbrannt. Und doch blieb das Treffen der Vertreter von Bund und Ländern in Berlin kürzlich ohne greifbares Ergebnis. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hatte den ersten Entwurf für ein Endlagersuchgesetz vorgelegt – und ist nicht bereit, auf Gorleben zu verzichten. Gorleben bleibt für ihn und die Regierungsparteien der „Referenzstandort“. Lediglich von mehr Bürgerbeteiligung ist die Rede.
Vor 35 Jahren wurde Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum per Handstreich ausgewählt. Ausschlaggebend war damals nicht die Geologie, gesucht wurde ein Areal von zwölf Quadratkilometern für den Bau eines Nuklearen Entsorgungszentrums, Herzstück war die eine Wiederaufbereitungsanlage mit Brennelementefabrik. Die Entscheidung musste sich rächen, denn der Salzstock hat Wasserkontakt, systematisch wurde bei den Sicherheitsbetrachtungen ausgeklammert, dass es auch Gasvorkommen und Gaseinschlüsse gab.
1983 wurde ein historischer Moment verpasst, um unbeschädigt aus dem Projekt auszusteigen.. Nach der Auswertung der Tiefbohrungen reifte in der Vorläuferbehörde des Bundesamtes für Strahlenschutz, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die Einsicht, dass der Salzstock Gorleben als nukleares Endlager untauglich sei. Die Bundesanstalt rückte im Mai 1983 von Gorleben ab und schlug vor, auch andere Standorte zu untersuchen, aber die Regierung Helmut Kohls intervenierte und wies die Behörde an, diesen Passus in ihrem Bericht zu streichen.
1986 begann man in Gorleben mit dem Bau der Schächte und des Bergwerks; inzwischen wurden 1,6 Milliarden Euro in Gorleben versenkt, ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren. Zum Vergleich: die Bundesanstalt für Strahlenschutz beziffert die Kosten für die obertägige Erkundung an anderer Stelle auf 0 Millionen, die untertägige auf 250 Millionen.
Der Regierungswechsel 1999 brachte ein Moratorium. Der Arbeitskreis Endlagerung nahm seine Arbeit auf und sprach eine bisher uneingelöste Empfehlung aus: Das Lager für hoch radioaktive Abfälle sollte in einem vergleichenden Verfahren gefunden werden. Das Moratorium in Gorleben wurde unter Schwarz-Gelb im Oktober 2010 wieder kassiert, die Debatte um die geologischen Schwachpunkte aber verschärfte sich mit jedem Castor-Transport nach Gorleben.
Der Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, hat zudem eine weitere Schwachstelle Gorlebens ausgemacht. Er warnt davor, auf einen Standortvergleich zu verzichten, weil das in einem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren dazu führen könnte, dass Gorleben nicht wegen der Geologie, sondern wegen der Plandefizite scheitern könnte. Nahezu neun Millionen Euro fließen jetzt in eine vorläufige Sicherheitsanalyse, mit deren Durchführung Röttgen die Gorleben-affine Gesellschaft für Reaktorsicherheit sowie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe beauftragt.
Für die SPD-geführten Länder formuliert die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), das Gegenkonzept: Gorleben ist nicht vom Tisch, ist aber nicht als Referenzstandort gesetzt. Verwunderlich nennt es Lemke, dass in dem Gesetzentwurf das Thema Gorleben „faktisch ausgeklammert“ sei. Es müsse klar geregelt werden, dass der umstrittene Standort Niedersachsen „in jeder Phase der Suche aufgrund vorab definierter Kriterien… ausscheiden kann“. Da bisher das atomrechtliche Genehmigungsverfahren für Gorleben nicht eröffnet ist, gibt es auch kein Prozessrisiko. Der Irrsinn, die Sicherheitskriterien dort immer an die negativen Befunde anzupassen, kann und muss politisch beschlossen werden.
Röttgen handelt so, weil in Gorleben bereits 1,6 Milliarden Euro versenkt wurden und weil er das ausgeklügelte Geschäftsmodell der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe im Kopf hat. Profit geht also wieder einmal mehr vor Sicherheit.
Bei den Sozialdemokraten und den Grünen spielt eine viel größere Rolle der politische Druck, der entsteht, wenn andere Standorte in den Bundesländern, in denen es eine Regierungsbeteiligung von SPD und/oder Grünen gibt, benannt werden und Gorleben definitiv raus ist.
Statt eines überhasteten Vorgehens fordern die Gorleben-Gegner eine breite gesellschaftliche Debatte über die bisherigen gescheiterten Konzepte: Angesichts der schockierenden Skandalgeschichte des Endlagers Asse, das als Prototyp für das Endlager im Salzstock Gorleben betrieben wurde, muss die Kompetenz und Glaubwürdigkeit aller Beteiligten, die zu Asse und Gorleben Verantwortung tragen, überprüft werden. Ein faires wissenschaftsbasierendes Verfahren ist aber nur möglich, wenn Gorleben als Standort endlich ausgeschlossen wird.
Wolfgang Ehmke ist Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. und Mitglied der Grünen.
FR 1.3.2012