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Wie die neue Linke antiisraelisch wurde

von Martin Kloke

Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des Imperialismus“

Vor vierzig Jahren wurde die neue Linke antiisraelisch



Im Frühjahr 1967 wurde Israel unter Ministerpräsident Levi Eschkol mit einer gefährlichen Aufmarsch- und Umklammerungsstrategie der arabischen Anrainerstaaten konfrontiert. Ägypten schloss ein Waffenbündnis mit Syrien und Jordanien, setzte den Rückzug der UN-Friedenstruppen von der Sinaihalbinsel durch, initiierte einen gewaltigen Truppenaufmarsch und verhängte über die Seestraße von Tiran zum Roten Meer eine Seeblockade gegen Israel. Begleitet wurde das Säbelrasseln von einer monströsen antiisraelischen Rhetorik der arabischen und insbesondere ägyptischen Kriegspropaganda. Der PLO-Vorsitzende Ahmed Schukeiri beteiligte sich in Kairo an der israelfeindlichen Propagande mit dem Schlachtruf: „Wir werden die Juden ins Meer treiben!“ Israel sah keine andere Wahl, als den kollektiven Drohgebärden mit einem Präventivschlag zuvorzukommen.

Als am 5. Juni 1967 der Nahostkrieg ausbrach, erreichte die proisraelische Aufbruchstimmung in Deutschland ihren Höhepunkt. Israels Existenz schien auf der Kippe zu stehen; weite Teile der bundesdeutschen Gesellschaft wurden von einer Welle der Sympathie für den jüdischen Staat erfasst. Allerorten kam es zu spontanen proisraelischen Demonstrationen und Spendensammlungen; etwa dreitausend Freiwillige boten Israel ihre persönliche Hilfe an. Demonstrativ stellten sich insbesondere die Zeitungen des Axel-Springer-Verlags an die Seite Israels. Diese Solidaritätsbekundungen wurden auch in Israel wahrgenommen und von den Medien mit Genugtuung kommentiert – eine gemeinsame Vertrauensbasis schien sich zu entwickeln. Ungeachtet der offiziellen >>Nichteinmischung<< der Bundes-regierung betonte Außenminister Willy Brandt vor dem Bundestag, dass die deutsche „Neutralität im völkerrechtlichen Sinne keine moralische Indifferenz und keine Trägheit des Herzens bedeuten könne.“

Auffallend ist, dass die Initiative zu beinahe allen Aufrufen und Kundgebungen von Personen des linken Spektrums ausging. Zwar waren die Sympathien für Israel in diesen Tagen, über politisch-ideologische Grenzen hinweg, Ausdruck eines fast ausnahmslos gesamtgesellschaftlichen Konsenses geworden; denn noch immer schien die Maxime zu gelten, wonach der Linken eine besondere moralische Verantwortung für das Wohl des jüdischen Staates zufalle. Bereits im Vorfeld des Sechstagekrieges hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt mit Unterstützung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und des Schriftstellers Günter Grass einen öffentlichen Solidaritätsaufruf zugunsten des vom >>Völkermord<< bedrohten Israel gestartet. In den folgenden Tagen einer krisenhaften Zuspitzung des Konflikts initiierten der DGB und seine Jugendorganisationen, die SPD und ihre Parteiuntergliederungen, Evangelische Studentengemeinden und die Aktion Sühnezeichen, Studentenvertretungen einschließlich einzelner Gruppen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes Schweigemärsche, Informationsveranstaltungen, Spendenaktionen und Solidaritätsaufrufe.

Entsprechende Quellenmaterialien (Flugblätter etc.) sind im Archiv >>APO und soziale Bewegungen<< der Freien Universität Berlin aufbewahrt.

Einen Schritt weiter ging der Appell an junge Deutsche, als freiwillige Helfer zum Arbeitseinsatz nach Israel zu kommen, um die durch den Krieg beeinträchtigte israelische Wirtschaft auch personell unterstützen zu helfen. Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer äußerte gar zur Frage des Einsatzes deutscher Freiwilliger in Israel: „wir wollen uns nicht darüber streiten, ob es militärische oder nur zivile Helfer sein sollen.“

Die SPD als traditionell israelfreundliche Partei befand sich während des Junikriegs in einem Zwiespalt: Als Regierungspartei war sie in Anlehnung an die bundesdeutsche Staatsräson zu einer Politik der >>Nichteinmischung<< verpflichtet; doch zugleich; doch zugleich deuteten in der Bundestagssitzung vom 7. Juni alle Debattenredner mehr oder weniger verstohlen ihre persönliche Sympathie für den jüdischen Staat an. Was Außenminister Brandt nur diplomatisch verschleiert andeutete, verschärfte Ehrhard Eppler dahingehend, dass „die Vertreter dieses Hauses tot wären, wenn sie nicht mehr dazu zu sagen hätten, als was die Regierung dazu sagen darf.“ Noch konkreter wurde Helmut Schmidt, indem er an die deutsch-israelische „Verbundenheit“ erinnerte.: „Sosehr uns an der traditionellen Freundschaft unseres Volkes mit den arabischen Völkern liegt, müssen wir uns gegen deren Absicht … verwahren, Israel zu vernichten.“

