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Nachhilfeunterricht in Geschichte

Wer keine Geschichtskenntnisse hat, kann auch die Gegenwart nicht verstehen.“


    Die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen hat auf unserem Planeten gewaltig zugenommen. Im beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert wird der Wirtschaftskrieg zwischen dem Süden und dem Norden alle sonstigen gesellschaftlichen Konflikte überlagern.

Auf der südlichen Halbkugel verhungern und verdursten heute in einem Jahr eben so viele Menschen wie es Tote durch Gewalt im Zweiten Weltkrieg gab – die Mordopfer der Nazis eingeschlossen. Aussichten auf Besserung sind nicht in Sicht, weil das ungebremste Profitstreben globaler Konzerne alle diesbezüglich – auch gut gemeinten - politischen Anstrengungen erstickt.

Warum hassen Sie uns?“ fragte unlängst George W. Bush im Hinblick auf den so genannten Terror mit dem vorläufigen Gipfel von Nine Eleven. Bush jr. gehört zu jenen, die, „White, Protestant and Anglo-Saxon“, den imperialen Bestrebungen der US-amerikanischen Wirtschaft freie Bahn zur globalen Selbstentfaltung schafften. Die „Erfolge“ sind eindeutig: In Zusammenarbeit mit der WTO (World-Trade-Organization) und der Weltbank wurden Importzölle aller Länder des Südes niedergebrochen und die heimische Selbstversorgung durch Billigimporte – besonders von Nahrungsmitteln – zerstört. Vor allem in Afrika aber auch in Asien war man erfolgreich, die Bevölkerung durch heimische Eliten und Freunde des Westens nieder und in Schach zu halten. Der fruchtbare Boden dieser Länder gelangte sehr schnell in die Hände globaler Agrarkonzerne wie z.B. Acer Daniels, Monsanto & Co.

Monokulturen wie Mais und Soja verdrängten die regionale Vielfalt in der Landwirtschaft, vertrieb die ansässigen Bauern (in die Slums der Großstädte) und ließ die große Masse der Landbevölkerung furchtbar verarmen.

Die Methoden der Unterdrückung der Landbewohner sind überall dieselben. Den armen aber sich selbst versorgenden Dorfbewohnern wird Geld für ihr Land angeboten. Wenn Sie sich auf den „Handel“ nicht einlassen, werden ihre Häuser angezündet und die „Aufmüpfigen“ ermordet.

Auf ihren Äckern wächst dann etwas später der Rohstoff für Biodiesel.

Am 24. Dezember 2009 hatte ich eine interessante Unterhaltung mit einem Bewohner von Bethlehem, Palästina: Zayd Abu Gharbiah züchtet Araber Pferde und lebt mit seiner Familie in bescheidenen aber geordneten Verhältnissen. Seine Kinder in Alter von 14-16 Jahren besuchen eine Privatschule. Seine Frau stammt aus Texas .

Natürlich sind die Westbank und der Gaza-Streifen riesige Gefängnisse“. Die von Israel besetzten Gebiete werden unverhohlen in Anlehnung an die Apartheit Südafrikas als Bantustans bezeichnet. In ihren Bewohner kocht der Hass auf Israel und die USA.

Natürlich hat Bin Laden Recht.“

Der Westen ist arrogant und führt seine imperialen Kriege gegen die Schwachen, und die wohnen nun mal in Afrika und Asien – und hier.“

Das geht doch schon seit 500 Jahren so und nimmt kein Ende.“

Zayd Abu Gharbiah ist ein Mann des Geistes und der klaren Worte. Er hat Geschichtskenntnisse und spricht mit Bedacht: Sklaverei, Kolonialismus, Imperialismus sind Worte, deren Inhalte er genau kennt.

In diesen letzten Tagen des Jahres 2009 habe ich das Buch Der Hass auf den Westen, von Jean Ziegler, erschienen bei Bertelsmann gelesen. Seine Inhalte und die zornigen Worte von Zayd fügten sich nahtlos ineinander. In derselben Nacht träumte ich von den tapferen Männern in Afghanistan, die dereinst mit ihren Stinger-Raketen russische Flugzeuge vom Himmel holten und auf diese Weise die russische Invasion beendeten.

