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Die SPD muss sich „re-sozialdemokratisieren“.

Die SPD macht sich selbst klein“

Linkenchef Lafontaine zu Rot-Rot-Fantasien


Herr Lafontaine, wieso beanspruchen Sie eigentlich nicht das Amt des Ministerpräsidenten im Saarland?

Die Linke kennt die parlamentarischen Spielregeln und die sind eindeutig: In einer Koalition stellt die Partei den Regierungschef, die die meisten Stimmen hat.

Die SPD sieht das in Thüringen anders.

Ja, und das ist nur noch wunderlich. Wer als kleinere Partei auf eine solche Schnapsidee kommt zu sagen, wir möchten den Ministerpräsidenten stellen, der befindet sich doch in massivem Erklärungsnotstand. Wer sagt, er sei aus persönlichen Gründen nicht bereit, Bodo Ramelow zu wählen, wohl aber diesen Herrn Althaus, ist unglaubwürdig.

Glauben Sie an Rot-Rot in Thüringen?

Selbstverständlich ist Rot-Rot möglich. Die SPD müsste dafür von ihrem hohen Ross herunter. Wenn die Sozialdemokraten ihre Forderungen, die sie im Landtagswahlkampf vertreten haben, ernst nehmen würden, könnten sie nur Rot-Rot machen. Aber das ist das Dilemma der SPD: Sie vertritt vor den Wahlen Forderungen, die sie nach den Wahlen sofort fallen lässt.

Müssten Sie der SPD nicht wenigstens einen roten Teppich ausrollen, wenn Ihnen wirklich etwas an so einem Bündnis liegt?

Wir haben doch einen roten Teppich ausgerollt. Das ist unser Programm. In den Ländern ist das Programm in vielen Punkten deckungsgleich mit Forderungen der SPD. Einen besseren roten Teppich kann ich mir nicht vorstellen.

Die SPD offenbar schon.

Mag sein, dass ihr die Ämter wichtiger sind als das Programm. Aber dann ist das ihr Problem.

In Deutschland wird seit den Wahlen vom Sonntag wieder viel über Rot-Rot-Grün spekuliert. Eine realistische Option auch für den Bund?

Nein. Für die Linke ist immer das Programm ausschlaggebend. Solange SPD und Grüne den Krieg in Afghanistan befürworten, solange sie mehr oder weniger die Rentenkürzung, die Kürzung des Arbeitslosengeldes und Lohndumping durch Hartz IV unterstützen, solange gibt es keine Basis für eine Zusammenarbeit.

Warum kann Rot-Rot-Grün im Saarland, eventuell auch in Thüringen funktionieren, nicht aber auf Bundesebene?

Weil alle Fragen, die uns trennen, nicht in den Ländern entschieden werden.

Über den Bundesrat doch wohl schon.

Der Bundesrat entscheidet mit. Aber auch dort würde eine Regierungsbeteiligung der Linken sicherstellen, dass keinem Gesetz zugestimmt wird, das Sozialabbau zum Ziel hat.

Müssen auch Sie irgendwann mal Kompromisse eingehen?

Selbstverständlich. Aber es gibt auch Grundsätze. Das klassische Beispiel ist der Afghanistan-Krieg. Wir können diesem Krieg nicht zustimmen, auch nicht ein bisschen.

Das ist für Sie conditio sine qua non?

Das ist für die Linke die conditio sine qua non.

Gibt es noch welche?

Die zweite ist die jetzige Rentenformel. Auf dieser Grundlage ist keine Zusammenarbeit möglich. Sie entwertet die Leistungen von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. All diejenigen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, haben nach 45 Jahren Arbeitsleben einen genauso hohen Rentenanspruch wie jemand, der nie gearbeitet hat. Es ist für mich unvorstellbar, in welchem Ausmaß CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne den Leistungsgedanken in Deutschland zerstört haben. Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung. Wer da jahrzehntelang eingezahlt hat, erhält nach einem Jahr Arbeitslosigkeit dasselbe, wie einer, der nie gearbeitet hat. Das untergräbt die Leistungsbereitschaft in der Bevölkerung. Mit Leuten, die das zu verantworten haben und nicht davon abrücken, kann und will die Linke keine Regierung bilden.

Sie verlangen im Grunde nichts anderes, als dass die SPD alles, wofür sie seit 1998 steht, über Bord wirft.

Die SPD muss eine schonungslose Analyse anstellen, warum sie in einem Jahrzehnt fast die Hälfte ihrer Wählerschaft und ihrer Mitglieder verloren hat. Die Antwort ist sehr einfach: Sie hat sich von sozialdemokratischen Grundsätzen verabschiedet. Die SPD muss zurück zu einer Außenpolitik, die das Völkerrecht beachtet, und auf Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie setzt. Und sie muss darüber hinaus bereit sein, wieder einen funktionierenden Sozialstaat zu schaffen.

Klingt so, als würden Sie gerne wieder den Vorsitz übernehmen.

Danke, ich habe schon einen.

Wie klein wollen Sie die SPD denn noch kriegen?

Es ist nicht unser Ziel, die SPD klein zu kriegen. Unser Ziel ist es, sein dazu anzuhalten, sich zu re-sozialdemokratisieren. Das heißt, sie muss erkennen, dass ein Sozialstaat, der verlässlich soziale Sicherheit gibt, die Lebensgrundlage für den Großteil der Menschen hierzulande ist.

De facto machen Sie die SPD klein.

De facto macht sich die SPD selbst klein. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Partei angesichts einer unglaublichen Serie von Wahlniederlagen nicht bereit ist, ihre Politik zu korrigieren.

Es gab doch Korrekturen.

Die waren viel zu gering. Wenn die SPD-Führung nicht bald erkennt, dass sie nicht gegen die Wählerinnen und Wähler Politik machen kann, wird die SPD weiter Wähler und Mitglieder verlieren. In Thüringen sieht es schon wieder so aus.

Interview: Jörg Schindler

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