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Heiko Flottau

Palästinensischer Exodus

Im Nachhinein wird man kaum sagen können, welches der Hauptgrund war der Mahmud Abbas bewegt haben mag, zuerst auf eine erneute Kandidatur bei der von ihm ursprünglich für den 24. Januar angesetzten Präsidentschaftswahl der Palästinensischen Autonomieverwaltung zu verzichten und wenig später diese Wahl zu verschieben.

Die unüberwindlich erscheinende Spaltung zwischen der Hamas und seiner eigenen Partei, der Fatah? Oder waren es, die Rückschläge im sogenannten Friedensprozess - zuletzt dokumentiert durch die von US-Außenministerin Hillary Clinton akzeptierte Fortsetzung des israelischen Siedlungsbaus? Oder gaben die deprimierenden Umfragen den Ausschlag, wonach nur noch zwölf Prozent aller Palästinenser die Amtsführung von Abbas befürworteten?

Tatsache bleibt, dass der Rest an Rückhalt, den Abbas noch gehabt haben mag, spätestens zu dem Zeitpunkt zerbröckelt ist, als er auf Druck der USA dafür plädierte, die UN-Diskussion über den Goldstone-Bericht, der Kriegsverbrechen Israels und der Hamas im Gazakrieg aufdeckte zunächst um ein halbes Jahr zu verschieben.

Doch kaum etwas ist im Treibsand der nahöstlichen Politik stabil Denn bereits unmittelbar nach seinem Kandidaturverzicht wollten viele den Gebeutelten wieder ins Amt zurückholen: Israel, die USA und auch viele Mitglieder seiner Fatah-Partei. Denn weil Abbas politisch so schwach ist, konnten viele mit ihm so gut umgehen. Und dass nun im Januar gar keine Wahl stattfindet dürfte ihnen recht sein, weil Mahmud Abbas deshalb einstweilen weiter als Führer ohne demokratische Legitimation regiert.


Weitere Kolonisierung des Westjordanlandes

Siedlungsbau, Benjamin Netanjahu, Goldstone-Bericht, Barack Obama, die Spaltung der Palästinenser: Das sind die Klippen, an denen derzeit alle neuen Anstrengungen, Frieden zu schaffen, zerschellen. Den Weg in diese Situation hat Israel schon vor mehr als einem Jahrzehnt gewiesen. Im Jahre 1997 verständigten sich der damalige israelische Premier Benjamin Netanjahu vom Likud und Yossi Beilin von der Arbeitspartei auf ein internes Abkommen, in dem es heißt, Israel könne mit den Palästinensern keinen Vertrag schließen, der das Land verpflichte, Siedlungen ,,im westlichen Land Israels" aufzugeben.1 ,,Westliches Land Israels" - mit diesem Ausdruck ist klar dokumentiert, dass sowohl der Likud als auch große Teile der Arbeitspartei zumindest bestimmte Gebiete des palästinensischen Westjordanlands als Bestandteil Israels betrachteten. Damit war das Abkommen von Oslo aus dem Jahre 1993 faktisch einseitig aufgekündigt. Denn dieses Abkommen beruhte auf dem Prinzip ,,Land für Frieden": Israel sollte das 1967 eroberte Land den Palästinensern übergeben, im Gegenzug sollte die arabische Welt Israel volle Anerkennung gewahren,

Das Netanjahu-Beilin-Abkommen dient seitdem als Handlungsanleitung für alle israelischen Regierungen - seien sie nun von Ehud Barak, Ariel Scharon oder Ehud Olmert geführt worden. Keiner dieser Politiker hat den von den meisten frühen Zionisten befürworteten Plan aufgegeben, wonach das jüdische Volk einst ganz Palästina besitzen müsse. Für alle israelischen Regierungen ist der - sogenannte - Friedensprozess mithin lediglich eine Nebelwand, hinter der man die weitere Kolonisierung des Westjordanlandes vorantreibt. Noch immer gilt nämlich auch der Satz Netanjahus, allenfalls könne er den Palästinensern auf 15 Prozent des historischen Palästina „Autonomie- mit gewissen Charakteristika eines Staates" anbieten, „etwa mehr Autonomie bei etwas weniger Staat",wie er es nannte.2

Angesichts dieser durchaus bekannten Vorgaben muss sich die internationale Gemeinschaft nach Jahren fruchtloser Bemühungen fühlen wie jemand, der stundenlang schwitzend auf einem Laufband gerannt ist und am Ende feststellt, dass er zwar wunderbare diplomatische Übungen vollbracht hat, aber keinen einzigen Schritt vorangekommen ist.