Aus dem Ausland meldeten sich zwei prominente Intellektuelle zu Wort, die bereits früher im linken Spektrum auch der Bundesrepublik als politisch-ideologische Lichtgestalten fungiert hatten: Jean-Paul Sartre wies am 27.Mai 1967 in einer Sondernummer der Temps Modernes auf die unvergleichbaren leiden der Juden im Nationalsozialismus hin und bezeichnete die Vorstellung als „unerträglich“, daß eine jüdische Gemeinschaft, wo auch immer und welche auch immer, dieses Golgatha von neuem ertragen und Märtyrer für ein neues Massaker liefern könnte.“

Der Auschwitzüberlebende Jean Amery – nach eigenem Bekunden ein „in jedem Sinne heimatloser Linker““ – sah im Eintreten der nichtisraelischen Juden für die Existenz des zionistischen Staates eine lebensnotwendige Konsequenz zeitgenössischer jüdischer Identität: in Weltwoche (9. Juni 1967) schrieb er: „für jeden Juden in der Welt…ist der Bestand des kleinen Judenstaates eine „existentielle“ Frage, denn in Israel haben die Juden… den „aufrechten Gang“ gelernt und haben den starken Schritt, die gerade Haltung auch jenen Juden eingeübt, die in der Diaspora wohnen… Davon lebt ein jeder Jude, wo immer er lebe… So ist denn der jüdische Linksintellektuelle engagiert von seinem Geschick und an dieses. Sein Engagement ist nicht das einer freien Wahl, sondern eines unausweichlichen Zwanges. Er ist, seit sich die feindlichen Armeen um Israel sammeln, seit die zügellosesten Stimmen aus den arabischen Ländern laut werden, es müsse aus dem kleinen Land ein großes Konzentrationslager gemacht werden, seit davon gesprochen wird, die Israelis ins Meer zu stoßen – kein Linksintellektueller mehr, nur noch ein Jude: denn hinter ihm liegt Auschwitz und vor ihm vielleicht das seinen Stammesgenossen, zu denen er gehören muß, weil die Welt es so will, zu bereitende Auschwitz II am Mittelmeer.

Israel konnte sich trotz seiner zahlenmäßigen Unterlegenheit unerwartet behaupten. Seine qualitativ überlegenen hochmotivierten Truppen eroberten gar in sechst Tagen das Westjordanland mit Ost-Jerusalem, den Gazastreifen, die ägyptische Sinaihalbinsel und die syrischen Golanhöhen. Dennoch – oder gerade deshalb? – sollte die deutsch-israelische Romanze nicht lange währen: Schon kurz nach den triumphalen israelischen Kriegserfolgen wechselten weite Teile der radikalen Linken die Fronten und nahmen den jüdischen Staat nur noch als „Brückenkopf des US-Imperialismus“ wahr.

Ein vorläufig letztes Mal versammelten sich am 27. Juni 1967 an der Frankfurter Universität Anhänger eines linksorientierten Proisraelismus, um das Menetekel einer antizionistischen Wende in der Linken abzuwenden. Obwohl für die Kundgebung auch bürgerliche Organisationen verantwortlich zeichneten, repräsentierten die als Redner vorgesehen Hochschullehrer ausnahmslos linke oder linksliberale Positionen. Der 1961 aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte Philosoph Ernst Bloch, der in Das Prinzip Hoffnung den Staat Israel als „faschistisch“ diffamiert hatte, überraschte durch sein leidenschaftliches Plädoyer für die Existenz Israels, das er jetzt als „ein kleines, tapferes, seine Wüsten bebauendes, sein erneuertes Land verteidigendes Volk“ charakterisierte. Er widersprach dem populär werden Imperialismusvorwurf gegen Israel und bezeichnete die linke „Bewusstseinsspaltung“ als „Skandal… mit ungewolltem Progromklang“.

