zurück zur Hauptseite


Die dunkle Seite

Klaus Staeck


Ich denke an die gewendeten Nazis in der Bundesrepublik. Jetzt, da „Kriegsverräter“ endlich Gerechtigkeit erfahren.


60 Jahre – 60 Jahre Erinnerungen werde ich wohl nie vergessen. Als in den 1950er Jahren mein Heidelberger Ortsvereinsvorsitzender mit Tränen in den Augen einmal erzählte, dass er als jüdischer Sozialdemokrat nach der Rückkehr aus dem KZ seine Wiedereinbürgerung bei demselben Beamten beantragen musste, der ihn zu Beginn der NS-Zeit ausgebürgert hatte. In der Zwischenzeit hatte die große Mehrheit der braven Heidelberger Bürger auch ihren Nazi-Bürgermeister ganz demokratisch wiedergewählt.

Zur gleichen Zeit pilgerten einige Professoren und Studenten zu Carl Schmitt und huldigten Ernst Jünger. Während sich das Interesse für Schmitt („Der Führer spricht das Recht“) inzwischen abgeschwächt hat, hält die Jünger-Verehrung unvermindert an. Wie überhaupt das Antidemokratische unter einigen Intellektuellen nicht nur eine exotische Randerscheinung ist. Fast alle meine juristischen Professoren an der Heidelberger Universität waren stramme, nun gewendete Nazis, denen kein Haar gekrümmt wurde.

Wie überhaupt keiner der Blutrichter, die Todesurteile am Fließband ausgestellt hatten, je zur Verantwortung gezogen wurde. Der Gipfel der Unverfrorenheit war die postume Beförderung des Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler, um seiner Witwe zu einer höheren Pension zu verhelfen. Dabei hätte eine Jahrespension all dieser schrecklichen Juristen gereicht, um den Zwangsarbeitern wenigstens früh zu einer symbolischen Anerkennung ihres Leids zu verhelfen. Viele Gestapo-Leute fanden übrigens schnell ein neues Einkommen in der Organisation Gehlen.

Da sich aber auch Konrad Adenauer, auf den sich viele als politischen Ahnherrn berufen, der einen Hans Globke zum Leiter seines Kanzleramtes machte. Globke, der den regierungsamtlichen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen schreib. Adenauer, der mit seiner forcierten Westintegration die Teilung Deutschlands zementierte. Allen verlogenen offiziellen 17. Juni-Reden zum Trotz. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der westdeutsche Staat hat die politischen Emigranten nie zur Rückkehr ein geladen. Im Gegenteil. Die Angehörigen der Widerstandskämpfer wurden auch im neuen Deutschland als Verräter geächtet. Das NSDAP-Mitglied Kiesinger konnte zum Kanzler aufsteigen, der „furchtbare Jurist“ Filbinger zum Ministerpräsidenten. Bei dessen Beerdigung wurde er vom Nachfolger Oettinger sogar dreist zum Widerstandkämpfer umgetauft. So gibt es heute noch Schulen, die den Namen von NSDAP-Mitgliedern, SA-Männern und Kriegsverbrechern tragen. Von den Kasernen wurden inzwischen einige umbenannt. Dafür gibt es noch genügend Hindenburg-Straßen, erinnernd an den greisen Militär, der dem befrackten Hitler am Tag von Potsdam zu einem demokratischen Anstrich verhalf.

Doch es tut sich was im demokratischen Deutschland. 64 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur will der Bundestag kommende Wochen endlich die NS-Urteile gegen sogenannte „Kriegsverräter“ aufheben. Die Urteile gegen Deserteure wurden immerhin schon 2002 für unrechtmäßig erklärt. All das bedenkend , ist im 60. Jahr dennoch eine relativ stabile Demokratie zu feiern, auch wenn sie durch die von gierigen Bankern und marktgläubigen Politikern ausgelöste gesellschaftliche Krise ihre größte Bewährungsprobe noch vor sich hat.

9.2009

Klaus Staeck ist Verleger und Grafiker

zurück zur Hauptseite