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Wolfgang Ehmke

AKW-Wahlkampf: Schwarz-gelbe Strahlemänner


Die anhaltende Inhaltsleere des Wahlkampfs hat einen bemerkenswerten Vorteil: Selten stand das vermeintlich randständige, aber doch für die Zukunft so entscheidende Thema der Atomindustrie derart im Zentrum einer Bundestagswahl. Zu diesem hohen Maß an Aufmerksamkeit trugen maßgeblich die jüngsten Störfälle in Krümmel und der anhaltend skandalöse Zustand in dem illegal betriebenen Atommüllendlager Asse II bei Wolfenbüttel bei.

Nichtsdestotrotz planen Union und FDP eine Laufzeitverlängerung der 17 verbliebenen Atomkraftwerke. Gemeinsam mit den Lobbyisten der Atomindustrie proklamieren sie deren angeblich unvermeidbare Renaissance. Deutschland dürfe sich energiepolitisch nicht isolieren, heißt es allenthalben. Mal mutiert Atomstrom dabei zu Ökostrom, mal soll es als Billigstrom davongaloppierende Energiepreise zügeln.

Mit der Forderung nach unbegrenzten Laufzeiten für „sichere Atomkraftwerke“ heizte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) die Debatte über die Zukunft der Atomkraft unlängst an: „Für alle Kernkraftwerke, die dem Stand der Technik entsprechen, werden wir die Laufzeitbeschränkung aufheben“, sagte der Politiker dem Hamburger Abendblatt (7.7.09).

Insgesamt müssten die Reaktoren so lange in Betrieb bleiben, wie sie zuverlässig Strom lieferten. Damit ging Oettinger über das Wahlprogramm der Union hinaus, das der Atomkraft als einer „Brückentechnologie“ längere, aber nicht unbegrenzte Laufzeiten einräumt. Sollte es nach der Bundestagswahl tatsächlich zu einer schwarz-gelben Koalition kommen, gilt eine Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Meiler um zumindest acht Jahre als wahrscheinlich.


Die Mär vom billigen und sauberen Atom-Strom

Doch wie steht es derzeit wirklich um die angebliche globale Renaissance der Atomenergie? Faktisch kann davon keine Rede sein: Erstmals seit 42 Jahren wurde im Jahr 2008 weltweit kein einziges neues Atomkraftwerk in Betrieb genommen. Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Energieversorgung ist inzwischen auf unter 2,5 % gesunken – während erneuerbare Energien bereits 18 Prozent zum weltweiten Energiebedarf beitragen. Die bislang in der Bundesrepublik installierten Windenergieanlagen produzieren sogar zeitweise bereits mehr Strom als die Atommeiler. Der Strom aus Photovoltaik- und Biogasanlagen ist hierbei noch gar nicht eingerechnet (www.neue-energie-deutschland.de)

Zugleich sinkt die Zahl der offiziell in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke: Nach der Abschaltung eines Kraftwerkes in der Slowakei 2008 sind es noch 438. Zwar wurde 2008 mit dem Bau von zehn neuen AKWs begonnen; Doch zum Vergleich: 1993 wurden noch 70 gebaut. Zudem wurde der Bau dieser AKWs entweder in Planwirtschaftsländern oder aber mit staatlichen Subventionen begonnen: zwei in Russland, zwei in Südkorea und sechs in China. Das verweist auf das zentrale finanzielle Problem: Ohne Subventionen, ohne staatliche Hilfe findet sich kein Investor. Aus gutem Grund: Denn im Gegensatz zur gängigen Mär vom billigen und sauberen Atomstrom kann in Wirklichkeit von beidem nicht die Rede sein.

Der Strompreis an der Leipziger Energiebörse betrug im 1. Quartal 2009 für die Grundlast 4,7 Cent pro Kilowattstunde gegenüber 6,64 Cent im Jahr zuvor (und für die Spitzenlast in den Abendstunden 6,1 Cent). Die Stromkonzerne beziffern die Produktionskosten für Atomstrom in der Tat kostengünstiger. – Nicht jedoch für den Verbraucher. Der Preisrückgang des letzten Jahres wurde nämlich nicht an sie weitergegeben. Dabei machen die Atomenergiekonzerne enorme Gewinne. Der Börsenpreis wird nach den Produktionskosten des teuersten Kraftwerks ermittelt, das am Netz ist. Wenn dieses profitabel ist, dann sind es die bereits abgeschriebenen Atomkraftwerke erst recht. Jedes spült den Konzernen einen Extragewinn von 200 bis 300 Mio. Euro jährlich in die Kassen.