Gleichwohl vermochten sich die Akteure des Kongresses nicht mehr durchzusetzen – ein antiisraelischer Trend neulinken Zuschnitts schien unaufhaltsam geworden zu sein. Der Sechstagekrieg löste eine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Kontroverse aus. Vordergründig stritten die Diskutanten über die Kriegsursachen; hinter der wachsenden Kritik an der israelischen Realpolitik, etwa an dem „agressiven“ Präventivschlag, verbargen sich jedoch zunehmend Zweifel an der Legitimation des zionistisch verfassten Staates an sich. Im Prozeß der Umorientierung eines Großteils der (neuen) Linken lassen sich – idealtypisch – drei Etappen eruieren.
Vergl. Martin Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Schwalbach: Wochenschau 1994.


Neutralistische Orientierungsmuster
Die „Kampagne für Abrüstung – Ostermarsch der Atomwaffengegner“ kann als Prototyp jener linken Organisationen gelten, die seit dem Ausbruch der israelisch-arabischen Feindseligkeiten „neutrale“ Positionen bezogen. Obwohl sich ihr Sprecher Andreas Bruno in einem internen Rundschreiben vom 31. Mai zu einer beiderseitigen friedlichen Koexistenz als wichtigster Friedensbedingung bekannte, ging er ungeachtet arabischer Vernichtungsdrohungen auf moralische Äquidistanz. Da „beide Seiten Schuld auf sich geladen“ hätten, könne sich die Kampagne „nicht auf die Seite der einen oder anderen Partei…stellen“. Erst zwei Wochen nach dem Waffengang hielt es der Zentrale Ausschuß der Kampagne für geboten, die Anerkennung Israels durch die arabischen Nachbarn sowie eine „Schuldverpflichtung des deutschen Volkes gegenüber dem jüdischen Volk“ zu fordern.

Neutralität siegte zunehmend über Solidarität. So dementierte das Präsidium der altlinken Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes seine angebliche Unterstützung eines israelfreundlichen Aufrufs einiger Jugend- und Studentenorganisationen. Zwar bekräftigte das VVN-Präsidium das Existenzrecht des jüdischen Staates, doch befürchtete es, durch eine „Intervention“ zur Konfliktverschärfung beizutragen. Nicht wenige linke Medien distanzierten sich während der Nahostkrise von früheren proisraelischen Sentenzen.

Konkret-
Komumnistin Ulrike Meinhof arbeitete die Nahtstellen linker Zerrissenheit im Verhältnis zu Israel heraus: Einerseits beharrte sie darauf, die Solidarität mit den ehemals Verfolgten müsse auch den Staat Israel einschließen; jedoch dürfe sich die Linke nicht „von den Sympathien der USA und der Bild-Zeitung vereinnahmen lassen, die nicht Israel gilt, sondern eigenen, der Linken gegenüber feindlichen Interessen“. Mit sarkastischer Schärfe geißelte die Journalistin im Juliheft von Konkret die plötzliche Eruption eines bürgerlich-konservativen Proisaelismus:

Bild gewann in Sinai endlich , nach 25 Jahren , doch noch die Schlacht von Stalingrad. Antikommunistisches Ressentiment ging nahtlos auf in der Zerstörung sowjetischer MIG-Jäger… Hätte man die Juden, statt sie zu vergasen, mit in den Ural genommen, der zweite Weltkrieg wäre anders ausgegangen, die Fehler der Vergangenheit wurden als solche erkannt, der Antisemitismus bereut, die Läuterung fand statt, der neue deutsche Faschismus hat aus den alten Fehlern gelernt, nicht gegen – mit den Juden führt Antikommunismus zum Sieg…nicht die Einsicht in die eigenen Verbrechen, sondern der israelische Blitzkrieg, die Solidarisierung mit der Brutalität, der Vertreibung, der Eroberung führte zu fragwürdiger Versöhnung. Es ist der Geist des „Wer Jude ist, bestimme ich“, der sich da mit Israel verbündete, gleichzeitig mit den Totschlägern in Berlin. Wäre Israel ein sozialistisches Land, kein Zweifel, diese Sympathien gäbe es nicht.“

Meinhofs Stellungnahme spiegelte in prototypischer Weise das linke Unbehagen an den Motiven neudeutscher Israelsolidarität wieder; energisch verwahrte sie sich gegen ein „eindeutiges“ pro- oder antiisraelische Bekenntnis. Daß sie in jenen Tagen letztlich (noch) von Sorge um eine langfristige Sicherung der Existenz Israels umgetrieben wurde, zeigt ihre appellative Anfrage an das kollektive Selbstverständnis des jüdischen Staates: „Was will Israel – leben oder siegen? Als Subjekt seiner eigenen Geschichte muß es diese Frage selber beantworten.
Bereits während des Sechstagekrieges ging der vormals proisraelische SDS auf Distanz zum jüdischen Staat: „wir Sozialisten in der BRD, die wir von Anfang an den Kampf gegen den Antisemitismus nicht nur unter moralischen, humanitären oder gar anti-rassistischen Gesichtspunkten betrieben haben, (dürfen) in der jetzigen Situation unsere Gefühle für das israelische Volk nicht verwechseln…mit der rationalen, ökonomischen und politischen Analyse der Position des Staates Israel im internationalen Konfliktsystem zwischen den hochindustrialisierten Ländern und den Ländern der Dritten Welt“.

