Der gescheiterte Staat
Failed States: The Abuse of Power and the Assault on Democracy, by Noam Chomsky, New York 2006, S. 251-263 (dt.: Der gescheiterte Staat, München 2006, S. 327-343).
Dass das wachsende demokratische Defizit in den Vereinigten Staaten mit der Verkündung von Heilsmissionen einhergeht, die einer bedürftigen Welt die Demokratie bringen sollen, ist in der Geschichte nichts Neues. Wenn Machtsysteme hehre Absichten erklären, ist das nur selten reine Erfindung, und so verhält es sich auch in diesem Fall. Unter bestimmten Bedingungen sind demokratische Formen durchaus akzeptabel. Die „Demokratieförderung“ im Ausland, so ihr oberster wissenschaftlicher Wortführer Thomas Carothers, hat „eine starke Kontinuität“: Die Demokratie gilt dann und nur dann als annehmbar, wenn sie mit strategischen und wirtschaftlichen Interessen der USA vereinbar ist. In abgewandelter Form gilt diese Doktrin auch für die Innenpolitik.
Das grundlegende politische Dilemma wird am gemäßigt liberalen Ende des Spektrum gelegentlich offen ausgesprochen, so etwa von Robert Pastor, Präsident Carters Sicherheitsberater für Lateinamerika, als er erklärte, warum die Regierung das mörderische, korrupte Somoza-Regime in Nicaragua unterstützen musste. Und warum sie, als sich das als unmöglich erwies, versuchte, zumindest die von den USA ausgebildete Nationalgarde zu halten, auch dann noch, als sie an die 40.000 Menschen der eigenen nicaraguanischen Bevölkerung „mit einer Brutalität, die ein Land in der Regel dem Feind vorbehält“, niedermetzelte. Die Begründung lautete wie üblich: „Die Vereinigten Staaten wollten nicht die Macht über Nicaragua oder andere Länder in der Region an sich reißen, aber sie wollten auch nicht, dass die Entwicklungen dort außer Kontrolle gerieten. Nicaragua sollte frei agieren können, außer wenn es den US-Interessen schadete.“
Vor einem ähnlichen Dilemma standen die Planungsstäbe der Regierung Bush nach der Invasion im Irak. Sie wollten, dass die Iraker „unabhängig agieren, außer wenn es den US-Interessen schadet“. Daher soll der Irak souverän und demokratisch werden, jedoch in Maßen. Irgendwie muss er zu einem gehorsamen Vasallenstaat umgestaltet werden, am besten nach dem herkömmlichen Muster in Mittelamerika – das auch anderswo zu finden ist und oft zu allem anderen als zu demokratischen Strukturen führt. Der Kreml war in der Lage, sich Satellitenstaaten zu halten, die von den politischen und militärischen Kräften des jeweiligen Landes mit eiserner Faust geführt wurden. Deutschland gelang Ähnliches im besetzten Europa, obwohl es sich im Krieg befand, genauso Japan in der Mandschurei (Mandschuko). Das faschistische Italien erreichte dasselbe in Nordafrika, wobei es praktisch einen Völkermord verübte, der seinem Ansehen in der westlichen Welt in keiner Weise schadete und womöglich Hitler zum Vorbild diente. Varianten dieser Herrschaftsstruktur finden sich in fast allen imperialistischen und neokolonialen Ländern.
Wie bereits dargelegt, erwies es sich trotz der ungewöhnlich günstigen Umstände im Irak als erstaunlich schwierig, dieses Ziel zu erreichen. Das Problem, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit mit einer starken Kontrolle zu kombinieren, trat schon kurz nach der Invasion überdeutlich zutage, als ein massenhafter gewaltloser Widerstand der Bevölkerung die Invasoren zwang, den Irakern mehr Eigeninitiative zuzugestehen als vorgesehen. Der Ausgang des Konflikts beschwor die albtraumhafte Vision eines mehr oder weniger demokratischen uns souveränen Irak herauf, der einen Platz in einem losen schiitischen Bündnis mit dem Iran und vielleicht sogar den vorwiegend schiitischen Nachbarregionen Saudi-Arabien einnimmt, eine Allianz, die den Großteil der weltweiten Ölvorkommen kontrollieren würde und von Washington unabhängig wäre.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Nicht auszuschließen, dass der Iran die Hoffnung auf ein von den USA unabhängigen Europa aufgibt und sich stattdessen seinen östlichen Nachbarn zuwendet. So schreibt Selig Harrison, ein führender Experte auf diesem Gebiet: „Die Atomverhandlungen zwischen dem Ira und der Europäischen Gemeinschaft beruhten auf einer Vereinbarung, der die EU nicht nachkam, weil sie von den USA davon abgehalten wurde.“ Diese Vereinbarung lautete, dass der Iran die Anreicherung von Uran aussetzen und die EU im Gegenzug Sicherheitsgarantien geben würde. Der Wortlaut der gemeinsamen Erklärung war „unzweideutig“. „Eine beidseitig annehmbare Übereinkunft“, hieß es darin, würde nicht nur „objektive Garantien“ beinhalten, dass das Atomprogramm des Iran „ausschließlich friedlichen Zwecken“ dient, sondern „ebenso feste Zusagen in Sicherheitsfragen.“
