Guernica
Von Wolfgang Wippermann
Vor 75 Jahren
zerstörte die deutsche Legion Condor die baskische Stadt Guernica.
Ein Zivilisationsbruch, den die Bundeswehr einst einen „vollen
Erfolg“ nannte.
„Einfach
toll“ fand der Stabschef der Legion Condor, Wolfram von Richthoven,
den deutschen Luftangriff auf die baskische Stadt Guernica. Dabei
wurden am 26. April 1937 innerhalb von drei Stunden über 70 Prozent
der Stadt zerstört und mindestens tausend ihrer Bewohner ermordet.
Dieses bis dahin im 20. Jahrhundert beispiellose Kriegsverbrechen
hatte Herrn von Richthoven offenbar fasziniert. Warum ?
Weil der Luftangriff auf Guernica eine Generalprobe für das war, was der deutsche General Erich Ludendorf – während des Ersten Weltkrieges Chef der Obersten Heeresleitung – einmal als „totalen Krieg“ bezeichnet hatte. Gegnerische Städte sollten nicht verschont, sondern durch Luftangriffe zerstört und ganz und gar verbrannt werden. Der italienische Dichter Gabriele D´Annunzio gebrauchte in diesem Zusammenhang das griechische Wort holocaustus, was „ganz und gar verbrannt“ bedeutet. Der Luftangriff auf Guernica war ein solcher Holocaust und markierte vor 75 Jahren einen universalen Zivilisationsbruch.
Der Erste, der dies erkannt hat, war Pablo Picasso. Sein erstmals auf der Pariser Weltausstellung von 1937 gezeigtes Meisterwerk Guernica dokumentiert diesen Bruch und klagt die Urheber an. Die spanischen Faschisten reagierten auf die Anklage mit einem monumentalen Altarbild von José Maria Sert. Es wurde gleichfalls auf dieser Weltausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Serts Machwerk trug den umständlichen Titel: Die Heilige Theresa, Botschafterin der göttlichen Liebe zu Spanien, bietet unserem Herrn die spanischen Märtyrer von 1936 an. Dabei wurde die Heilige Theresa durch eine Frau dargestellt, die wie ein deutscher Stuka (Sturzkampfbomber) vom Himmel stürzt, um von den Republikanern getötete und deshalb zu „Märtyrern“ erklärte spanische Faschisten direkt in dcen Himmel zu bringen. Serts Heilige Theresa war die Antwort auf Picassos Guernica. Der faschistische Vernichtungskampf unter General Franco gegen die Basken und die gesamte Spanische Republik wurde damit zum „gerechten Krieg“ – zum „Kreuzzug“ – gegen den „gottlosen Bolschewismus“ verklärt. Dies entsprach dem Versuch, einen modernen Zivilisationsbruch durch den mittelalterlichen Keuzzugsgedanken zu legitimietren, sodass die Opfer verteufelt, die Täter aber verherrlicht wurden.
An dieser These hielten im Nachkriegseuropa neben den spanischen Faschisten besonders die Päpste in Rom fest. Man schwieg über die Verbrechen der falangistischen Armee Francos und ihrer willigen Helfer aus der deutschen Wehrmacht. Es gab kein Wort des Bedauerns für die Toten von Guernica und des gesamten Bürgerkrieges zwischen 1936 und 1939. Ganz im Gegenteil: Noch vor fünf Jahren wollte es sich Papst Benedikt der XVI. nicht nehmen lassen, einige seinerzeit getöteten Franco-Faschisten s e l i g z u s p r e c h e n, während das Kriegsverbrechen von Guernica weiterhin geleugnet wurde.
In der „freien Welt“ war dies anders. Hier konnte Guernica nicht einfach übergangen werden. Schließlich gab es ja Picassos gleichnamiges Bild. Seine anklagende Wirkung wurde gefürchtet. Auch vom einstigen US-Außenminister Colin Powell. Bevor der am 5. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat mit – wie man heute weiß – gefälschten Dokumente die Wochen später beginnende Intervention gegen den Irak zu rechtfertigen suchte, ließ er eine Kopie des Picasso-Bildes verhüllen, die sich im Saal befand.