Um den Positionswechsel des SDS zu verstehen, der seit Mitte der sechziger Jahre zum Kristallisationspunkt der neulinken universitären Intelligenz avanciert war, ist es unerlässlich, auch das gesellschaftliche und politische Umfeld in den Blick zu nehmen. Durch das der SDS als zentraler Bestandteil der außerparlamentarischen Opposition in eine offene Konfrontation mit dem „Establishment“ geriet. Der Nahostkonflikt spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die mit dem Stichwort „Studentenrevolte“ bezeichneten Auseinandersetzungen entzündeten sich an der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 anläßlich einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien. Daß bundesdeutsche und Westberliner Regierungsvertreter einen autoritären Feudalherrscher hofierten, ließ den Empörungspegel durch den Vietnamkrieg, Notstandsgesetzgebungspläne und strukturelle Anachronismen an Hochschulen bereits nachhaltig politisierten Sudenten noch erheblich ansteigen. „Bürgerliche“ Medien entfesselten in dieser Situation eine publizistische Kampagne gegen die studentische Linke und ihre Infragestellung bürgerlicher Orientierungsmuster. Insbesondere die sogenannte Springer-Presse stellte sich an die Spitze jener Kräfte, die die glänzenden militärischen Erfolge Israels zur Legitimierung ihrer (kalten) Kriegsrhetorik mißbrauchten.

Diese innenpolitische Konstellation verbaute dem SDS eine fundierte historisch-politische Analyse des jüdisch-arabischen Konflikts. Ein Beleg für diese These ist der „Offene Brief“, den der Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth am 6.Juni 1967 in Absprache mit dem SDS-Bundesvorstand veröffentlichte. Konnte aus der Bundesvorstandserklärung vom Vortag, die in vulgärmarxistischer Weise die nahöstlichen Konfliktursachen auf den „Niveau-Unterschied der ökonomisch-kulturellen Entwicklung zwischen Israel und seinen Nachbarländern“ zurückführte, immer noch ein Anspruch auf „Neutralität“ herausgelesen werden, so enthielt der Abendroth-Brief bereits Passagen, die der Linken eine proarabische Parteinahme nahe legte: „ Auch bei dem gegenwärtigen Präventivkrieg muß …Israel keineswegs nur den Feudalherren der monarchischen arabischen Staaten, sondern vor allem der Bevölkerung der im wesentlichen progressiven republikanischen Militärdiktaturen als Vortrupp amerikanischer imperialistischer Interessen erscheinen. Deshalb ist eine Identifikation des sozialistischen Internationalismus in den kapitalistischen Staaten Europas mit der gegenwärtigen Politik Israels bei aller Sympathie für die israelische Bevölkerung unmöglich. Das heißt natürlich nicht, daß man sich mit der nationalistischen Hysterie in den arabischen Ländern identifizieren könnte… Im Weltmaßstab gesehen ist leider eine Situation entstanden, in der die Gesamtinteressen der kolonialen Revolution, der sozialistischen Länder und auch des revolutionären Flügels der internationalen Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern stärker mit denen der arabischen Staaten (nämlich Ägyptens, Syriens und Algeriens, nicht der Fürstenstaaten) als mit den Interessen Israels übereinstimmen.
In der studentischen neuen Linken war dieser proarabisch akzentuierte Neutralismus vorläufig noch umstritten. So mochte sich etwa die linke AstA-Koalition der Frankfurter Universität zwar nicht an proisraelischen Kundgebungen beteiligen, lehnte aber die offizielle SDS-Position als unausgewogen ab.