Die deutschen Energiekonzerne könnten durch die Laufzeitverlängerung für ihre Atomkraftwerke möglicherweise dreistellige Milliardengewinne erwirtschaften. Einer nicht öffentlichen Studie der Landesbank Baden-Württemberg zufolge, über die die „Berliner Zeitung“ ( 4.7.2009) berichtete, würden EON, RWE, Vattenfall und EnBW Zusatzgewinne von 38 Mrd. Euro erzielen, falls die Strompreise steigen und die Kraftwerke um zehn Jahre länger laufen dürfen – ach Plänen von CDU/CSU und FDP ein eher konservatives Szenario.

Doch der Atomstrom ist nicht wirklich billig. So weist Lutz Mez von der Freien Universität Berlin darauf, dass bei den Reaktorneubauten – siehe Finnland und Frankreich – die tatsächlichen Produktionskosten einer Kilowattstunde bei 10 Cent liegen, wenn mann die realistische Investitionskosten in Höhe von 6,3 Mrd. Euro annimmt. Bei einem modernen Gaskraftwerk beläuft sich der Produktionspreis dagegen nur noch auf 3,5 Cent. Auch die Produktionskosten für Windenergie im Inland liegen nur noch bei 6 bis 10 Cent, Strom aus Wasserkraft kostet zwischen 3 und 10 Cent.

Vermeintliche Kostenvorteile gelten ohnehin nur, weil implizite Begünstigungen nicht mitgerechnet werden. So profitieren die AKW-Betreiber seit Jahrzehnten davon, dass fossile Brennstoffe besteuert werden, während Kernbrennstoffe steuerlich befreit sind. Zudem durften die Konzerne knapp 30 Mrd. Euro für den Rückbau von Atomanlagen und die Endlagerung zurückstellen. Auf diese Teile ihres Gewinns mussten sie niemals Steuern zahlen.

Andere Begünstigungen sind in Haushaltstiteln verschiedener Ressorts, insbesondere Forschung, versteckt. Die Summe betrug für den Zeitraum 1956 bis 2006 nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 45,2 Mrd. Euro. Zählt man die Forschungsausgaben der Bundesländer und der EU hinzu, so landet man bei satten 50 Mrd. Euro. Daraus ergibt sich ein Subventionsbetrag von 1,2 Cent pro Kilowattstunde.

Die verheerendsten externen Kosten, nämlich die volkswirtschaftlichen Kosten für den Fall eines Super-GAUs (Kernschmelze, Bersten des Reaktorschutzbehälters, Freisetzung der Radioaktivität), liegen nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums bei 5000 Mrd. Euro. Doch die Deckungsvorsorge für Reaktorunfälle wurde 2001 auf nur 2,5 Mrd. Euro erhöht. Würde hingegen das volle Risiko versichert, erhöhte sich der Preis für eine Kilowattstunde Atomstrom um fünf Cent.

Wolfgang Irrek vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht deshalb vor allem in der Haftpflicht einen entscheidenden Hebel zur Herstellung von Kostengerechtigkeit. (Vgl. Wolfgang Irrek, Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und Entsorgung im Kernenergiebereich. Vortrag bei der Veranstaltung der BI Lüchow-Dannenberg „Bleibt an Gorleben alles kleben?“, 13.2.2009)

Der ehemalige Betreiber, das Helmholtz-Zentrum in München, hat jahrelang die Gefahren geleugnet. Genaue Angaben beispielsweise über die Menge an eingelagertem Plutonium fehlen. Und längst sind noch nicht alle Risiken bekannt. Für den Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) – seit Jahresbeginn neuer Betreiber der Asse – Florian Emrich, steht inzwischen jedenfalls fest: „Man hätte hier keine radioaktiven Abfälle einlagern dürfen.“ (Zit. nach „die tageszeitung“, 11.8.2009)

Ob eine – zumindest teilweise – Evakuierung der Abfälle angesichts der drohenden Einsturzgefahr noch möglich ist, soll bis zum Jahresende entschieden werden. Die Kosten gibt das Bundesumweltministerium heute mit bis zu vier Mrd. Euro an. Doch die Müllproduzenten stehlen sich aus ihrer Verantwortung, obwohl 63 Prozent der Radioaktivität im Endlager Asse nach Recherchen von Greenpeace aus dem EnBW-Atomkraftwerk Obrigheim stammt, sechs Prozent aus Abfällen aus RWE-Atomkraftwerken und weitere zwei Prozent aus Atommeilern von EON und Vattenfall.


