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Endzeitstimmung

Klaus Kocks


Jeder liebt den Verrat, keiner den Verräter. Naja, Angela Merkel ist mit dem politischen Vatermord an Helmut Kohl durchgekommen. Den Dicken konnte keiner mehr sehen. Aber der Putsch von Müntefering und Steinmeier gegen Kurt Beck bleibt ohne Segen. Schröders Generäle aus der neoliberalen Soldateska der Hartz-Agenda-Truppe wollen es noch mal wissen. Aber die Lebenserfahrung zeigt, bei älteren Herren ist das Verlangen gelegentlich größer als das Vermögen. Müde und voller Selbstzweifel schleppt sich die SPD zur Wahl. In der Medizin nennt man das fatique: Kein Schwung mehr drin, der Elan ist hin.

Steinmeier hat Beck entmachtet, weil Beck, der damals so tollpatschig agierte wie er selbst jetzt, keine Chance bescheinigt wurde. Genau das Spiel erleben wir jetzt in der Wiederholungsschleife. Steinmeier gibt nun niemand eine wirkliche Chance. Und er wirkt, als habe er selbst tiefe Zweifel. Er ist sichtbar verzweifelt über das Versagen der alten Schröder-Tricks.

Dafür gibt es Indizien; betrachten wir ein Detail. Ein Versprecher, der eine geheime Absicht oder eine versteckte Furcht offenbart, nennt man nach dem Gründungsvater der Psychoanalyse eine Freud´sche Fehlleistung. Meist setzt es rote Ohren, weil der sich versprechende Zeitgenosse peinlich berührt ist, dass nun Innerstes nach außen gekehrt ist. Er selbst hat sich unfreiwillig offenbart, so auch Steinmeier.

Beim Aufbruchparteitag der SPD zu Fronleichnam, kurz nach dem vernichtenden Ergebnis der Europawahlen, wollte Steinmeier kämpferisch sein. Er versprach mit Nachdruck ein „Signal der Entschlossenheit“, das von ihm ausgehen werde. Er betonte aber falsch, nämlich auf der ersten Silbe statt auf der zweiten, sodass wir von einem „Signal der End-Schlossenheit“ hörten. Zitieren wollte er das Kampflied der Arbeiterbewegung, die Internationale. Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht.“ Zeigen wollte er den Willen zur Macht.

Doch die Endzeitstimmung übermannte ihn. Und aus dem Entschlossenen wird das End-Schlossene. Statt Aufbruch sahen wir das vorweggenommene Zusammensinken. In der Tat gleicht die SPD einem Ballon, aus dem die Luft entweicht. Und dies klingt nicht wie eine Explosion. Gewünscht hätte ich mir einen frei fliegenden Ballon der Hoffnung am Horizont einer aufgehenden Sonne. Für mich als gelerntem Linken hätten es wie bei Nena sogar 99 Luftballons sein dürfen. Stattdessen ist die hochgereckte Faust einer kämpferischen Linken schlaff wie ein leerer Gummihandschuh.

Die SPD hat ihre Seele zerbrochen an der Agenda 2010. Die Mitglieder haben Hartz Eins bis Vier nicht verstanden. Von den Wählern haben dies nur die verstanden, die nicht zum Stamm gehören. Die zu Führenden fremdeln mit den Führern, damals wie heute. Man hat ihnen gesagt, dass die Globalisierung den Verrat an der Seele verlange. Und rotweintrunken mit Basta die bittere Medizin verabreicht. Nun stehen die Verräter wieder da: Müntefering und Steinmeier, politische Greise beide; die Zauberlehrlinge aus dem Regime des Gerhard Schröder. Schröder souffliert aus der Kulisse gegen den Baron aus Bayern, Sprüche aus der Altersbosheit brabbelnd.

Das Volk ist ein trotziger Lümmel. Es versteht noch immer nicht. Und so bleibt es bei zwanzig Prozent. Ich wundere mich, bitter und böse, wie ich bin, dass es überhaupt noch so viele sind.


Professor Klaus Kocks ist Meinungsforscher

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