Und wie war es bei „uns“ – den Deutschen in Ost und West? In der DDR wurden zwar nicht unbedingt alle Opfer der NS-Diktatur und ihrer europäischen Vasallen, wohl aber die Kämpfer gegen den Faschismus geehrt. So auch die Interbrigadisten, die nach Spanien gingen, um hier den Faschismus zu schlagen. Das war gut und berechtigt. Nicht gut und nicht gerecht war freilich, dass einige dieser wirklich ehrenwerten Antifaschisten damals andere Antifaschisten verfolgt und ermordet haben. So die Mitglieder des als trotzkistisch geltenden POUM (Partido Obrero de Unification Marxista). Dass diese Verbrechen, an die erst George Orwells Buch Mein Katalonien und dann in Ken Loachs Film Land and Freedom erinnert worden ist, in der DDR verschwiegen wurden, bezeugt eine selektive Wahrnehmung von Geschichte.
In der Bunderepublik war vieles anders, aber kaum besser. Hier war zwar Picassos Bild, aber nicht das Schicksal der Stadt bekannt. Ich zum Beispiel habe von Guernica im Kunst-, aber nicht im Geschichtsunterricht gehört. Mein Unwissen hatte mit dem allgemeinen Nicht-wissen-Wollen zu tun. Das deutsche Kriegsverbrechen von Guernica ist von Militärhistorikern im Westen konsequent geleugnet worden. Man habe doch nur eine Brücke treffen wollen, wurde stets versichert. Dass man diese übrigens nur zehn Meter breite Brücke gar nicht getroffen hat und auch gar nicht treffen wollte, blieb ungesagt. #
Für einige Militärs in der Bundeswehr war die Bombardierung von Guernica kein Verbrechen, sondern „ein voller Erfolg der Luftwaffe“. Dennoch wollte Generalmajor Jürgen Schreiber von dem „Guernica-Geschwätz“ nichts mehr hören. Davon fühlte sich die Bundeswehr bei ihrer Traditionspflege gestört. Schließlich waren einige ihrer Kasernen und Fliegerhorste nach ehemaligen Angehörigen der Legion Condor benannt.
Übertroffen wurde die Traditionspflege der Bundeswehr noch von der Lufthansa. Eines ihrer Tochterunternehmen hieß Condor Flugdienst GmbH und transportierte sonnenhungrige Deutsche in spanische Städte, von denen einige durch Flugzeuge der Legion Condor bombardiert worden waren. Guernica befand sich nicht darunter, doch nach Guernica fuhr ohnehin keiner.
Auch die 68er taten es nicht. Sie gingen lieber nach Nicaragua oder gleich nach Mallorca. Ansonsten schwärmten sie für den fernen Internationalismus und betrieben nationale Nabelschau. Dabei wurde dann auch der Holocaust entdeckt und als Zivilisationsbruch gedeutet. Man versteht darunter den Völkermord an den Juden – nicht den Genocid an den Sinti und Roma, nicht sonstigen faschistischen Rassenmord, nicht den Holocaust von Guernica. An ihn erinnerten wenige. Zu nennen sind Petra Kelly von den Grünen, die SPD-Politikerin Ute Vogt, die Stadt Pforzheim, die eine intensive Partnerschaft mit Guernica aufnahm, und der kleine, aber rührige Deutsch-Baskische Kulturverein Guernica, dem seit 1997 verschiedene Gedenkveranstaltungen zu verdanken sind.
Erreicht wurde nicht viel, aber doch etwas. Der Bundestag lente zwar 1997 ab, sich für die Zerstörung von Guernica zu entschuldigen. Noch im gleichen Jahr korrigierte aber der damalige Bundespräsident Roman Herzog dieses Versäumnis. Er ließ den Bürgern der Stadt ausrichten, dass er sich „zur schuldhaften Verstrickung deutscher Flieger“ ausdrücklich bekenne. Die Bundesregierung bewilligte daraufhin einen Zuschuß von drei Millionen DM für den Bau einer Sporthalle in Guernica. Im Berliner Bezirk Zehlendorf geschah auch etwas. Hier erhielt eine Straßenkreuzung den Namen Guernica-Platz. Der liegt an der vormaligen Wannsee-Allee, die 1939 zu Ehren der siegreich aus Spanien zurückkehrenden Legion Condor in Spanische Allee umbenannt wurde. Für Lokakpolitiker im Bezirk Prenzlauer Berg war der Guernica-Platz zu viel Vergangenheitsbewältigung. Hier wurde die Artur-Becker-Straße in Winrich-von-Kniprode-Straße umbenannt. Warum? Artur Becker war ein kommunistischer Interbrigadist, der in einem Gefängnis der Fraquisten erschossen wurde – Winrich von Kniprode hingegen war ein guter Kreuzritter. Jetzt fehlt nur noch die Heilige Theresa.
Wolfgang Wippermann ist apl. Professor für Geschichte in Berlin
Ersterscheinung
des Textes in der Freitag 19.4.2012