Der Begriff „Sicherheitsfragen“ ist ein kaum verschleierter Hinweis auf die Drohungen der Vereinigten Staaten und Israels, den Iran zu bombardieren, sowie die Vorbereitungen darauf. Das Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt wird, ist die Bombardierung des irakischen Reaktors in Osirak durch Israel im Jahr 1981, die wahrscheinlich der Auslöser für Saddam Husseins Atomwaffenprogramm war – ein weiterer Beweis dafür, dass Gewalt zu Gegengewalt führt. Jeder Versuch, ähnlich gegen den Iran vorzugehen, könnte unmittelbar zu einer militärischen Aggression führen, was man in Washington zweifelsohne weiß. Bei einem Besuch in Teheran warnte der einflussreiche irakisch-schiitische Geistliche Muktada al-Sadr, seine Miliz werde den Iran gegen jeden Angriff verteidigen, „bislang eins der deutlichsten Zeichen dafür“, so die Washington Post, „dass der Irak bei einem Konflikt des Westens mit dem Iran zum Schlachtfeld werden könnte. Damit aber tritt das Gespenst irakisch-schiitischer Milizen – vielleicht sogar des von den USA ausgebildeten, schiitisch dominierten Militärs – auf den Plan, die aus Sympathie mit dem Iran den Kampf mit den amerikanischen Truppen aufnehmen.“ Die Sadristen, die bei den Wahlen im Dezember 2005 erhebliche Gewinne verbuchen konnten, werden möglicherweise schon bald zur stärksten Macht im Irak. Sie folgen bewusst dem Beispiel anderer erfolgreicher Islamistengruppen wie der Hamas in Palästina und untermauern ihren entschlossenen Widerstand gegen die militärische Besetzung, indem sie ein soziales Netz und Unterstützung für die Armen organisieren.
Die Abneigung Washingtons, eine Debatte über Fragen der Sicherheit in der Region zuzulassen, ist nicht neu. Sie zeigte sich in der Konfrontation mit dem Irak schon öfter. Den Hintergrund hierfür bildet die Frage der israelischen Atomwaffen, ein Thema, dessen Diskussion auf nationaler Ebene Washington stets verhindert. Dahinter lauert „das zentrale Abkommen über die Nichtweiterverbreitung“, wie Harrison es zutreffend bezeichnet: nämlich, dass die Atomstaaten ihre Verpflichtung aus dem NPT-Abkommen, „ihre eigenen Atomwaffen abzubauen“, nicht einhalten – und Washington diese Verpflichtung sogar offiziell zurückweist.
Im Unterschied zu Europa lässt sich China nicht von Washington einschüchtern – ein Hauptgrund für die zunehmende Angst der amerikanischen Planungsstäbe vor dem asiatischen Riesen. Ein Großteil des iranischen Öls geht bereits nach China, das im Gegenzug den Iran mit Waffen beliefert, vorgeblich zur Abschreckung gegen US-Drohungen. Noch unangenehmer für Washington ist die Tatsache, dass sich „die chinesisch-saudischen Beziehungen enorm entwickelt haben“, was sich an chinesischer Militärhilfe für Saudi-Arabien und chinesischen Erschließungsrechten für Gasvorkommen zeigt. 2005 stammten 17 Prozent der chinesischen Ölimporte aus Saudi-Arabien. Chinesische und saudi-arabische Unternehmen unterzeichneten Verträge für Bohrungen und den Bau einer riesigen Raffinerie (mit Exxon Mobil als Partner). Bedi einem Besuch des saudischen Königs Abdullah im Hanuar 2006 in Peking wurden „fünf Kooperationsabkommen über Zusammenarbeit in den Bereichen Erdöl, Erdgas und Bodenschätzen“ unterzeichnet. „Außerdem erklärten beide Seiten ihre Bereitschaft, die Zusammenarbeit bei Energie, Wirtschaft und Handel, Bildung und Infrastruktur auszubauen.“
Der indische Analytiker Aijaz Ahmad meint, der Iran könne „praktisch zum kommenden Dreh- und Angelpunkt eines asiatischen Energiesicherheitsnetzes werden, das China und Russland inzwischen für unerlässlich halten, um die Kontrolle des Westens über die weltweiten Energievorräte zu brechen und die große industrielle Revolution in Asien zu ermöglichen“. Südkorea und die Länder Südostasiens würden sich wahrscheinlich anschließen und möglicherweise auch Japan. Eine entscheidende Frage wird dabei sein, wie sich Indien verhält. Dem Druck der USA, ein Abkommen mit dem Iran über den Bau einer Ölpipeline aufzukündigen, hat es sich widersetzt. Andererseits stimmte Indien mit den Vereinigten Staaten und der EU für eine Resolution der IAEA gegen den Iran und bezog damit dieselbe heuchlerische Haltung wie Europa und die USA, denn Indien lehnt Bestimmungen des NPT ab – während sich der Iran bislang im Großen und Ganzen dran zu halten scheint. Laut Ahmad ändert Indien womöglich seinen Standpunkt, nachdem der Iran mit dem Stopp eines 20 Milliarden schweren Geschäfts gedroht hatte. Daraufhin warnte Washington Indien. „das Atomabkommen mit den USA könnte scheitern“, sollte Indien den amerikanischen Forderungen nicht nachkommen, was wiederum zu einer scharfen Erwiderung des indischen Außenministers und einer teilweisen Rücknahme der Drohung durch die US-Botschaft führte.