Proarabische Parteinahme im Aufwind

Bald nach dem Sechstagekrieg verstärkte sich der israelkritische Trend in weiten Teilen der Linken. Die der Studentenbewegung nahestehenden Medien warteten mit Schreckensmeldungen über eine angeblich bedenkenlos brutale Kriegsführung der Israelis auf, ohne die liquidatorischen Implikationen arabischer Pläne bedacht zu haben, so die Augustausgabe von Konkret. Wenn auch die Einstellung des SDS zum Staate Israel eine Zeitlang als „noch nicht völlig geklärt“ gelten konnte, so glaubten seine Aktivisten dank ihrer „Gnade der späten Geburt“ bereits am zweiten Kriegstag, zu einer proarabischen Wende legitimiert zu sein. Der SDS-Bundesvorsitzende Reimut Reiche stellte in einem Brief vom 13. Juni 1967 an den Spiegel fest:
„An unserer Position ist so viel richtig, dass wir es nicht nötig haben, philosemitisch aufzutreten, eben darum, weil wir keine rassistischen Probleme haben und weil wir keinen Antisemitismus zu bewältigen haben. Wenn wir unsere jetzige Berlin-„Krakelerei“ abgeschlossen haben und anfangen, uns politisch eingehend mit der Nahost-Krise zu befassen, wird unsere Stellungnahme bestimmt um einiges schärfer, auch in der Kritik an der Position der Verbündeten Israels und auch in der Kritik an dem umgekehrten Antisemitismus, der zur Zeit in der BRD produziert wird.“
Einige Vertreter der „alten Linken“, die die zunehmende Linksorientierung der Studentenschaft eigentlich begrüßt hatten, begannen sich nun dem leichtfertigen Ausstieg der neuen Linken aus der Geschichte zu widersetzen. Mitglieder des SDS-Förderkreises warfen angesichts der arabischen Umklammerung Israels jenen im Junikrieg neutralistisch bis antiisraelisch agierenden jungen Genossen „Verrat an allen westlichen Prinzipien des sozialistischen Humanismus“ vor. Hans-Joachim schrieb in der Zeitschrift DISkussion (Nr.23, Oktober 1967):
„In den Wochen, in denen zum „Heiligen Krieg“ gegen das israelische Volk aufgerufen wurde, sowie in den äußerst bedrohlichen Tagen, die dem Krieg vorangingen, haben führende Kräfte der deutschen Linken den Standpunkt absoluter Neutralität vertreten und ihren Anhängern empfohlen, an proisraelischen Kundgebungen nicht teilzunehmen. Mit keinem Wort wurde eine eindeutige Sicherung der israelischen Grenzen oder die Aufhebung der Blockade gefordert…Im Augenblick eines drohenden Völkermordes ist dies ein moralischer Skandal.

Es gibt einen Typ des Intellektuellen auf seiten der deutschen Linken, die die Dialektik aus ihrem humanen Kontext löst und sie zu einem immoralischen intellektuellen Spiel degradiert. Es ist nicht zu begreifen, daß man hier Israel verweigert, was man Staaten zugesteht, in denen man Sozialisten bestenfalls im Zuchthaus begegnen kann.“

In diesem Sinne formierten sich im Winter 1967/68 namhafte linke Persönlichkeiten, um die antiisraelischen Vorwürfe führender studentischer Linker zu entkräften. Sie warnten in den Neuen Deutschen Heften (März 1968) vor einem ahistorischen und doktrinären „Antiimperialismus“, da dieser in seiner israelfeindlichen Konsequenz „zum Ventil eines uneingestandenen Antijudaismus“ zum verkommen drohe:

„Weil die Araber zur Dritten Welt gehören, sind sie noch nicht eo ipso die reinen Engel. Die Israelis sind die Gefährdeten, die Araber dagegen sind es, die Angriff, Vertreibung und Ausrottung planen. Die Parteinahme muß primär der Progressivität, dem Recht, der Humanität gelten, nicht einer bestimmten Volksgruppe. So wie aus diesen Ideen die Stellungnahme gegen die USA für das vietnamesische Volk folgt, so folgt aus ihnen auch die Stellungnahme gegen Nasser für Israel.“

Die Debatte um die Politik Israels während und nach dem Sechstagekrieg hatte einen Polarisationsschub zur Folge, der eine Annäherung zwischen den Kontrahenten zunehmend schwieriger erscheinen ließ: Bezeichnend war die Mitte 1968 aufgebrochene Israeldiskussion innerhalb der Evangelischen Studentengemeinden und ihres Umfelds, ausgelöst durch die deutsche Beteiligung an der antizionistischen Erklärung eines internationalen Nahost-Seminars des „Christlichen Studentenweltbundes“ in Beirut im Mai 1968.
Während die einen in der Resolution wichtige Denkanstöße zu sehen vermeinten oder sogar die Hofierung der Al Fatah vorbehaltlos begrüßten, äußerten andere linksprotestantische Diskutanten erbitterte Kritik am Tenor des Papiers. Der Darmstädter Studentenpfarrer Martin Stöhr unterstellte den Urhebern der Erklärung antisemitische „Denkstrukturen und Vorurteilsklischees“, wurde aber seinerseits von dem Bochumer Theologen Hans-Jürgen Benedict bezichtigt, einer „totalen Apologie Israels“ verpflichtet zu sein.