Dirk Schrader, Hamburg


Hören wir Jean Ziegler:

Sklavenjagd

Erinnern wir uns: Zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden mehr als vierzig Millionen afrikanischer Männer, Frauen und Kinder ihren Familien entrissen und nach Übersee deportiert, um als Arbeitskräfte auf Plantagen und in Minen eingesetzt zu werden, wo sie Hunger, Krankheiten und Folter erlitten. Bei der Schilderung der haitianischen Deportation schrieb Alfred Métraux: „Ohne Auschwitz hätten die Europäer nie begriffen, was sie den Afrikanern angetan haben.“

Nehmen wir das Beispiel Brasilien. Während der Überfahrt zwischen dem Golf von Benin und der Allerheiligenbucht von Salvador da Bahia (sie dauerte durchschnittlich länger als zwei Monate) starben etwa zwanzig Prozent der zwei- bis dreihundert angeketteten Männer, Frauen und Kinder, die ein Sklavenschiff transportierte, an Skorbut, Hunger oder schlechter Behandlung.

In der ersten Nacht der Überfahrt stiegen die Seeleute, trunken vom Rum, in den Laderaum hinunter, um die Frauen zu vergewaltigen. Eine Schwangere erzielte auf dem Markt von Olinda einen höheren Preis. Ein Viertel der Überlebenden war so geschwächt. Dass sie das Schiff nicht ohne Hilfe verlassen konnten. Viele von ihnen – lebende Leichname mit grauer Haut und blinden Augen – schafften nur ein paar Schritte zum Strand, bevor sie tot zusammenbrachen. Man begrub sein umgehen, indem man einige Schaufeln amerikanischer Erde über sie warf. In allen Hafenstädten an der brasilianischen Atlantikküste gab es eine – oft bis heute erhaltene – cafuna, ein befestigtes Gebäude, wo die Überlebenden des Transatlantiktransports eingesperrt wurden, um sich zu erholen.

Nach einigen Wochen, wenn die zu Skeletten abgemagerten Überlebenden wiederhergestellt waren, öffneten die Sklavenhändler die Tore der cafuna und ließen die Schwarzen auf den Marktplatz führen. Dort wurden sie verkauft – der Mann von seiner Frau, die Kinder von ihrer Mutter getrennt.

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Arbeitssklaven auf den Zuckerrohrplantagen im Reconcavo von Bahia, Brasilien, betrug sieben Jahre.


Die Kolonialmassaker

Léon Bloy: „Die Geschichte unserer Kolonien ist, vor allem im Fernen Osten und in Afrika, nichts als Leid, maßlose Grausamkeit und namenlose Schändlichkeit.“

Stellvertretend für die bewaffneten Eroberungen ihrer Länder durch den Westen beschränke ich mich hier auf die Feldzüge des französischen Militärs. Doch es versteht sich von selbst, dass die gleiche Gewalt, die gleiche Grausamkeit charakteristisch war für die englischen, niederländischen, deutschen, belgischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Eroberungen.

1830 begann Frankreich mit der Eroberung Algeriens. 1853 bemächtigte es sich Neukaledoniens. Im Jahr danach begann die Eroberung des Senegal, Der Feldzug war lang und blutig: Er sollte erst 1998 enden.

1858 besetzte die französische Kolonialarmee Tourane (Da Nang) in Annam; im Jahr darauf eroberte sie Saigon.

1862 ein neuer Vorstoß in Afrika, dieses Mal an der Küste des Indischen Ozeans: Frankreich vereinnahmte Obock in Somalia (heute Djibouti).

1863: Die Regierung in Paris erreichte durch eine geschickte Erpressung die Unterwerfung des kombodschanischen Königs, der in einem Vertrag „aus freuen Stücken“ das französische Protektorat anerkennt. 1867 trat Kaiser Tu Duc, um sein Volk zu schützen, Frankreich ganz Kotschinchina ab.

Hören wir, wie sich die französische Eroberung von Annam, Tonkin und Kotschinchina (das heißt, Mitte, Norden und Süde Vietnams) vollzog. Der Schriftsteller Pierre Loti, zugleich renommierter Reporter des Figaro und beim französischen Fernostgeschwader akkreditiert, beschreibt die Einnahme von Hué wie folgt: „Die Franzosen sind von zwei Seiten zugleich in die große kreisförmige Festung eingedrungen, die die Granaten des Geschwaders schon mit Toten gefüllt hat. Die letzten dorthin geflüchteten Annamiten retten sich, kopflos vor Angst, mit einem Sprung von den Mauern; einige verlegen sich aufs Schwimmen, andere versuchen den Fluss in Booten oder über eine Furt zu durchqueren, um ans Südufer zu flüchten. Die Franzosen, die die Mauern der Festung erklommen haben, feuern von oben auf sie herab, aus geringer Distanz, und strecken sie scharenweise nieder. Hilflos versuchen die Männer im Wasser sich mit Matten, Schilden aus Weidengeflecht, Blechstücken zu schützen; all das durchschlagen die französischen Kugeln. Die Annamiten fallen in Gruppen, mit ausgebreiteten Armen, drei- oder vierhundert von ihnen werden vom Schnellfeuer und den Salven in weniger als fünf Minuten niedergemäht (…)“.