Auch Indien hat Alternativen. Vielleicht entscheidet es sich für die Rolle des US-Vasallen, vielleicht aber auch für die Mitgliedschaft in einem unabhängigeren asiatischen Block, der allmählich Formen annimmt und zunehmend Verbindungen zu Ölproduzenten im Nahen Osten unterhält. Der stellvertretende Herausgeber des Hindu hat diesem Thema eine Reihe informativer Kommentare gewidmet. „Wenn das 21. Jahrhundert ein „asiatisches Jahrhundert“ sein soll“, so meint er, „muss sein seine Passivität auf dem Energiesektor aufgeben.“ Obwohl „sich hier die weltweit größten Energieproduzenten befinden und der Konsum am raschesten wächst, ist der interasiatische Handel immer noch von Institutionen, Handelsregelungen und bewaffneten Kräften außerhalb der Region abhängig“, ein hinderliches Erbe der imperialistischen Ära. Entscheidend ist die Zusammenarbeit zwischen Indien und China. 2005, so betont Hindu, „gelang es (China und Indien), die Fachleute weltweit in Erstaunen zu versetzen, indem sie die berüchtigte Rivalität um die Förderung von Öl und Gas in Drittländern durch die Besiegelung einer Partnerschaft ersetzten, welche die Dynamik des Weltenergiemarktes grundlegend verändern könnte“. Ein im Januar 2006 in Peking unterzeichnetes Abkommen „bereitete den Weg für die indisch-chinesische Zusammenarbeit nicht nur auf dem Gebiet der Technologie, sondern auch bei der Gewinnung und Erforschung von Wasserstoff, eine Partnerschaft, die geeignet ist, die Machtverhältnisse im weltweiten Öl- und Erdgasgeschäft grundlegend zu verschieben“. Bei einem Treffen asiatischer Energieproduzenten und Abnehmerländer in Neu-Dehli wenige Monate zuvor hatte Indien ein „ehrgeiziges, 22,4 Milliarden Dollar teures Projekt für ein panasiatisches System der Gasversorgung und sicherer Ölpipelines vorgelegt“, das sich von Sibirien durch Zentralasien bis zu den Energiegiganten im Nahen Osten zieht und auch Verbraucherländer einschließt. Darüber hinaus verfügen die asiatischen Länder „über mehr als zwei Billionen Dollar an Devisenreserven“, vorwiegend US-Währung, obwohl aus Gründen der Vorsicht eine breitere Streuung geboten wäre. Ein erster Schritt, der bereits in Erwägung gezogen wird, ist ein asiatischer Ölmarkt auf Euro-Basis. Die Auswirkungen auf das internationale Finanzsystem und die weltweiten Machtverhältnisse könnten enorm sein. Die Vereinigten Staaten „betrachten Indien als das schwächste Glied in der zukünftigen asiatischen Kette“, heißt es weiter im Hindu, und „unternehmen gezielte Versuche, New-Delhi von der Schaffung neuer regionaler Strukturen abzubringen, indem sie mit der atomaren Rüstung winken und ihm Weltmachtstatus im Bündnis mit den USA versprechen“. Wenn das asiatische Projekt gelingen soll, warnt er, „muss Indiendiesen Verlockungen widerstehen.“ Ähnliche Fragen erheben sich im Hinblick auf die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die 2001 als russisch-chinesisches Gegengewicht gegen die Ausdehnung der US-Macht auf das ehemals sowjetische Zentralasien gegründet wurde. Sie mausert sich nach Ansicht des langjährigen Moskau-Korrespondenten Fred Weir inzwischen „rasch zu einem regionalen Sicherheitsblock“, der „bald neue Mitglieder wie Indien, Pakistan und den Iran aufnehmen“ und sich zu einem „eurasischen Militärbündnis in Konkurrenz zur NATO“ entwickeln könnte.
Die Aussicht, dass Europa und Asien mehr Unabhängigkeit erlangen könnten, versetzt die US-Planer schon seit dem Zweiten Weltkrieg in große Sorge, und zwar mit steigender Tendenz, da sich die tripolare Ordnung weiter entwickelt, die Länder des Südens zunehmend miteinander kooperieren und die EU immer mehr Abkommen mit China schließt.
