Wissen

Bakterien | 02.03.2012 08:00 | Kathrin Zinkant

Klein, fies und gehätschelt

Resistente Keime erobern unsere Welt. Sie sind ein Zeugnis medizinischer und politischer Verantwortungslosigkeit


Mit freundlicher Genehmigung
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Kriege sind in der Medizin nichts Außergewöhnliches. Jener Krieg aber, den eine Gruppe führender Wissenschaftler am 21. August 1992 im Fachmagazin Science erklärte, war durchaus ungewöhnlich – denn eigentlich hatte man ihn längst gewonnen. „Viele haben die Ära der Infektionskrankheiten in den achtziger Jahren für beendet erklärt“, schrieb der Biochemiker Daniel Koshland jr. damals im Editorial. „Aber der Triumph über das gerissene Bakterium (und seinen Schergen, das Virus) war voreilig.“ Antibiotika, die einzige wirksame Waffe des Menschen gegen krank machende Bakterien, hatten ihre Wirkung verloren. Immer mehr Keime, die schwärende Haut- und Lungeninfektionen, Blutvergiftungen oder lebensbedrohliche Durchfallerkrankungen auslösten, waren resistent gegen einzelne oder sogar mehrere der verfügbaren Medikamente geworden. „Die Synthese vieler neuer Antibiotika in den vergangenen drei Jahrzehnten hat gleichgültig gemacht gegenüber der Bedrohung, die von Resistenzen ausgeht“, kritisierte der New Yorker Experte Harold C. Neu. Zugleich berichteten Kollegen von Neu und Koshland über den Wiederaufstieg der Tuberkulose als Killer, von neuen Infektionen, die durch den sorglosen Umgang mit Antibiotika entstanden – auch in der Tierhaltung. Und in einem waren sich alle einig: Es war höchste Zeit zu handeln. Man befand sich mitten in einer medizinischen Krise.

Sieht lustig aus, ist aber ernst: Bakterien unterscheiden kaum zwischen Menschen und Schweinemett (Foto: Complize/ Photocase) Sieht lustig aus, ist aber ernst: Bakterien unterscheiden kaum zwischen Menschen und Schweinemett (Foto: Complize/ Photocase)


Es ist schwer zu glauben, dass dieser Warnschuss 20 Jahre zurückliegt. Schwer zu glauben vor allem, da das Wissen und die Sorge der Experten seither komplett ignoriert wurden: Der einzige Fortschritt, der sich im Jahr 2012 gegenüber damals beobachten lässt, ist der Fortschritt von resistenten und von neuen, aggressiven Bakterienstämmen. Sie heißen MRSA, VRSA, VRE, ESBL-Bildner, MDR-TB, EHEC oder einfach nur MDR für multi-drug resistant. Was den meisten dieser kryptisch benannten Keime gemein ist: Sie befallen längst nicht mehr nur Patienten in Krankenhäusern. Viele haben sich ungestört in alltäglichen Umfeldern des Menschen etablieren können, in Gemeinschaftseinrichtungen, auf Lebensmitteln, vor allem auf Fleisch. Zwei Untersuchungen haben jüngst gezeigt, dass abgepacktes Hühnchen und Schweinefleisch regelrecht von antibiotika-resistenten Mikroben besiedelt ist. Es waren keine repräsentativen Erhebungen, aber der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) und der Stern mussten für ihre Recherchen nur blind in die Theken der gängigen Discounter und Supermärkte greifen, um fündig zu werden.


