zurück zur Hauptseite



Die Konsens-Manufaktur


Wie die öffentliche Meinung manipuliert wird

Vorwort von Dirk Schrader

Im Jahr 2012 erschüttern die „Wirtschaftskrise“ und die „Eurokrise“ weiter unsere Gesellschaft. Es gibt kaum Medien, die nicht täglich Leser oder Zuschauer mit ergänzenden und doch beruhigenden Nachrichten versorgen: „Alles nicht so schlimm – Mutti Merkel macht das schon.“

Dabei dürften die genannten „Krisen“ keinerlei Auswirkungen auf unser aller Wohlbefinden haben, jene natürlich ausgenommen, die kaum etwas für ihren Lebensunterhalt verdienen können und jene, die es gar nicht gibt, weil sie in keiner Statistik auftauchen. Deutschland ist nach wie vor Exportweltmeister – nicht nur in Sachen Technologie. Alles läuft rund, der Dax ist in Höhen, die in den abendlichen Fernsehnachrichten stets jubelnde Erwähnung finden.

Gibt es Nachrichten über Afghanistan, über den Irak? Was ist mit den Kriegsvorbereitungen der USA und der Nato gegen den Iran? Und vor allem: Wieso wird unsere Polizei mit Kriegswaffen ausgerüstet? Und - wieso erhält die Bundeswehr entgegen den Grundsätzen des Grundgesetzes die Möglichkeit des „Eingreifens“ im Inneren? Was ist mit Israel und den Palästinensern? Und vor allem: Wieso verhungern in Afrika und Asien immer noch Menschen? Welchen Sinn machen „Abfangraketen“ der US-Streitkräfte in Polen, Tschechien, Ungarn und Rumänien? Was war das eigentlich mit der Schweinegrippe und der Vogelgrippe?

*


Noam Chomsky schreibt in seinem Buch Media Control, Europa Verlag


Die Rolle der Medien in der gegenwärtigen Politik zwingt uns zu der Frage, in was für einer Welt und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, und vor allem, in welchem Sinn diese Gesellschaft demokratisch verfaßt sein soll. Ich möchte zunächst zwei unterschiedliche Konzeptionen von Demokratie einander gegenüberstellen. Die eine geht davon aus, daß in einer demokratischen Gesellschaft die Bevölkerung die Möglichkeit hat, sich auf sinnvolle Weise an der Regelung ihrer Angelegenheiten zu beteiligen und ungehinderten Zugang zu den Informationsmitteln besitzt. Wenn man in einem, Lexikon den Begriff „Demokratie“ nachschlägt, wird man eine Definition dieser Art erhalten.

Eine andere Konzeption besagt, daß die Bevölkerung von der Regelung ihrer Angelegenheit ausgeschlossen und der Zugang zu den Informationsmitteln streng begrenzt und kontrolliert werden muß. Das mag sich seltsam anhören, aber diese Konzeption von Demokratie ist die vorherrschende, und das schon seit langem, in der Theorie ebenso wie in der Praxis. Es ist eine Geschichte, die bis zu den frühesten demokratischen Revolutionen im England des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Ich betrachte im folgenden die Epoche der Moderne, sage etwas zur Entwicklung des Demokratiebegriffs und erörtere, wie und warum das Problem der Medien und der Desinformation in diesem Zusammenhang auftaucht.


Frühgeschichte der Propaganda

Beginnen wir mit der ersten modernen Propagandaoperation einer Regierung. Sie fand während des Amtsantritts von Wodrow Wilson statt, der 1916 mit dem Slogan „Frieden ohne Sieg“ zum Präsidenten der USA gewählt worden war. ZU der Zeit, Mitte des Ersten Weltkriegs, war die amerikanische Bevölkerung äußerst pazifistisch gesonnen und sah keinen Grund, sich in einen europäischen Krieg hineinziehen zu lassen. Die Regierung Wilson hatte sich jedoch auf einen Kriegseintritt festgelegt und mußte nun etwas gegen die friedfertige Stimmung unternehmen. Es wurde eine Propaganda-Agentur, die so genannte Creel-Kommission, auf die Beine gestellt, der es innerhalb von sechs Monaten gelang, die Bevölkerung in eine hysterische Begeisterung zu versetzen. Jetzt auf einmal wollte man alles Deutsche vernichten, die Deutschen in Stücke reißen, in den Krieg ziehen und die Welt retten. Dieser propagandistische Erfolg führte zu weiteren Unternehmungen ähnlicher Art: Nach dem Krieg benutzte man die gleiche Technik, um die „Angst vor den Roten“ (Red Scare) zu schüren, wobei es gelang, der Gewerkschaftsbewegung schweren Schaden zuzufügen und so gefährliche Probleme wie die politische Meinungs- und Pressefreiheit zu beseitigen. Geschäftswelt und Medien sekundierten diesem Unterfangen, das insgesamt ein großer Erfolg wurde.