Die US-Geheimdienste gehen davon aus. Dass die Vereinigten Staaten zwar weiterhin aus traditionellen Gründen die Macht über das Öl im Nahen Osten ausüben wollen, für den eigenen Bedarf aber vorwiegend auf die sicheren Vorkommen im Atlantischen Becken (Westafrika, westliche Hemisphäre) zurückgreifen werden. Die Kontrolle über das Öl im Nahen Osten ist inzwischen keineswegs mehr gesichert, und auch die Entwicklungen in der westlichen Hemisphäre sind bedrohlich geworden, eine Tendenz, die durch die Politik der Regierung Bush beschleunigt wurde, die die Vereinigten Staaten auf Weltebene enorm isoliert hat. Bush ist es sogar gelungen, Kanada vor den Kopf zu stoßen – eine beeindruckende Leistung. Die Beziehungen Kanadas zu den Vereinigten Staaten sind „angespannter und aggressiver“ als je zu vor –laut Joel Brinkley, weil Washington Entscheidungen der NAFTA, abgelehnt hat, die Kanada Vorteile bringen. „Teils aus diesem Grund versucht Kanada alles, um seine Beziehungen zu China auszubauen, und hochrangige Beamte sagen sogar, es könne einen entscheidenden Teil seines Handels, insbesondere Öllieferungen, von den Vereinigten Staaten nach China verlagern.“ Kanadas Minister für natürliche Ressourcen erklärte, innerhalb weniger Jahre werde ein Viertel des Öls, das Kanada momentan an die Vereinigten Staaten liefert, stattdessen nach China gehen. Ein weiterer Schlag für die Energiepolitik Washingtons ist, dass der führende Ölexporteur der Hemisphäre, Venezuela, unter allen lateinamerikanischen Ländern, die vermutlich engsten Beziehungen zu China pflegt und beabsichtigt, seine Öllieferungen nach China zu steigern, um weniger von der unverhohlen feindlich gesinnten US-Regierung abhängig zu sein. Insgesamt unterhält Lateinamerika in zunehmenden Maße Handels- und anderweitige Beziehungen zu China, wobei es zwar einige Rückschläge, insgesamt aber eine steigende Tendenz gibt, insbesondere was Rohstofflieferanten wie Brasilien uns Chile angeht.
Unterdessen entwickeln sich auch enge, für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zwischen Kuba und Venezuela. Venezuela liefert kostengünstig Öl, im Gegenzug führt Kuba – wie in anderen Ländern der Dritten Welt auch – Bildungs- und Gesundheitsprogramme durch und hat Tausende hochqualifizierte Fachleute, Lehrer und Ärzte in die ärmsten am stärksten vernachlässigten Regionen Venezuelas geschickt. Es gibt sogar kubanisch-venezolanische Projekte in den karibischen Ländern, wobei kubanische Ärzte, finanziert von Venezuela, Tausende Menschen versorgen. Der jamaikanische Botschafter in Kuba bezeichnete das sogenannte „Unternehmen Wunder“, das von der armen Mehrheit mit Begeisterung aufgenommen wird, als „beispielhaft für die Integration und Zusammenarbeit der Länder des Südens“. Die medizinische Hilfe durch Kuba ist auch andernorts hochwillkommen. Eine der schrecklichsten Tragödien der letzten Jahre war das Erdbeben in Pakistan im Oktober 2005, dem zahllose Menschen zum Opfer fielen. Die meisten Überlebenden standen ohne Dach über dem Kopf, ohne Lebensmittel und ohne medizinische Versorgung da, und das unmittelbar vor einem strengen Winter. Doch erst ein Blick in die südasiatische Presse verrät, dass „Kuba das größte Kontingent an Ärzten und Sanitätern nach Pakistan geschickt“ und sämtliche Kosten dafür übernommen hat (vielleicht mit Geldern aus Venezuela) und Präsident Musharraf seine „tiefe Dankbarkeit“ für den „Geist und das Mitgefühl“ der kubanischen Ärzteteams zum Ausdruck brachte. Berichten zufolge handelte es sich um über tausend ausgebildete Helfer – 44 Prozent davon Frauen- die im Land blieben, nachdem ihre Kollegen aus dem Westen abgezogen waren. Sie arbeiteten in Zwölfstundenschichten in den entlegensten Bergdörfern, „lebten bei Temperaturen unter null und inmitten einer fremden Kultur in Zelten“ und errichteten 19 Feldlazarette.