Eine endlose morbide Liste


Vergangene Woche stellte ein internationales Konsortium von Forschern zudem den genanalytischen Beleg dafür vor, dass einer der häufigsten Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) seinen Ursprung in der Antibiotika-übersättigten Tierhaltung hat. 900 Tonnen der Präparate bekommt deutsches Vieh alljährlich verpasst, das ist dreimal so viel, wie hier für die medizinische Behandlung von Menschen verbraucht wird. Anfang Februar hatten Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO zudem die höchste Rate an multiresistenten Tuberkulose-Bazillen (MDR-TB) in der Geschichte festgestellt, in manchen der 80 gelisteten Länder kehren 65 Prozent der Patienten mit resistenten Erregern zurück in die Praxis, in 77 Ländern sind inzwischen sogar sogenannte extended drug resistent (XDR)-Tuberkuloseerreger nachgewiesen worden. Sie lassen sich im Grunde nicht mehr behandeln. Nicht mehr zu helfen war im Herbst auch drei Frühgeborenen, die in einer Bremer Klinik an Infektionen mit sogenannten extended-spectrum-beta-Lactamase-(ESBL)-Bakterien starben, das sind Keime, die eine wichtige Gruppe von Antibiotika – darunter Penicilline und Cephalosporine – mithilfe eines neu erworbenen Enzyms unschädlich machen. Weitere zwölf Babys erkrankten, sieben davon schwer. Erst diese Woche konnte man die Identität des Bakteriums einkreisen, es handelt sich vermutlich um einen Klebsiella-Stamm. Klebsiellen besiedeln den Magen-Darm-Trakt des Menschen. Kaum vergessen dürfte zudem die Welle von Infektionen sein, die vergangenes Jahr vor allem Hamburg heimsuchte. Escherischia Coli, ein meist friedlicher Bewohner der menschlichen Darmflora, erwarb neben einer Reihe von Antibiotika-Resistenzen auch ein Toxin, das zu der beobachteten „entero-hämorrhagischen“ Symptomatik führte, in vielen Fällen sogar zu einem Syndrom, dass die Nieren kollabieren ließ. Die Resistenzen waren wegen des Giftes nicht mehr relevant, gerade Antibiotika hätten die Krankheit eher verschlimmert. Dennoch war auch EHEC: resistent.


Und die morbide Liste ließe sich noch endlos fortsetzen, wenn sie nicht schon alles zeigte: Seit Jahrzehnten wissen Forscher, dass und wie Bakterien sich dem Zugriff durch Antibiotika entziehen. Noch länger kennt man die wesentlichen Mechanismen, die den Mikroben eine Evolution im Zeitraffer ermöglichen, gerade dann, wenn sie pharmakologisch unter Druck gesetzt werden. Bakterien müssen nicht darauf warten, dass sich ihr Erbgut von selbst verändert, sie tauschen nützliches Genmaterial direkt aus, von Einzeller zu Einzeller, als kleine Erbgutstückchen. Dafür müssen sie nicht einmal verwandt sein. Und was bisweilen als glückliche Fügung missinterpretiert wird: Bakterien, die Resistenzen erworben haben, machen nicht zwangsläufig krank. Gerade dieser Umstand erlaubt ihnen, sich unbemerkt auszubreiten und ihre Resistenzen weiter zu verteilen.


Die Pipeline ist leer


Seit Jahrzehnten ermahnen deshalb Gesundheitsexperten dazu, Antibiotika nur sehr gezielt und sparsam einzusetzen – und sich vor allen Dingen nicht blind auf sie zu verlassen. Denn neue antibiotische Wirkstoffe, wie sie bis Anfang der Neunziger immer wieder gefunden wurden, gibt es nicht mehr. Die pharmakologische Pipeline ist seit 20 Jahren leer. Was der Verschwendung keinen Abbruch tut: Gerade erst hat eine Studie belegt, dass der Einsatz von Antibiotika gegen die verbreiteten Entzündungen von Nebenhöhlen weder angezeigt noch wirksam ist, aber unbeirrt stattfindet. Und wie die American Society of Microbiology konstatiert, ist es ja nicht erst der Missbrauch, sondern schon der medizinisch sinnvolle Einsatz von Antibiotika, der Resistenzen hervorbringt. Das erste penicillin-resistente Bakterium tauchte auf, bevor Penicillin selbst auf den Markt kam. Umso sorgfältiger müsse man daher mit den kostbaren Medikamenten umgehen, umso größeren Wert auch auf Hygiene und Entsorgung legen, deren Mängel einen ganz erheblichen Beitrag zur Verbreitung der unsichtbaren Gefahr leisten.


Und so darf es im Jahr 2012 kaum mehr um die Frage gehen, ob der Einsatz von Antibiotika in der Viehzucht mal ein bisschen strenger kontrolliert werden müsse. Es reicht auch nicht, einzelne Chefärzte zu entlassen, weil auf ihren Stationen Resistenzen ihr Unwesen treiben. Politiker, Mediziner und auch Patienten stehen in der weit größeren Pflicht, der seit Jahrzehnten beförderten Bedrohung Einhalt zu gebieten. Alles andere wäre die Rückkehr des einst von Pest und Cholera dominierten Motivs, das bis in die Renaissance hinein das Leben der Menschen bestimmte: der „Triumph des Todes“.