Zu denen, die sich aktiv und begeistert an Wilsons Kriegstreibereien beteiligten, gehörten auch progressive Intellektuelle aus dem Kreis um John Dewey, die, wie man ihren Schriften entnehmen kann, sehr stolz darauf waren, daß es den (so ihre Worte) „intelligenteren Mitgliedern der Gemeinschaft“, nämlich ihnen selbst, gelungen war, durch Verbreitung von Schreckbildern und nationalistischem Fanatismus den Krieg schmackhaft zu machen. Dazu waren ihnen so ziemlich alle Mittel recht, wie etwa die „Greuelpropaganda“, die den abfällig „Hunnen“ genannten Deutschen das Zerstückeln belgischer Kinder und andere Grausamkeiten andichtete, die in manchen Geschichtsbüchern immer noch zu lesen sind. Vieles davon beruht auf Erfindungen des britischen Propagandaministeriums, das damals, wie sich geheimen Unterlagen entnehmen läßt, das Ziel verfolgte, „die Gedanken fast der gesamten Welt zu lenken“. Vor allem aber wollte man die Gedanken der „intelligenteren Mitglieder der Gemeinschaft“ in den Vereinigten Staaten lenken, damit die von den Briten zusammengekochte Propaganda dort Verbreitung finden und eine friedliche Bevölkerung in Kriegshysterie stürzen könne. Das gelang sehr gut, und man konnte eine Lehre daraus ziehen: Die Wirkungen staatlicher Propaganda

Sind umso größer, je mehr sie von den gebildeten Schichten unterstützt und keine Kritik daran zugelassen wird. Diese Lektion haben Hitler und viele andere gelernt, bis auf den heutigen Tag.

Ebenso beeindruckt von diesen Erfolgen waren liberal-demokratische Theoretiker und führende Persönlichkeiten der Medien wie etwa Walter Lippmann, der Doyen der amerikanischen Journalisten, ein einflußreicher Kritiker der Innen- und Außenpolitik der USA und ein großer Theoretiker der liberalen Demokratie. Lippmann war an den Propagandakommissionen beteiligt gewesen und hatte den Wert ihrer Errungenschaften erkannt. Er meinte, daß eine von ihm so genannte „Revolution in der Kunst der Demokratie“ dazu führen könnte, „Konsens“ herzustellen (manufacturing consent), d.h., mittels der neuen Propagandatechniken die Öffentlichkeit auf Ergebnisse einzustimmen, die sie eigentlich ablehnt…(…)

Erhielt dies für eine gute, ja sogar notwendige Idee, weil, wie er sagte, „das Interesse des Gemeinwesens sich der öffentlichen Meinung völlig entzieht“ und nur von einer „spezialisierten Klasse … verantwortlicher Männer „, die über das notwendige Wissen verfügen, begriffen und in Angriff genommen werden kann. Seiner Theorie zufolge kann lediglich eine kleine Elite – die Gemeinschaft der Intellektuellen, von der die Dewey-Anhänger sprachen- das Interesse der Allgemeinheit adäquat in die Tat umsetzen. Das ist eine sehr alte und zugleich typisch leninistische Sichtweise, die hervorragend mit Lenins Konzept einer revolutionären Avantgarde, so Lenin, dazu befugt, aufgrund einer allgemeinen Revolution die Staatsmacht zu übernehmen um die Bevölkerung dann einer Zukunft entgegenzuführen, die außerhalb der begrifflichen Reichweite der dumpfen Masse liegt. Insofern gehen liberal-demokratische Theorie und Marxismus-Leninismus von gemeinsamen ideologischen Voraussetzungen aus….(…)

Hinter dieser Theorie steckt eine Logik und sogar ein zwingendes Moralprinzip. Es besagt, dass die Masse der Bevölkerung zu dumm ist, um größere Zusammenhänge zu begreifen. Wenn sie den Versuch unternimmt, sich an der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zu beteiligen, stört sie lediglich den reibungslosen Ablauf. Darum wäre es unmoralisch und unverantwortlich, dergleichen von ihr zu verlangen. Wir müssen die Herde zähmen, damit sie nicht alles zertrampelt. Ihr Beteiligung an Entscheidungsprozessen zuzugestehen, wäre ebenso unklug wie ein dreijähriges Kind allein über die Straße laufen zu lassen, weil es mit dieser Freiheit sich selbst und andere gefährden könnte…(…)

Das ist das Ideal der Privatwirtschaft und der PR-Industrie, und sie unternehmen große Anstrengungen, es zu erreichen. Die „verwirrte Herde“ muß ruhig gehalten und abgelenkt werden. Sie soll sich den Superbowl anschauen oder Sitcoms oder Krimi- und Horrorfilme, und ab und zu bedeutungslose Slogans – „Unterstützt unsere Truppe!“ – rezitieren. Sie muß vor allen möglichen Teufeln, die sie von außen oder innen oder sonstwoher bedrohen, in Angst und Schrecken gehalten werden, weil sie sonst anfängt zu denken, was gefährlich ist, da die Herde nicht denken kann…(…)

Manchmal ist es notwendig, die Bevölkerung (und sei es mit der Peitsche) zur Befürwortung außenpolitischer Abenteuer zu bewegen. Normalerweise sind die Leute, wie während des Ersten Weltkriegs, friedliebend eingestellt und sehen keinen Grund für die Regierung, in anderen Ländern Folter, Krieg und Mord zu betreiben. Folglich muß die Angstpeitsche geschwungen werden. Bernays selbst, der schon Mitglied der Creel-Commission gewesen war und dort Lektionen gelernt hatte, gelang in dieser Hinsicht ein beachtlicher Erfolg. Er leitete 1954 die PR-Kampagne für die United Fruit Company, als die USA darangingen, die demokratisch gewählte Regierung von Guatemala zu beseitigen und durch eine mörderische Clique von Todesschwadronen zu ersetzen, die bis heute, mit amerikanischer Unterstützung, am Ruder ist, um die Errichtung einer substantiellen Demokratie dauerhaft zu verhindern“…(…)


Fortsetzung folgt

zurück zur Hauptseite