Beobachter vermuten bereits, Kuba und Venezuela könnten eine Bündnis eingehen, das ein weiterer Schritt zur Integration Lateinamerikas zu einem von den USA weniger abhängigen Blocks wäre. Venezuela hat sich Mercosur, der südamerikanischen Zollunion, angeschlossen, was der argentinische Präsident Néstor Kirchner als einen „Meilenstein“ in der Entwicklung dieser Handelszone bezeichnete und der brasilianische Präsident Luiz Inácio da Silva als „neues Kapitel unseres Zusammenschlusses“ bejubelte. Unabhängige Experten sind der Ansicht, „der Beitritt Venezuelas nähre die geopolitische Vision des Blocks, dass sich Mercosur eines Tages auf die ganze Region ausbreitet“. Bei einem Treffen zur Feier des Beitritts von Venezuela zu Mercosur sagte der venezolanische Präsident Chávez: „Wir dürfen nicht zulassen, dass dies lediglich ein ökonomisches Projekt ist, eins für die Eliten und die transnationalen Unternehmen“, eine kaum verhüllte Anspielung auf die von den USA unterstützte interamerikanische Freihandelszone FTAA (Free Trade Area for the Americas), die starken öffentlichen Widerstand ausgelöst hat. Venezuela liefert auch Heizöl an Argentinien, um eine Energiekrise abzuwenden, und zeichnete fst ein Dritte der 2005 aufgelegten argentinischen Staatsanleihen – ein Bestandteil der Bemühungen in der region, die Länder von der Kontrolle des von den USA dominierten IWF zu befreien, dessen Vorschriften zwei Jahrzehnte lang katastrophale Folgen zeitigten. Der IWF „hat in unserem Land als Beförderer und Motor einer Politik fungiert, die dem argentinischen Volk viel Armut und Leid gebracht hat“, erklärte Präsident Kirchner, als er seine Entscheidung bekannt gab, fast eine Billion Dollar auf den Tisch zu legen, um sich ein für alle Mal vom IWF loszukaufen. Durch die radikale Abkehr von den IWF-Vorschriften konnte sich Argentinien weitgehend von den Verheerungen erholen, die die IWF-Politik angerichtet hatte.
Mit der Wahl von Evo Morales in Bolivien im Dezember 2005, der als erster Präsident aus der indigenen Mehrheit der Bevölkerung stammt, war ein erster Schritt zu einer unabhängigen, integrierten Region erreicht. Morales beeilte sich, Energieabkommen mit Venezuela zu schließen. Die Financial Times berichtete, „es steht zu erwarten, dass dies die bevorstehenden radikalen Reformen in der Wirtschaft und auf dem Energiesektor Boliviens untermauern wird“, dessen riesige Gasvorkommen in Südamerika nur noch von Venezuela übertroffen werden. Morales bekannte sich auch zur Abkehr von der rigoros neoliberalen Politik, die Bolivien 25 Jahre lang mit der Folge betrieben hatte, dass das Pro-Kopf-Einkommen beständig sank. Die neoliberalen Maßnahmen wurden in dieser Zeit immer nur dann ausgesetzt, wenn die Unzufriedenheit der Bevölkerung die Regierung zwang, wie bei der von der Weltbank empfohlenen Privatisierung der Wasserversorgung und der damit verbundenen „Preiskorrektur“ – die dazu führte, dass die Armen keinen Zugang zu Trinkwasser mehr hatten.
Die venezolanische „Subversion“, wie Washington es nennt, greift bereits auf die Vereinigten Staaten über. Vielleicht wird deshalb der Ruf nach einer Ausweitung der „Eindämmungspolitik“ laut, die Bush im März 2005 gegenüber Venezuela anordnete. Im November 2005 berichtete die Washington Post von einem Brief einiger Senatoren „an neun große Ölgesellschaften: >Angesichts des zu erwartenden Anstiegs der Heizkosten für den Winter<, so hieß es darin, >bitten wir Sie, einen Teil Ihrer Rekordgewinne zur Verfügung zu stellen, damit auch die einkommensschwache Bevölkerung diese Kosten aufbringen kann<“. Als einziges Unternehmen antwortete CITGO, das unter venezolanischer Leitung steht. CITGO bot billiges Öl für die einkommensschwache Bevölkerung Bostons und später auch andernorts an. Chávez tue dies nur aus „politischem Eigennutz“, hieß es daraufhin aus dem US-Außenministerium. Das erinnere an „die kubanische Regierung, die unterprivilegierten amerikanischen Jugendlichen Stipendien für eine medizinische Ausbildung in Kuba zur Verfügung stellt“. Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten, und anderen Ländern, bei deren Hilfe es sich um Nächstenliebe reinsten Herzens handelt. Ob diese subtile Kritik die Empfänger der „zwölf Millionen Gallonen verbilligten Heizöls (von CITGO) für lokale Wohltätigkeitsorganisationen und 45.000 einkommensschwache Familien in Massachusetts“ beeindruckt, ist zweifelhaft. Angesichts von 30-50-prozentigen Preiserhöhungen wird das Öl an Arme verteilt, die „erbärmlich niedrige Heizkostenbeihilfen erhalten – ein warmer Regen für Menschen, die sonst kaum über den Winter kämen“, so der Leiter der gemeinnützigen Organisation, die das verbilligte Öl an „Obdachlosenheime, Wohlfahrtseinrichtungen und einkommensschwache Haushalte“ verteilt. Und weiter meint er, er „hoffe, diese Abmachung stelle >eine freundliche Aufforderung< an die US-amerikanischen Ölgesellschaften dar – die erst kürzlich Quartalsgewinne in Rekordhöhe meldeten -, ihre zusätzlichen Gewinne zu verwenden, armen Familien über den Winter zu helfen“. Offensichtlich hoffte der Mann vergeblich.