Antizionismus als Weltanschauung

Im Verlauf des Jahres 1969, als Israels Politik der Stärke gegenüber seinen arabischen Nachbarn in linken Kreisen immer häufiger in imperialismus-theoretische Kategorien zu fassen gesucht wurde, verdichteten sich die israelkritischen Tendenzen vielerorts zu einem Antizionismus, der alle Anzeichen eines geschlossenen Weltbildes in sich vereinigte. Differenzierende Zwischentöne schienen zum Teil sogar jenen Linken nicht länger opportun zu sein, die sich in früheren Jahren noch als proisraelische Autoren ausgewiesen hatten.

Keinen Einzelfall stellte der Frankfurter Theologe Hans Werner Bartsch dar, der angesichts aktueller arabischer Vernichtungsdrohungen noch gegen Ende des Sechstagekrieges in einem engagierten Schreiben an den SDS eine „einseitige Stellungnahme für Israel“ menschlich und politisch für geboten gehalten hatte; Anfang 1969 nahm er das zionistische Israel jedoch nur noch als „Aggressor und Handlanger der Kolonialmacht USA“ wahr, dem jede Existenzberechtigung abzusprechen sei. Bartsch sah jetzt im Staat Israel nur noch „eine kurzfristige Wiederholung des makkabäischen Experiments“, wie er in den Blättern für deutsche und internationale Politik (April 1969) schrieb: „Die Restaurierung eines jüdischen Staates im Heiligen Land wäre nichts, was Zukunft verheißt, sondern wäre in jeder Beziehung nur ein Rückschritt, der allem widerspricht, was Israel als Verheißung gegeben ist.“

Auf institutioneller Ebene entschied sich als erster relevanter linker Verband der SDS auf seiner 22. Delegiertenkonferenz im September 1967 für einen uneingeschränkt antizionistischen Kurs, nachdem er sich während des Sechstagekrieges noch überwiegend neutralistisch geriert hatte. Während einer auf Initiative der Frankfurter und Heidelberger SDS-Gruppen zustande gekommenen Diskussion legte die Konferenz ihrer Organisation ein „Material“ vor, das sich bereits zu diesem Zeitpunkt des gesamten terminologischen Arsenals antizionistischer Agitation der späteren Palästina-Solidaritätsbewegung bediente: „Der Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn kann nur auf dem Hintergrund des antiimperialistischen Kampfes der arabischen Völker gegen die Unterdrückung durch den angloamerikanischen Imperialismus analysiert werden…Der SDS verurteilt die israelische Aggression gegen die antiimperialistischen Kräfte im Nahen Osten.“

Mochten die SDSler den Staat Israel nur noch als „Brückenkopf des westlichen Imperialismus in Arabien“ begreifen, so konnte auch die historische Funktion des Zionismus für die nationale und soziale Emanzipation vieler Juden nicht mehr in ihren Blickwinkel rücken: „Zionistische Kolonisierung Palästinas hieß und heißt bis heute: Vertreibung und Unterdrückung der dort lebenden eingeborenen arabischen Bevölkerung durch eine privilegierte Siedlerschicht.“
Zwar verurteilten die Delegierten die antisemitisch-rassistischen Tendenzen von Teilen der arabischen Kriegspropaganda, doch sprachen sie dem real existierenden Israel jede historisch-politische Legitimität ab: „ Die Anerkennung des Existenzrechts der in Palästina lebenden Juden durch die sozialrevolutionären Bewegung in arabischen Ländern darf nicht identisch sein mit der Anerkennung Israels als Brückenkopf des Imperialismus und als zionistisches Staatsgebilde.“

Ein Schulterschluß zwischen SDSlern und in der Bundesrepublik lebenden Arabern bahnte sich an, als im Juni 1969 der israelische Botschafter Asher Ben Nathan den Dialog mit deutschen Studenten suchte. In Frankfurt unterbrachen Mitglieder des örtlichen SDS, der Al Fatah sowie des „Israelischen Revolutionären Aktionskomitees“ Ben Nathans Ausführungen durch Sprechchöre wie „Nazi-Kiesinger und Ben Nathan, eine Clique mit Dajan“, „Zionisten raus aus Palästina“.
Nach fast zwei Stunden verließ Ben Nathan die Veranstaltung, nachdem er sich weder akustisch noch inhaltlich hatte Gehör verschaffen können. In einem Interview bezeichnete er den ihm widerfahrenen Antizionismus als „verkappten Antisemitismus“; die SED, der SDS und die Deutsche Nationalzeitung sprächen die gleiche Sprache.

