Die
Hölle auf Erden
Die globalen Aufwendungen für Kriegswaffen übertreffen bei Weitem die Mittel,
die für die Sicherung der Grundbedürfnisse der Ärmsten ausgegeben werden.
Von Matthias Jochheim
Die Attentate vom 11. September 2001 hatten mehrere militärische Interventionen zur Folge, bei denen weit mehr Menschen ums Leben kamen als bei den eigentlichen Anschlägen. Allein der Krieg und die jahrelange militärische Besatzung im Irak kostete seriösen Schätzungen zufolge bislang etwa eine Million Menschen das Leben, mehrheitlich Zivilisten, die nicht an den Kämpfen teilnahmen.
Der „Krieg gegen den Terror“, der heute auch mit Drohnen von den USA aus ferngesteuert zum Beispiel in Pakistan immer wieder zivile Opfer fordert, ist nun zu einem endlosen Feldzug geworden. „Krieg gegen den Terror“ – das ist ein Widerspruch in sich selbst: Nicht erst die Folterbilder aus dem irakischen Abu Ghraib sowie aus Guantanamo haben der Weltöffentlichkeit gezeigt, dass die westlichen Militärmächte, angeführt von den USA, zu einer schweren Belastung und dauerhaften Gefahr geworden sind für das, was wir, gemeinsam mit der großen Mehrheit unserer Mitbürger wollen: eine Welt ohne Krieg, eine wahrhafte Kultur des Friedens.
Deutschland, von keinem äußeren Feind bedroht, hätte längst ohne jede Gefahr ein Beispiel geben und seine Armee nach Ende der Blockkonfrontation auflösen können. Die freiwerdenden Milliardenbeträge hätten für dringendere Projekte im Umweltschutz, für die Unterstützung notleidender Menschen in armen Ländern und für eine effiziente zivile Konfliktbearbeitung auf internationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden können.
Die globalen Aufwendungen für Kriegswaffen, die etwa 1,6 Billionen Dollar jährlich betragen, stehen im eklatanten Missverhältnis zu den Mitteln für die Sicherung der Grundbedürfnisse der Ärmsten. Hier fehlt das Geld, dabei müssten nur circa 100 Milliarden US-Dollar dazu bereitgestellt werden, das heißt gerade einmal 6,25 Prozent der Ausgaben für Kriegsvorbereitung.
Wir erleben – heute mehr denn je – eine schwere Krise des internationalen Zusammenlebens, die unabdingbar nach zukunftsfähigen Lösungen verlangt. Unsere Welt ist geprägt von zunehmender wechselseitiger Abhängigkeit, wofür die bedrohlichen globalen Klimaveränderungen nur ein Beispiel sind. Immer bessere Möglichkeiten der Kommunikation machen zudem umso deutlicher, dass wir eine Kultur der gleichberechtigten Zusammenarbeit brauchen, um das menschliche Leben auf diesem Planeten wirklich human zu gestalten.
Aus der derzeitigen wirtschaftlichen Krise entsteht für Millionen von Menschen eine schwere Bedrohung, die auch globale Folgen mit sich bringt. Wie der Zauberlehrling in Goethes Gedicht verlieren unsere Gesellschaften die Kontrolle über die Kräfte, die sie gerufen haben. Die Eigendynamik von Finanzmärkten und Wirtschaftszyklen wird zur massiven Gefahr für das Wohlergehen und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften. Wer denkt da nicht an den Verlauf der großen Weltwirtschaftskrise des vorigen Jahrhunderts, dem daraus folgenden Zerfall von internationaler Kooperation, dem Aufstieg des rassistischen, den Krieg propagierenden Nazi-Regimes in Deutschland und schließlich dem Zweiten Weltkrieg mit seinem ungeheuren Leid und ungeheuren Zerstörungen? Der grauenhafte Schlusspunkt war der Atomwaffeneinsatz gegen Hiroshima und Nagasaki.
Kausale Therapie, also die Ursachen von Krankheiten zu bekämpfen, das setzt sich die medizinische Wissenschaft zum Ziel. Rudolf Virchow, der berühmte Erforscher der Infektionskrankheiten, leistete einen wesentlichen Beitrag für deren erfolgreiche Bekämpfung, indem er sich exemplarisch auch für einen effizienten Ausbau des Berliner Abwassersystems einsetzte.
Wenn wir wirksam gegen die menschen-gemachte Katastrophe des Krieges handeln wollen, dann müssen wir auch konsequent eine Ökonomie kritisieren, die den menschlichen Egoismus und die Gewinnsucht zum wesentlichen Motor macht Wir brauchen eine grundlegende Demokratisierung dieses essentiellen gesellschaftlichen Sektors; nicht mehr Profitmaximierung, sondern Nutzen für die gesamte Bevölkerung und Schonung der natürlichen Ressourcen müssen zu den entscheidenden Kriterien für die Funktionsweise der Wirtschaft werden.
Es gibt eine bildliche Vorstellung von der Hölle, die mich beeindruckt: Rund um einen großen Kessel mit nahrhaftem Brei sitzen mehrere Menschen, jeder ausgestattet mit einem Löffel mit langem Stiel. Sie können mit diesem langstieligen Löffel ihren eigenen Mund nicht füllen – und ihre tragische Verblendung macht es ihnen unmöglich, den jeweils anderen zu füttern. Mir scheint dies ein einprägsames Bild unserer heutigen globalen Lage, in der wir mitten im Überfluss unserer Möglichkeiten Angst vor Not und Krieg haben müssen.
Matthias Jochheim ist Vorsitzender der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Aomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.)
Die Opferzahlen nach zehn Jahren Krieg sind im IPPNW-Report „Body Count“ zusammengetragen:
www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Body_Count_2012.05.pdf