Stauffenbergs langer Weg in den Widerstand
Wolfram Wette: Bei den Motiven des Offiziers gab die Machtpolitik den Ausschlag.
Am 65. Jahrestag des Hitler-Attentats (20.Juli 2009 d.Red.) wird die Bundeswehr am heutigen Montag ein Gelöbnis vor dem Reichstag abhalten. 400 Soldaten des Wachbatallions der Brückberg-Kaserne in Siegburg sowie der Julius-Leber-Kaserne in Berlin geloben, der Bundesrepublik „treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält die Gelöbnisrede, auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) wird sich an die Rekruten wenden.
Stauffenberg? Ist über ihn nicht längst alles gesagt? Zuletzt durch den Film „Operation Walküre“ mit dem umstrittenen Hollywood-Star Tom Cruise? Das Drehbuch steigt ein mit einem Stauffenberg, der bereits widerständig ist. Dann zeigt er „action“, nämlich die Vorbereitung, die Durchführung und das Scheitern des Attentats auf Hitler. Nicht ausgeleuchtet werden die Hintergründe, die Motive. Was hat diesen deutschen Generalstabsoffizier aus dem württembergischen Adel zu einer Tat getrieben, die in der deutschen Militärgeschichte ohne Beispiel ist?
Den Nazis vor und nach 1945 galten die deutschen Widerstandskämpfer als schändliche Verräter. Um gegen diese Diffamierung anzugehen, konterten die politischen Anhänger des Widerstands, das Attentat vom 20.Juli 1944 sei ein „Aufstand des Gewissens“ gewesen, womit sie eine ethische Motivation meinten Von der Diffamierung zur Heroisierung war es kein leichter Weg, gewiss. Aber die historische Forschung ist längst weiter. Sie hat den Helden des Widerstands historisiert.
Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, war Claus Schenk Graf von Stauffenberg 26 Jahre alt. Der junge Reichswehroffizier, der schon vor 1933 SA-Männer in Felddienstübungen ausgebildet hatte, wurde von der Stimmung des nationalen Aufbruchs voll erfasst. Das kann nicht verwundern, bejahte er doch das Führerprinzip, die Rangordnung in der Gesellschaft, die Idee der Volksgemeinschaft, den Rassegedenken, auch den Antisemitismus. Von seiner Jugend an hing er dem bellizistischen Credo der deutschen Nationalisten an: Das Leben sei ein ewiger Kampf, auch kriegerischer Kampf. Bei einer anderen Auffassung wäre er wohl auch nicht Berufsoffizier geworden.
Die von Hitler sogleich eingeleitete Aufrüstung begrüßte er. Die Einführung des Arier-Paragrafen in der Wehrmacht 1934 nahm er – wahrscheinlich zustimmend – hin. Er sah kein Problem darin, seinen solidarischen Eid auf Hitler persönlich zu leisten. Er protestierte weder gegen die Röhm-Putsch-Morde, deren Opfer auch zwei Generäle der Reichswehr waren, noch gegen die antisemitischen Nürnberger Gesetze von 1935. Die Reichsprogromnacht vom 9. November 1938 nahm er hin. Für eine grundsätzliche Kritik Stauffenbergs am verordneten Antisemitismus findet sich jedenfalls kein Beleg. Es wird berichtet, er sei mit einer „gewaltlosen Lösung der Judenfrage“ durchaus einverstanden gewesen.
Das von Hitler vorgelegte Tempo der Kriegsvorbereitungen scheint Stauffenberg nicht behagt zu haben. Er war am Einmarsch in die Tschechoslowakei ebenso beteiligt wie am Überfall auf Polen 1039. Die Euphorie über den raschen deutschen Sieg über Frankreich im Sommer 1940 teilte er mit seinen Offizierskameraden. Zu diesem Zeitpunkt bewunderte er Hitler als genialen politischen und militärischen Führer. Den Krieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“ bejahte Stauffenberg zunächst, kritisierte aber schon 1941 den militärischen Dilettantismus Hitlers. Die rassistische Abwertung der Slawen machte er nicht mit. Noch in einem Brief vom 11. Januar 1942 begrüßte er die Übernahme des Oberbefehls über das Heer durch Hitler als ein „Geschenk an das Heer“.
Stauffenbergs Weg in den Widerstand war lang und widersprüchlich. Im ersten Jahr des Ostkrieges verstärkten sich seine Zweifel an den Erfolgsaussichten der menschenverachtenden und maßlosen Kriegsführung Hitlers. ER fürchtete, dass der Krieg auf diese Weise von Deutschland nicht gewonnen werden konnte. Die Perspektive einer drohenden Niederlage wurde genährt durch die absehbaren Folgen der Verbrechen, die Stauffenberg in vollem Umfang bekannt waren. In den Jahren 1942 und 1943 hoffte er inständig darauf, dass einer der Befehlshaber sich dazu aufraffen würde, das Steuer herumzureißen, das heißt, Hitler den Oberbefehl über das Ostheer zu entwinden oder ihn zu stürzen, eine vorübergehende Militärdiktatur zu errichten, um den Krieg noch zu einem erträglichen Ende bringen zu können. Als er erkennen musste, dass keiner der Befehlshaber den Mut zu einem solchen Schritt aufbringen würde, und als die Kriegslage für Deutschland immer bedrohlicher wurde, entschloss sich Stauffenberg im Frühjahr 1944 das Attentat persönlich auszuführen, auch auf die Gefahr des Scheiterns hin. Er wollte das „heilige“ Deutschland retten, das deutsche Volk und die Wehrmacht.
Die historisierende Sicht Stauffenbergs bringt ein ganzen Bündel von Motiven in den Blick, unter denen die machtpolitischen schließlich den Ausschlag gaben. Damit tritt uns dieser widerständige Offizier näher. Wir lernen ihn mit seinem außergewöhnlichen Mut und mit seinen milieubedingten Grenzen kennen.
Wolfram Wette ist Militärhistoriker. Eines der zentralen Themen des Professors ist die Wehrmacht.