Die antiisraelisch motivierte Fixierung auf den militanten palästinensischen „Widerstand“ kannte nun keine Grenzen mehr: Auf Einladung der Al Fatah bereiste Ende Juli 1969 ein knappes Dutzend führender SDS-Mitglieder mit weiteren internationalen Teilnehmen das Haschemitische Königreich Jordanien. Die Idee einer anschließenden Erkundungsreise nach Israel zwecks kritischer Überprüfung des eigenen Standpunkts hielt die deutsche Besuchergruppe für abwegig. Vor dem Hintergrund ihrer antizionistischen und revolutionsromantischen Grundeinstellung stilisierten die SDSler die Fatah-Bewegung zum avantgardistischen Subjekt sozial-revolutionärer Umwälzungsprozesse in der Dritten Welt. Auf Grund ihrer militanten Entschlossenheit im Rahmen eines „Volksbefreiungskrieges“, die dem Konzept der Vietkong entlehnt war, fungierte die Fatah zunehmend als Hoffnungsträger antiimperialistischer Sehnsüchte. Ideologisch gefangen in einem modischen Dritte-Welt-Mythos, mochten sich die SDS-Aktivisten nicht länger mehr den historischen Ausgangsbedingungen des Zionismus und den deutschen Vergangenheitshypotheken auseinandersetzen.

Kontakte zum palästinensischen „Widerstand“ wurden auch in der Folgezeit gepflegt: An einer PLO-Konferenz im Dezember 1969 nahmen zweihundert ausländische Gäste teil, darunter der SDS-Vorsitzende Udo Kapp sowie Joschka Fischer (beide haben ihren antizionistischen Affekt Jahre später freilich nachhaltig verloren). Auch wenn das Erinnerungsvermögen einiger Teilnehmer getrübt zu sein scheint, gilt als sicher, daß in den Reden von Algier der „Endsieg“ über Israel beschworen wurde.

Bis zu seiner Selbstauflösung im Jahre 1970 vertrat der SDS gegenüber Israel eine Politik der revolutionären „Unschuld“, die sich in einer Mischung aus „antiimperialistischen“ Phrasen und Fragmenten eines reaktivierten Antisemitismus unter antizionistischem Vorzeichen äußerte. In einem am 18. Februar 1970 gemeinsam mit anderen Gruppen verfassten Aufruf zum Teach-in gegen den Besuch des israelischen Außenministers ließ der Frankfurter SDS verlautbaren:

„Der Besuch Abba Ebans, der als Vertreter eines rassistischen Staates in die Bundesrepublik reist, muß zu einer Demonstration und zum Protest gegen den zionistischen, ökonomisch und politisch parasitären Staat Israel und seine imperialistische Funktion im Nahen Osten werden.. Der palästinensische Kampf ist ein Bestandteil des Kampfes aller unterdrückten Völker der Dritten Welt gegen den Imperialismus.. Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde Israel.“

Ausgerechnet in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969 machten jungdeutsche Antizionisten Ernst mit ihren gewaltverherrlichenden Phantasien und deponierten in Berlin eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus, die wegen ihrer Fehlfunktion allerdings nicht zündete. Sieben Jahre später begann ein weiterer Höhepunkt antisemitischer Gewaltpraxis die antizionistische Selbstgewissheit in der neulinken Palästina-Solidarität jedoch in Frage zu stellen: Im Sommer 1976 brachte ein deutsch-palästinensisches Kommando aus Mitgliedern der „Revolutionären Zellen“, der „Bewegung 2.Juni“ und der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ ein französisches Passagierflugzeug in ihre Gewalt und dirigierte die Maschine nach Entebbe. Der Deutsche Wilfried Böse organisierte die räumliche Trennung der jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren. Erst jetzt war der Schock über Affinitäten zwischen rechtsgerichteten und linksradikalen Ressentiments so nachhaltig, daß sich das Ende des antizionistischen Meinungsmonopols in der Linken ankündigte.

Weite Teile der deutschen Linken sind in den späten siebziger Jahren mit er grünalternativen Bewegung verschmolzen und haben sich in diesem Prozess bis zur Unkenntlichkeit verändert. Dennoch: als die israelische Armee im Sommer 1982 in den Libanon einmarschierte, um dort befindliche PLO-Basen zu zerstören, die Teile des libanesischen Staates fest im Griff hatten, wurde Israel in seltener Einmütigkeit des „Völkermords“ an den Palästinensern bezichtigt. Nicht zuletzt linksalternative Publizisten erlagen der Faszination begrifflicher Tabubrüche; triumphierend witterten sie die Gelegenheit, Antifaschismus und Antisemitismus miteinander zu versöhnen. Auch Journalisten der Berliner tageszeitung beteiligten sich an jener historisch-psychologischen Entlastungsoffensive, bei der die betroffenen Palästinenser als die „neuen Juden“ bezeichnet und die israelischen Invasoren mit den Nazis verglichen wurden. Die gezielte Vermischung historischer Ebenen gipfelte im Vorwurf des „umgekehrten Holocausts“ und einer „Endlösung der Palästinenserfrage“.