Während Mittelamerika durch Gewalt und Terror der Reagan-Clique weitgehend diszipliniert wurde, entgleitet der Rest des Kontinents der US-Kontrolle, insbesondere die Region von Venezuela bis Argentinien. Ausgerechnet Argentinien war einst das Aushängeschild deds IWF und des US-Finanzministeriums, bis seine Wirtschaft unter der Knute der von ihnen aufgezwungenen Politik zusammenbrach. Ein großer Teil Südamerikas hat Mitte-Links-Regierungen. Die indigenen Völker sind stärker beteiligt und üben mehr Einfluss aus, insbesondere in Bolivien und Ecuador – beides wichtige Energieproduzenten -, wo sie die Öl- und Gasvorkommen unter einheimischer Kontrolle sehen wollen oder sich überhaupt der Energieproduktion widersetzten. Viele indigenen Völker sehen offenbar keinen Grund, warum ihr Leben, ihre Gemeinschaft und ihre Kultur zerrüttet oder ganz zerstört werden soll, damit die New Yorker mit ihren Geländewagen im, Staustehen können. Manche fordern sogar eine „indianische Nation“ in Südamerika. Unterdessen werden durch die wirtschaftliche Integration Strukturen abgeschafft, die zum Teil bis zu den spanischen Eroberungen zurückreichen und in denen die lateinamerikanischen Eliten und Ökonomien mit den imperialistischen Mächten verbunden waren, jedoch nicht untereinander. Mit der zunehmenden Interaktion zwischen den Ländern des Südens wächst der Einfluss von Basisorganisationen, die sich in einer nie dagewesenen internationalen Bewegung für mehr globale Gerechtigkeit zusammengefunden haben. Groteskerweise spricht man „Globalisierungsgegnern“ – nur weil sie eine Globalisierung befürworten, die die Interessen der normalen Bevölkerung in den Vordergrund stellt, nicht die von Investoren und Finanzinstitutionen. Sogar unabhängig von dem Schaden, den die Planungsstäbe der Bush-Regierung angerichtet haben, ist die globale Vorherrschaft der USA nicht besonders stabil.
Daraus resultiert unter anderem, dass die traditionelle Politik der Regierung Bush zur Verhinderung der Demokratie auf neue Schwierigkeiten stößt. Es ist nicht mehr so leicht wie früher, demokratisch gewählte Regierungen durch einen Militärputsch oder Terrorismus zu stürzen, wie die Bush-Planer 2002 in Venezuela bitter erfahren mussten. Die „starke Kontinuität“ muss größtenteils mit anderen Mitteln gewahrt werden. Wie man sehen konnte, zwang im Irak ein massenhafter gewaltloser Widerstand Washington und London, Wahlen zuzulassen, die beide hatten vermeiden wollen. Der anschließende Versuch, die Wahlen zu hintertreiben, indem man dem Lieblingskandidaten der US-Regierung wesentliche Vorteile verschaffte und die unabhängigen Medien des Landes verwies, schlug ebenfalls fehl. Aber das sind noch nicht alle Probleme. Die irakische Arbeiterbewegung macht trotz des Widerstands der Besatzungsbehörden beachtliche Fortschritte. Die Situation ist ähnlich wie in Europa und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, als es vorrangiges Ziel der Vereinigten Staaten und Großbritanniens war, unabhängige Gewerkschaften zu verhindern – wie auch im eigenen Land, und zwar aus den selben Gründen: Eine organisierte Arbeiterschaft trägt wesentlich zu einer funktionierenden Demokratie unter Beteiligung der Bevölkerung bei. Viele der früher probaten Maßnahmen – Lebensmittelembargos, die Unterstützung einer faschistischen Polizei – stehen nicht mehr zur Verfügung. Auch ist es heute nicht mehr möglich, Gewerkschaften mithilfe des Funktionärsapparats des rechten AIFLD (American Institute for Free Labor Developement) unschädlich zu machen. Heute unterstützen einige der amerikanischen Gewerkschaften die Arbeiter im Irak ebenso wie in Kolumbien, wo mehr Gewerkschafter ermordet werden als sonst wo auf der Welt. Zumindest können die dortigen Gewerkschaften inzwischen auf die Hilfe der United Steelworkers of America und anderer zählen, während Washington die Regierung, die großenteils für die Morde verantwortlich ist, weiterhin mit Riesensummen unterstützt.