Als die Armee Napoleons III. 1871 vor den Preußen kapitulierte, erhoben sich in Algerien die Entrechteten. Sidi Mokrani führte den Aufstand an. Das französische Expeditionskorps schlug die Revolte nieder und richtete in den aufständischen Regionen ein grauenhaftes Massaker an.

1879 kam es zu einem neuen, heftigen Aufstand in Algerien; dieses mal waren es die Bergbewohner des Aurès, die das französische Joch abschütteln wollten. Die Niederschlagung war erbarmungslos, es gab Abertausende Toten, vor allem unter Kindern und Frauen.

Von 1880 bis 1895 verwüstete der französische General Gallieni riesige Landstriche Westafrikas. Seine Truppen eroberten Französisch-Sudan (das heutige Mali) trotz erbitterten Widerstands von Samory Touré und zahlreichen einheimischen Stammesführern.

1881: erneuter Aufstand in Algerien. Der ganze Süden der Provinz Oran erhob sich. Bou-Hamma führte die algerischen Aufständischen an. Er und die seinen wurden geschlagen. Es folgten die die üblichen Massenhinrichtungen und Kollektivstrafen aller Art.

September 1881: Krise in den Kolonialgebieten in Fernost. Die Annamiten erhoben sich gegen den Kolonialterror, Kopfsteuer, Landenteignung. Das neue Expeditionskorps brauchte zwei Jahre, um die annamitischen Patrioten niederzumachen und das fruchtbare Land in verbrannte Erde zu verwandeln.

General Thomas Robert Bugeaud war seit 1840 Generalgouverneur von Algerien. Er war der Erfinder der Enfumades, der „Ausräucherungen“. Diese neue Technik hatte ihm großes Ansehen in Paris verschafft. In Algerien ist sein Name gleichbedeutend mit „Albtraum“.

Bei den Enfumades wurden die Einwohner ganzer Dörfer in Höhlen getrieben und anderen Eingang Feuer entzündet. Während die Soldaten in die Flammen schauten, ihr Brot aßen und Schnaps tranken, drangen aus dem Höhleninneren die Schreie der vom Rauch eingeschlossenen Frauen und Kinder. Wenn das Stöhnen des letzten Erstickenden verstummt war, mauerten die Soldaten die Eingänge der Höhlen zu.

1971, in seiner berühmten Rede vor der UNESCO, lieferte Claude Lévi-Strauss folgende Definition des Rassismus:

Eine Lehre, die behauptet, in den geistigen und moralischen Eigenschaften, die einer wie auch immer definierten Gruppe von Individuen zugeschrieben werden, die unausweichliche Wirkung eines gemeinsamen genetischen Erbes zu erkennen.“

Nach dieser Definition ist der Rassismus geradezu das Wesen des Kolonialismus. Er leugnet die Menschlichkeit des Kolonisierten. Von vornherein schließt er jede Beziehung der Gegenseitigkeit und Komplementarität mit dem Kolonialisten aus. Doch der Rassismus zerstört nicht nur den Kolonisierten. Er richtet auch den Kolonialisten zugrunde. Er steht im Widerspruch zu einem ursprünglichen, „jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehenden Recht“ (Immanuel Kant)

Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, soll hier doch darauf hingewiesen werden, dass die Engländer ganz eigene Methoden zur Vernichtung widerspenstiger autochthoner Bevölkerungsgruppen entwickelt haben. Betrachten wir das Beispiel Tasmaniens:

Tasmanien ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im Besitz der britischen Krone. Der fruchtbare Boden und das gemäßigte Klima haben zahlreiche weiße Siedler angelockt. Allerdings beeinträchtigte ein Problem ihre ungehinderte Entfaltung: die Existenz der Palawah, halbnomadischer Viehzüchter, Bauern, Fischer, Jäger. Sie lebten seit Jahrtausenden auf der Insel. Die Angehörigen dieses rätselhaften Volks, die sich keiner bekannten Ethnie zuordnen ließ, waren hochgewachsen, schlank und elegant in ihren Bewegungen. Sie hatten eine kupferfarbene Haut und fein geschnittene Gesichter. Die Frauen waren auffallend schön.

Um sie von ihrem Land zu vertreiben, versuchten die Engländer es zunächst mit den in Australien üblichen Methoden: Sie brannten ihre Dörfer nieder, vergifteten ihre Quellen und Brunnen, organsierten Pogrome.

