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Bitte kräftig hinlangen!

Reichensteuern Früher war es eine Utopie, heute hat die Idee endlich den Mainstream erreicht. Jetzt folgt das lange Bohren dicker Bretter

Von Robert Misik

Ein Bündnis von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac und anderen Organisationen fordert – unterstützt von SPD, Grünen und Linkspartei – Reichensteuern. Und gleich hat es einen ganzen Strauß von Vorschlägen parat: höhere Spitzensteuersätze, eine Reform der Erbschaftssteuer, höhere Kapitalertragssteuern. Dass diese Forderung von diesen Protagonoisten erhoben wird, überrascht kaum. Bemerkenswert ist vielmehr, dass diese Forderung drauf und dran ist zum Mainstream zu werden.

Man sieht das daran, wie defensiv heute die üblichen Anwälte der Top-Vermögenden auf diese Forderung reagieren. Vor wenigen Jahren wäre das Ansinnen noch als Schnapsidee irrer Linksradikaler abgetan worden. Heute wird eingeräumt, dass es grobe Vermögensungleichheiten gibt, die jedem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen. Ein wenig mehr Umverteilung von oben nach unten sei „natürlich“ notwendig, heißt es nun -, aber bitte mit „Maß und Verstand“. Also nur in kleinen Schritten und homöopathischen Dosen.

Nach vier Jahren Finanzkrise ist die neoliberale Ego-Ideologie nicht besiegt, und auf die Politik hat sie nach wie vor dominanten Einfluss. Aber im gesellschaftlichen Ringen um Meinungs-Hegemonie führen ihre Anhänger immer mehr Rückzugsgefechte. Längst haben sie es aufgegeben, uns zu erklären, dass gesellschaftliche Ungleichheiten in Kauf genommen werden müssen, wenn man eine brummende Wirtschaft will, und dass es doch schön ist, wenn die Talentierten reich sind und in feinen Villen wohnen.

Tatsächlich sind heute ein paar Dinge klar. Erstens: die Einkommens- und Vermögensungleichheiten haben in den vergangenen 20 Jahren dramatisch zugenommen, und das hat der Wirtschaft geschadet. Heute verfügen in den westlichen Industriestaaten die reichsten 10 Prozent über zwei Drittel aller Vermögen, und die übrigen 90 Prozent dürfen sich den Rest teilen. Die Schere geht immer weiter auf.

Zweitens: Mag man das schon als reichlich unfair ansehen, so kam mit der Finanzkrise eine weitere Dimension dazu. Mit dem Finanzsystem wurden auch die Vermögen der Vermögenden gerettet. Die Reichen haben überproportional profitiert von den Rettungsaktionen der Regierungen, aber bezahlt werden diese Aktionen von allen Steuerzahlern gemeinsam. Schlimmer noch: Die Reichen lassen sich die Rettung ihrer Vermögen bezahlen, da sie den verschuldeten Staaten Geld leihen und dafür Zinsen kassieren – während von den Budgetkürzungen vor allem die normalen Leute betroffen sind. Das Gefühl, dass es nicht mehr gerecht zugeht, ist deshalb dramatisch gewachsen.

Drittens: Das Wachstum der Ungleichheiten war selbst eine wichtige Ursache der Finanzkrise. Denn dem Wachstum der Vermögen steht auf der anderen Seite ein Wachstum der Schulden gegenüber – was immer jemand an Aktiva hat, muss jemand anderer an Passiva haben. Vermögenswachstum heißt Schuldenwachstum und macht eine Ökonomie störungsanfälliger. Aus diesem und noch ein paar anderen Gründen ist grobe Vermögensungleichheit Gift für die Wirtschaft, sogar unter den Bedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Und viertens wissen wir heute aus einer Vielzahl von Studien, dass Gesellschaften schlechter funktionieren, je größer die Ungleichheit ist. Anders gesagt: je gleicher eine Gesellschaft, umso besser funktioniert sie, umso glücklicher sind die Bürger.

Nur lernresistente Fantasten können heute noch behaupten, dass wachsende Ungleichheiten positive Auswirkungen auf ein Gemeinwesen haben. Aber: Solche Ungleichheiten lassen sich nicht leicht reduzieren. Wer in Reichtum geboren wird, hat viel bessere Startchancen ins Leben. Er wird eine bessere Ausbildung haben, von gesellschaftlichen Beziehungen profitieren, ein höheres Einkommen erzielen und später viel Geld erben. Wer hat, dem wird gegeben. Um dieses Rad zurückzudrehen, helfen keine homöopathischen Arzneien. Da braucht es durchaus kräftige Steuersätze für Erbschaften über einer bestimmten Freigrenze. Und schmerzhafte Spitzensteuersätze für absurd hohe Einkommen.

Die Besitzstandswahrer in den Top-Etagen unserer Gesellschaft werden sich mit Zähnen und Klauen wehren, so dass jede einzelne dieser Maßnahmen, sollte sie überhaupt je umgesetzt werden, das lange Bohren dicker Bretter voraussetzen wird. Aber die Beweislast, wenn man das so nennen mag, hat sich gedreht: Heute sind es die Propagandisten der verschiedenen Reichenverteidigungsligas, die erklären müssen, warum sie gegen Vorschläge sind, die von den meisten Bürgern als gerecht angesehen werden. Die vernünftig sind und ökonomisch sinnvoll.

Und sie müssen noch eines erklären: Wieso spielen sie sich eigentlich bei anderen Gelegenheiten dauernd als Champions „fiskalischer Disziplin“ auf , wie können sie fordern, dass der Staat seine Budgets in Ordnung bringt – und gleichzeitig höhere Beiträge jener, die es sich leisten können, ablehnen? Wer am Tag dafür ist, die Staatsschulden abzubauen, und am anderen dem Staat Einnahmen entziehen will, der ist doch eigentlich nicht recht ernst zu nehmen.

Robert Misik ist österreichischer Journalist und Schriftsteller

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