Das Problem mit den Wahlen stellt sich in Palästina in ähnlicher Weise wie im Irak. Wie bereits dargelegt, billigte die Regierung Bush Wahlen erst nach dem Tod von Jassir Arafat, weil bis zu diesem Zeitpunkt klar war, dass der Falsche gewinnen würde. Erst nach Arafats Tod konnte Bush einen Sieg des von ihm favorisierten Kandidaten aus der palästinensischen Autonomiebehörde erwarten. Um dieses Ergebnis zu erreichen, griff Washington auf dieselben Methoden zurück wie im Irak und zuvor bereits anderswo. Mithilfe der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) als „unsichtbarem Kanal“ versuchte die Regierung Bush, „die Popularität der palästinensischen Autonomiebehörde im Vorfeld der entscheidenden Wahlen zu steigern, da die regierende Partei der radikalislamischen Gruppe Hamas zu unterliegen droht“, und stellte fast zwei Millionen Dollar „für kurzfristige Projekte vor der Wahl in dieser Woche (zur Verfügung), um das Image des regierenden Fatah-Arms bei den Wählern aufzupolieren“. In den Vereinigten Staaten wie auch in jedem anderen westlichen Land würde der bloße Verdacht einer solchen Einmischung durch das Ausland dem betreffenden Kandidaten jede Chance rauben, anderswo jedoch legitimiert die tief verwurzelte imperialistische Haltung ein solches Vorgehen. Allerdings scheiterte der Versuch, die Wahlen zu unterminieren, auch hier mit Pauken und Trompeten.
Die Regierungen der USA und Israels müssen sich nun irgendwie auf eine radikalislamische Partei einstellen, die dieselbe Verweigerungshaltung annimmt, die sie selbst schon seit Langem pflegen – wenngleich nicht ganz, zumindest, wenn die Hamas es ernst meint mit dem unbegrenzten Waffenstillstand an der international akzeptierten Grenze, wie ihre Anführer behaupten. Die USA und Israel hingegen bestehen darauf, dass Israel wesentliche Teile des Westjordanlands (und die Golanhöhen, die meist vergessen werden) behält. Die Weigerung der Hamas, Israels „Existenzrecht“ anzuerkennen, ist lediglich ein Spiegelbild der Weigerung Washingtons und Jerusalems, das „Existenzrecht“ Palästinas anzuerkennen. Wobei der der Begriff „Existenzrecht“ in der internationalen Diplomatie nicht vorkommt. So akzeptiert Mexico zwar die Existenz der Vereinigten Staaten, aber nicht ihr abstraktes „Existenzrecht“ auf fast die Hälfte des mexikanischen Territoriums, das sie sich durch Eroberung angeeignet haben. Dass die Hamas offiziell den Willen bekundet, „Israel zu zerstören“, stellt sie auf die gleiche Stufe mit den Vereinigten Staaten und Israel, die offiziell erklärten, es könne keinen „weiteren palästinensischen Staat (neben Jordanien) geben, bis sie, wie bereits dargelegt, ihre extreme Verweigerungshaltung in den vergangenen Jahren teilweise revidierten. Die Hamas hat zwar Derartiges nie verlauten lassen, doch wäre es durchaus denkbar, dass sie eine Regelung befürworten, wonach Juden in verstreuten Teilen des gegenwärtigen Israel bleiben, während Palästina riesige Siedlungen baut und Infrastrukturprogramme realisiert, um an das wertvolle Land und die Ressourcen zu gelangen. Damit würde Israel praktisch in nicht lebensfähige Zonen zerteilt, die voneinander und von jedem kleinen Teil Jerusalems abgeschnitten wären, in dem ebenfalls Juden bleiben dürften. Und womöglich würde sich die Hamas auch bereit erklären, diese Bruchstücke als „Staat“ zu bezeichnen. Wenn sie tatsächlich solche Vorschläge unterbreiten würde, würden wir ihr mit Recht den Rückgriff auf nationalsozialistisches Gedankengut vorwerfe, was einige Fragen aufwerfen würde. Aber mit solchen Vorschlägen wäre die Position der Hamas im Wesentlichen dieselbe wie die der Vereinigten Staaten und Israels in den vergangenen fünf Jahren, nachdem sie sich entschlossen hatten, eine erbärmliche Form von „Souveränität“ zu tolerieren. Man kann die Hamas mit Fug und Recht als radikal, extremistisch und gewalttätig, als ernste Bedrohung für den Frieden und eine gerechte politische Lösung bezeichnen. Aber damit steht sie nicht allein.
Anderswo waren die alten Mittel zur Hintertreibung der Demokratie durchaus zielführend. In Haiti arbeitete die von der Regierung Bush besonders geschätzte „Organisation für den Aufbau der Demokratie, das International Republican Institute“ emsig daran, den Widerstand gegen Präsident Aristide zu fördern, wobei dieser Einrichtung zu Hilfe kam, dass dem Land die dringend notwendige Unterstützung aus bestenfalls dubiosen Gründen vorenthalten wurde. Als es den Anschein hatte, dass Aristide eine echte Wahl gewinnen würde, zogen sich Washington und die Opposition zurück – ein gängiges Instrument, um Wahlen in Misskredit zu bringen, von denen zu erwarten ist, dass sie nicht das richtige Ergebnis liefern. Nicaragua 1984 und Venezuela im Dezember 2005 sind dafür bekannte Beispiele. Dann folgten ein Militärputsch, die Vertreibung des Präsidenten und eine Terror- und Gewaltherrschaft, die alles in den Schatten stellte, was unter der gewählten Regierung geschehen war.