Erst Morsleben, dann Asse

Das zweite atomare Endlager, die Kaligrube Morsleben, drohte – was heute fast vergessen ist – ebenfalls einzustürzen und wurde bereits 2005 eilig dichtgemacht. Hier zeigt sich in besonderer Weise die Parallelität und Kontinuität ost-westlicher Atomsünden. 1970 erwarben die Atomkraftbetreiber der DDR die Salzgrube. Schon ein Jahr später begann das Endlager für radioaktive Abfälle (ERAM) den Betrieb. Da (ganz wie in Asse) keine Sicherheitsnachweise vorlagen, erfolgte die Einlagerung des Atommülls bis 1981 unter dem Titel „Einlagerungsversuchsphase“. Dabei merkten Wissenschaftler des Deutschen Brennstoffinstituts in Freiberg (Sachsen) schon 1969 an: „Die Grube ist trotz gegenwärtiger geringer Zuflüsse einer großen hydrologischen Gefährdung ausgesetzt.

Dennoch wurden zu DDR-Zeiten 14 430 Kubikmeter Abfälle eingelagert. Zwischen 1994 und 1998 kamen 22 320 Kubikmeter gesamtdeutschen Atommülls hinzu – aber in erster Linie „Westmüll“. Angela Merkel, die sich heute als Bundeskanzlerin für die Verlängerung von Laufzeiten der Atomkraftwerke und die Aufhebung des Gorleben-Moratoriums stark macht, stellte der Atommüllkippe noch 1997 als Bundesumweltministerin einen Blankoscheck aus: „Die Standsicherheit des Endlagers und der betroffenen Versturzkammern, aber auch der Hohlräume darüber und darunter, ist für die nächsten Jahrzehnte gegeben“

Wenige Jahre später waren diese Garantien Makulatur: Seit 2005 werden weite Teile der unterirdischen Anlagen sowie Schächte mit einer abdichtenden und stabilisierenden Spezialmischung verfüllt – nach einem Konzept des BfS, das wie in Asse II auch in Morsleben die Regie übernahm. Die Kosten für die Schließung – nach Schätzungen des BfS etwa 2,57 Mrd. Euro – tragen wie in Asse ebenfalls die Steuerzahler. Welche ökologischen Folgen auf die Umwelt wie die Menschen in der Umgebung zukommen, lässt sich noch gar nicht abschätzen. Schon jetzt breitet sich Strahlung über die Wasserpfade aus


Lebensgefährliches Uran – von der Wiege bis zur Bahre

Was weit weniger bekannt ist: Nicht erst die Entsorgung, sondern bereits die Gewinnung von Uranerz für Brennelementfertigung ist ein ökologischer Skandal. Dafür steht exemplarisch das Sanierungsgebiet der Wismut AG in Sachsen und Thüringen: Um 30 Tonnen Kernbrennstoff zu gewinnen, müssen bei einem Urangehalt von rund 0,1 Prozent 30 000 Tonnen Erz gefördert werden. Für die Beladung eines Reaktorkerns benötigt man rund 90 bis 100 Tonnen des Schwermetalls. Mit anderen Worten: Volumenmäßig wurden zuvor 100 000 Tonnen Erz bewegt. Um an das Erz heranzukommen, wird beim Tagebau Deckgestein in einer Menge bis zum Zehnfachen der Erzmenge entfernt. Dieser Abraum wird auf riesigen Halden gelagert, wobei schwach radioaktives Radongas entweicht.

Bei der Uranerz-Aufbereitung wird aus dem uranhaltigen Gestein das Uran herausgelöst. Dazu wird das Erz erst gemahlen und dann meist mit Schwefelsäure gelaugt. Bei diesem Verarbeitungsschritt wird nicht nur Uran herausgelöst, sondern unter anderem auch Molybdän, Vanadium, Eisen, Blei und Arsen. Von diesen Stoffen muss Uran in einer ganzen Reihe von Prozessen unter Zugabe von Chemikalien getrennt werde, bis es in verwertbarer Form vorliegt.

In den dabei entstehenden Rückständen (Schlämmen) sind immer noch 85 Prozent der ursprünglichen Radioaktivität enthalten, darunter langlebige Strahler wie Thorium 230 und Radium 226. Die dadurch belastete Fläche der Wismut AG war annähernd so groß wie das Saarland. Allein 1200 ehemalige Bergarbeiter sind an Lungenkrebs erkrankt, der eindeutig berufliche Ursachen hat (Vgl. „Frankfurter Rundschau“, 10.12.1969)

Inzwischen werden in einstigen Uranförderstaaten der westlichen Welt vor allem die alten Verwüstungen saniert, soweit dies möglich ist. Dafür trifft der Uranerzabbau heute in erster Linie indigene Völker in Afrika, Australien und Amerika. Die Verseuchung und Verwüstung weiterLandstriche durch den Tagebau, die Kontamination des Trinkwassers und Krebserkrankungen sind die Folgen dieses Nuklearkolonialismus. Fest steht: Die eigentliche Höhe der Schäden für Mensch und Natur durch die globale Atomindustrie kann schon heute niemand mehr beziffern.


Wolfgang Ehmke ist Oberstudienrat, Publizist und langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg



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