Letztes Indiz für diese fruchtlosen Bemühungen ist der fatale Rückzieher, den die Regierung Obama in Nahost gemacht hat. Einen vollständigen Stopp des Siedlungshaus hatte der neue Präsident nach seinem Amtsantritt von Israel gefordert. Im Westjordanland erblühte die Hoffnung. Netanjahu zittere geradezu vor Obama - das zumindest glaubten viele Palästinenser noch im Sommer. Und tatsächlich wurden einige der übelsten Kontrollposten im Westjordanland abgebaut, Palästinenser konnten in ihrem Land wieder ein wenig freier reisen und atmen.

1 Mark Levine, Impossible Peace-Israel/Palestine since 1989, London und New York 2009

2 Jeff Halper, Dismantling the Matrix of Control, in: Middle East Report Online, 11.9.2009, S.4, www.merip.org. Halper arbeitete als Professor für Anthropologie an den Universitäten von Haifa und Beersheba, 1997 war er Mitbegünder des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen.


Abbas düpiert

Jetzt aber herrscht Fassungslosigkeit unter den eben noch hoffnungsvollen Menschen. Seitdem Außenministerin Clinton von der Forderung nach vollständigem Stop des Siedlungsbaus abrückte, fühlt sich Mahmud Abbas, und mit ihm das gesamte palästinensische Volk, düpiert.

Düpiert fühlt sich Abbas ebenso durch die Tatsache, dass die USA (und auch Deutschland) bei der Abstimmung über den Goldstone-Bericht in der UN-Vollversammlung auf der Seite Israels standen und Richard Goldstones Feststellung bestritten, Israel habe im Gazakrieg (bei dem über 1300 Palästinenser getötet wurden) Kriegsverbrechen begangen. Goldstones Schlussfolgerungen seien, kommentierte das Außenministerium in Jerusalem, „losgelöst von der Wahrheit".3 Das wahre Kriegsverbrechen liege in den umfangreichen Waffenlieferungen Syriens und des Iran an die Hisbollah im Libanon,

Israels Reaktion auf die Anklagen Richard Goldstones folgt einem altbekannten Muster, das mit Ignorieren oder Verhindern umschreiben kann. Im Jahre 2002 etwa verweigerte die Regierung Scharon die Zusammenarbeit mit einer von Kofi Annan zusammengestellten Kommission, welche die Vorgänge im Flüchtlingslager Dschenin untersuchen sollte, das von der israelischen Armee fast dem Erdboden gleichgemacht worden war. Im Dezember 2008 verweigerte Israel Richard Falk, dem Berichterstatter der Vereinten Nationen für die palästinensischen Gebiete, die Einreise.

Die Tragik, man muss das so nennen, von Mahmud Abbas und den Palästinensern liegt nicht nur in der mangelnden Unterstützung, die sie von entscheidenden Mächten wie den Vereinigten Staaten bekommen. Ihr Dilemma ist auch ihre innere Zerrissenheit. In einer Situation, in der ihnen nur Geschlossenheit helfen könnte, sind sie zerteilt in zwei Ghettos, die beide - Gaza und das Westjordanland - de facto von Israel beherrscht werden.

Die Ursachen für diese Zerrissenheit liegt allerdings nicht nur bei den Palästinensern selbst. Dass die USA und in ihrem Gefolge auch Europa den Sieg der Hamas bei der Parlamentswahl 2006 boykottierten, hat dazu geführt, die Hamas weiter zu isolieren und zu radikalisieren. Und dass die Fatah unter dem Druck Washingtons 2007 versuchte, einen Putsch gegen die von der Hamas geführte Regierung zu organisieren, hat schließlich zu einem Gegenputsch der Hamas in Gaza geführt. Wie bei der Behandlung des Goldstone-Berichts hat sich Abbas auch damals als williger Handlanger der USA und damit auch Israels erwiesen.

Für Israel hat diese Situation allerdings nur Vorteile: Ein gespaltenes Volk ist besser zu beherrschen als ein einiges. Zugeständnisse? Die könne man nur machen, hat Netanjahu im Gespräch mit Hillary Clinton angedeutet,wenn die USA gegenüber dem Iran ein härteres Vorgehen versprachen. Werden hier um eines diplomatischen Vorteils willen zwei Konflikte zu eng mit einander vermengt, indem Israel mit dem Iran ein Feindbild aufbaut, welches in dieser Größe gar nicht existiert?