Die bis in die Gegenwart reichende „starke Kontinuität“ zeigt, dass sich die Vereinigten Staaten kaum von anderen Großmächten unterscheiden. Begleitet von gebetsmühlenartig vorgetragenen Behauptungen, sich in den Dienst der höchsten Werte zu stellen, verfolgen sie die strategischen und wirtschaftlichen Interessen der dominierenden Elite im eigenen Land. Das ist praktisch ein historischer Allgemeinplatz und der Grund, warum kein vernünftiger Mensch den hehren Absichtserklärungen der Politiker oder den Lobeshymnen ihrer Anhänger auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenkt. Immer wieder ist zu hören, dass nörgelnde Kritiker stets nur über Fehler klagen, aber keine Lösungen anbieten. Dieser Vorwurf lässt sich am treffendsten übersetzen mit: „Sie bieten zwar Lösungen an, aber die gefallen mir nicht.“ Abgesehen von den wohl allseits bekannten Vorschlägen zur Bewältigung der Krise, bei der es mittlerweile ums Überleben geht, habe ich ein paar einfache Empfehlungen für die Vereinigten Staaten bereits genannt: 1. Anerkennung der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs und des Internationalen Gerichtshofs; 2. Unterzeichnung und Fortschreibung der Kyoto-Protokolle; 3. Übergabe der Führungsrolle bei internationalen Krisen an die Vereinten Nationen; 4. Hinwendung zu Diplomatie und Wirtschaftsmaßnahmen statt militärischer Mittel im Kampf gegen den Terrorismus; 5. Übernahme der traditionellen Auslegung der UN-Charta; 6. Ende des Vetos im Sicherheitsrat und „geziemende Achtung vor den Meinungen des Menschengeschlechts“, wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung rät, selbst wenn die Meinungen nicht mit der der Machtzentren übereinstimmen; 7. Drastische Kürzung des Militärhaushalts und Steigerung der Sozialausgaben. Für jeden, der an die Demokratie glaubt, sind dies sehr konservative Vorschläge, scheinen sie doch die Meinung der – meist überwältigenden - Mehrheit in der US-Bevölkerung widerzugeben. Aber sie stehen in krassem Widerspruch zur politischen Praxis. Zweifellos besitzen wir keine gesicherten Kenntnisse über den Stand der öffentlichen Meinung zu solchen Fragen, und zwar aufgrund eines weiteren Merkmals des demokratischen Defizits: Diese Themen schaffen nur selten den Sprung in die öffentliche Diskussion, und die grundlegenden Fakten sind kaum bekannt. In einer stark atomisierten Gesellschaft ist die Öffentlichkeit im Großen und Ganzen der Möglichkeit beraubt, sich eine fundierte Meinung zu bilden.
Ein weiterer, ebenfalls konservativer Vorschlag lautet, dass Fakten, Logik und grundlegende moralische Prinzipien tatsächlich eine Rolle spielen sollten. Wer sich die Mühe macht, dieser Empfehlung zu folgen, wird bald einen guten Teil der herrschenden Lehre in Zweifel ziehen, obwohl es fraglos leichter ist, aus egoistischen Gründen immer dasselbe Mantra herunterzuleiern. Die einfachen Wahrheiten bringen uns im Hinblick auf konkrete, detaillierte Antworten dagegen ein gutes Stück weiter. Und, was noch wichtiger ist, sie bereiten den Weg, diese Lösungen auch in die Tat umzusetzen, und nicht einmal in so weiter Ferne, wenn wir uns nur von den Fesseln der Doktrin und der mit ihr einhergehenden Täuschungen befreien.
Während es in der Natur doktrinärer Systeme liegt, Pessimismus, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu verbreiten, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Bei der nie endenden Suche nach Gerechtigkeit und Freiheit hat es in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte gegeben. Wir verfügen über ein Erbe, das weiterentwickelt wurde und auf einem höheren Niveau an die nächste Generation übergeben werden kann. Möglichkeiten, sich zu bilden und zu organisieren, gibt es zuhauf. Wie in der Vergangenheit werden Rechte auch heute nicht von wohlmeinenden Mächten verliehen oder durch vereinzelte Aktionen gewonnen – etwa indem man an ein paar Demonstrationen teilnimmt oder bei den personalisierten, alle vier Jahre stattfindenden Komödien, die uns als „demokratische Wahlen“ verkauft werden, ein Kreuzchen macht. Wie in der Vergangenheit ist auch heute tagtägliches Engagement nötig, um die Basis für eine funktionierende demokratische Kultur zu schaffen – beziehungsweise wiederherzustellen -, in der die Öffentlichkeit mitreden kann, nicht nur in der Politik, von der sie weitgehend ausgeschlossen wird, sondern – noch entscheidender – auch in der Wirtschaft, von der sie prinzipiell ausgeschlossen wird. Es gibt viele Wege, die Demokratieim eigenen Land zu fördern und ihr neue Dimensionen zu eröffnen. Die Gelegenheiten sind zahlreich, und sie nicht zu ergreifen bedeutet, negative Folgen in Kauf zu nehmen: für das Land, für die Welt und für künftige Generationen.
„Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken.“