Diese Methode hatte schon zufriedenstellende Ergebnisse gezeitigt, vor allem in Queensland, einem weiteren fruchtbaren Gebiet des Kontinents. In ihrer Panik waren die wenigen überlebenden Kalkadoon auf die ausgedörrte Hochebene der Australischen Kordillere geflüchtet.

Doch bei den Palawah fruchtete das nichts. Vergebens brannten die englischen Soldaten die Dörfer nieder, schlachteten die Familien ab, vernichteten die Ernten, die Felder und vergifteten die Brunnen, immer wieder griffen Palawah-Krieger die hinter ihren Palisaden verschanzten Siedler an. Nur mit Bogen und Schwertern bewaffnet.

Seit Ende der 1820er Jahre herrschte Vizegouverneur George Arthur über Tasmanien. Stammte aus Sussex und liebte die Treibjagd über alles. Bei der Treibjagd gehen die Jäger bekanntlich in einer langen Linie, der sogenannten Black Line, in Stellung. Hinter den Hunden, die vorausgeschickt werden, um das Wild aufzustöbern, rücken die Jäger geschlossen zu Pferd oder zu Fuß vor und schießen auf alles, was sich im Unterholz bewegt.

George Arthur beschloss, eine Black Line zu organisieren, um Tasmanien von den Palawah zu säubern. (…)

Die von George Arthur geführten „schwarzen Kriege“ überlebte in Tasmanien nur eine Handvoll Palawah. Für seine genozidären Heldentaten wurde er von Königin Victoria in den Adelsstand erhoben. Fortan war er ein stolzer Sir.

James Stephen hatte von 1836 bis 1847 das löbliche Amt eines Unterstaatssekretärs im Colonial Office inne. Er schrieb: „Tasmanien hat nur noch sehr wenige Aborigines oder nennenswerte Reste autochthoner Kultur“. James Stephen war jedoch ein besonders gewissenhafter Beamter. Es sollte keine Spur autochthoner Kultur in Tasmanien erhalten bleiben. Denn sie drohte die Ausbreitung der weißen Zivilisation zu behindern.

Infolgedessen ergriff der Unterstaatssekretär radikale Maßnahmen. Jedes Kind, das – gleich, in welcher Region oder Ethnie Australiens – in einer autochthonen Familie geboren wurde, sollte von dieser getrennt werden. Die Polizei hatte den Befehl, jedes autochthone Kind von über drei Jahren (die Zeit, der man der Mutter im Höchstfall zum Stillen ließ) notfalls gewaltsam fortzunehmen. Der Familie entrissen, bekam das Kind eine neue Identität, einen neuen Namen. Anschließend kam es in ein Waisenhaus oder staatliche Erziehungsanstalt.

Jeder Kontakt zur Mutter, zum Vater oder zu einem anderen Familienmitglied war ihm auf Lebenszeit verboten. Viele dieser von der Polizei entführten Kinder wurden kastriert oder sterilisiert. In den Erziehungsanstalten und Waisenhäusern waren Vergewaltigungen und grausame Bestrafungen der autochthonen Kinder an der Tagesordnung.

Das Colonial Office aber hatte versucht, die autochthonen Kulturen im gesamten Empire auszulöschen.

So dehnte James Stephen die Politik des Kinderraubs, die in Australien so gut geklappt hatte, auf Kanada aus. Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Kinder, die in Kanada in einem der Indianerstämme geboren wurden, die den Völkermord überlebt hatten, ihren Familien entrissen. Diese bedauernswerten Kinder verschwanden und wurden häufig in Klöstern und katholischen Einrichtungen weggesperrt. Der kanadische Premierminister Stephen Haper entschuldigte sich am 10. Juni 2008 im Namen seines Landes bei den indigenen Völkern „für die Misshandlungen, die sie ein Jahrhundert lang in den kanadischen Heimen erlitten haben“. Hören wir Haper: „Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1969 sind rund 150 000 indigene Kinder ihren Eltern fortgenommen und in konfessionellen Waisenhäusern untergebracht worden, wo sie sexuellen und seelischen Übergriffen ausgesetzt waren.“

Immer und überall waren die westlichen Kolonialisten und Siedler von dem Drang besessen, die Kultur, die besondere Identität, das Gedächtnis und die affektiven Bindungen der beherrschten Völker zu vernichten.

Heute befindet sich das Gedächtnis der südlichen Völker im offenen Krieg mit dem Westen. Die Erinnerungen, die aus Lateinamerika und der Karibik, Schwarzafrika, Arabien und Asien auftauchen, sind schmerzvolle Erinnerungen – „eine heilige Wunde“, wie Césaire sagt.

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