Hannah Arendt, die große Philosophin, hat einst gesagt, ein Volk wie das jüdische, das sich auf dem Gebiet eines anderen Volkes niederlasse, werde stets in einer Art „Wagenburgmentalität" leben. Um diesen Zustand einer ständig gefühlten Bedrohung zu vermeiden, hat Arendt seinerzeit die Gründung eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Staates in Palästina empfohlen. Zweifellos ist der Iran ein wachsender Machtfaktor in der Region. Aber das Land selbst hat seit mehr als einem Jahrhundert niemanden angegriffen, vielmehr wurde es mit Billigung der USA 1980 vom Irak Saddam Hussoins überfallen. Allerdings ist es verständlich, dass ein Holocaust-Leugner wie Ahmadinedschad in Israel kein Vertrauen genießen kann. Was schließlich das iranische Atomprogramm betrifft, so hatten die USA nichts dagegen einzuwenden, dass der Iran, als das Land unter dem Schah noch ein Eckpfeiler amerikanischer Politik in der Region war, für sein Land die Nutzung für Atomenergie förderte.

3 .Süddeutsche Zeitung", 7.11.2009.-Der Verleger Abraham Melzer bereitet derzeit eine deutsche Übersetzung des Goldstone-Berichts vor, die im Januar in Berlin vorgestellt werden soll.


Kein Ausweg, nirgends?

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Jeff Halper beklagt die zunehmende Kolonisierung des palästinensischen Westjordanlandes durch Israel und fordert: „Die internationale Gemeinschaft, geführt von den Vereinigten Staaten, muss Israel sagen, dass die Besatzung ganz und gar beendet werden muss. Israel muss jeden Zentimeter besetzten Landes verlassen."4 Tatsächlich ist die Beendigung des Besatzungsregimes die einzige Möglichkeit, eine lebensfähige Zweistaaten-Lösung zu verwirklichen. Auf dem durch Siedlungen, Bypass-Straßen und Kontrollposten zerstückelten Westjordanland ist die Existenz eines souveränen palästinensischen Staates ausgeschlossen. Daher überrascht es nicht, dass selbst ein Mann wie der prominente palästinensische Verhandlungsführer Saeb Erekat allmählich von der Zweistaaten-Lösung abrückt. Alle israelischen Regierungen hätten den Weg zu einer solchen Lösung blockiert, sagt Erekat.5 Daher hoffen palästinensische Politiker mehr und mehr auf ihre „demographische Waffe"; Aufgrund ihrer hohen Geburtenrate werden die Palästinenser nämlich in 10 bis 15 Jahren voraussichtlich die Mehrheit der Bevölkerung im historischen Palästina stellen. Dann könnten sie nach dem Prinzip „One man, one vote" ein Referendum füber die Zukunft Palästinas und die Gründung eines binationalen Staates verlangen, den sie dann politisch dominieren wurden.

Für die Araber wäre eine solche Entwicklung so etwas wie die Wiedergeburt Palästinas. Für die Zionisten hingegen würde ein Albtraum Realität, dass nämlich ein anderes Volk als das jüdische das Gelobte Land beherrschen könnte. Angesichts der zumindest derzeit herrschenden Machtverhältnisse dürfen sich die Palästinenser von ihrer demographischen Waffe allerdings keinen Wundereffekt erwarten - zumal der Bau der Trennmauer zu den Palästinensergebieten den Status quo auf lange Sicht fortschreiben soll. Indem Israel die Fragmentierung Palästinas und der palästinensischen Gesellschaft durch Siedlungs- und Straßenbau, durch Land- und Hausenteignungen fortführt, will man den palästinensischen Bevölkerungszuwachs konterkarieren:

Alle israelische Regierungen setzen auf eine verdeckte Vertreibung - mit einigem Erfolg.

Angesichts der so geschaffenen desperaten Lebenssituation sehen sich besonders junge Palästinenser der Existenzgrundlage in ihrer Heimat beraubt. Sie hoffen auf einen Neuanfang im Ausland und überschwemmen westliche Konsulate mit Visa-Anträgen. Vielen Alt-Zionisten wie Netanjahu passt diese Entwicklung exakt in ihr politisches Konzept. Denn sie hoffen auf einen neuen Exodus - auf einen Exodus der Palästinenser.

4 Halper. a.a.O.

5 Zit. nach, „Jerusalem Post“, 5.11.2009.

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