Mit der Auflösung des sowjetischen Machtblocks begann 1998 eine orientierungslos gewordene Restlinke zur Subkultur zu werden – mit allen Symptomen der Versektung. Doch hat das Amalgam aus antisemitischen und antizionistischen Ressentiments längst auch in der Mitte der Gesellschaft Einzug gehalten. Nach einer Umfrage der EU-Kommission sahen 2003 65 Prozent der Deutschen in Israel eine „Gefahr für den Weltfrieden“. Israel rangierte auf der Negativliste noch vor Iran, Nordkorea und den USA mit jeweils 53 Prozent. Drei Viertel der Deutschen hielten im Sommer 2006 Israels offensive Verteidigung gegen die Angriffe der libanesischen Hisbollah für „unangemessen“. Militärische Operationen gegen inmitten der Zivilbevölkerung operierende „Partei Gottes“ wurden reflexartig als „unverhältnismäßig“ hingestellt, obwohl sich bei näherem Hinschauen auch kritische Beobachter zu differenzierteren Einschätzungen genötigt sahen. Nach einer BBC-Umfrage unter 28 000 Befragten aus 27 Ländern führt das demokratisch geführte Israel 2007 die Top-Negativliste auf der Skala der am wenigsten gemochten („least-liked“) Staaten der Welt an – allein in Deutschland nehmen 77 Prozent aller Befragten Israel als „negativ“ wahr.

Welcher andere, zumal demokratische Staat befindet sich seit bald sechzig Jahren in der Zwangslage, permanent gegenüber Feinden und „Freunden“ sich seiner Existenzberechtigung vergewissern zu müssen (nicht zuletzt auch durch militärische Stärke): Häufig beteuern „fortschrittliche“ Zeitgenossen: „Ich trete zwar für das Existenzrecht Israels ein, aber …“Niemand dieser Gutmenschen würde jemals einen Gedanken entwickeln, der mit dem Satz begänne: „ ich trete zwar für das Existenzrecht Russlands ein, aber…“

Nachrichten und Kommentare über den Nahostkonflikt vermitteln vielerorts Bilder eines angeblich „biblischen Krieges“: „Auge um Auge“, alttestamentarische Racheaktionen“ – reflexhaft tauchten insbesondere während der zweiten Intifada die alten Klischees des christlichen Antijudaismus wieder auf. Entlarvend ist auch das ungebrochene und geradezu obsessive Bedürfnis nach Aufrechnung und Gleichsetzung der NS-Verbrechen mit der Politik Israels im Konflikt mit den Palästinensern. Selbst Wissenschaftler wie Udo Seinbach, Leiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, versteigen sich dazu, palästinensische Terroranschläge als Ausdruck palästinensischer Verzweiflung über die israelische „Unterdrückung“ zu verharmlosen und israelische Streitkräfte mit Nazischergen in Bezug zu setzen, so 2003 in einem Vortrag: „Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelte Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen dürfen, war das dann nicht auch terror?“ Und nachdem katholische deutsche Bischöfe im März 2007 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Bilder vom Warschauer Ghetto gesehen haben, geht ihnen beim Anblick des angeblichen „Ghettos“ im palästinensischen Ramallah reflexartig „der Deckel hoch“.

Selbst wenn Befunde dieser Art immer nur Momentaufnahmen sein können, so spiegeln sie doch den Trend wieder: den einer Schuld aufrechnenden und abwehrenden „Umwegkommunikation“, bei der die traditionelle Judenfeindschaft von antiisraelischen Ressentiments abgelöst worden ist. Wie ein Mantra wird hierzulande immer wieder die Frage beschworen, ob und wie viel Kritik an Israel „erlaubt“ sei. Aufmerksame Zeitungsleser wissen, daß es in Deutschland seit Jahrzehnten kein „Tabu“ mehr ist, Israel und die israelische Regierung zu kritisieren. Ministerpräsident Sharon wurde bis zu seinem Schlaganfall Ende 2005 scharf kritisiert – zum teil noch heftiger als seine Vorgänger Menahem Begin und Benjamin Netanjahu in den achtziger und neunziger Jahren. Die Schlüsselfrage lautet daher nicht, ob Israelkritik hierzulande erlaubt ist, sondern ob Medien, Politiker und Kulturschaffende ein faires oder aber verzerrtes Israelbild zeichnen. Mindestens in die Nähe zu antisemitischer Israelkritik gerät, wer das Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat in Frage stellt; wer immer zuerst Israel, der „zionistischen Lobby“ oder gar „den Juden“ die Schuld gibt; wer umstrittene israelische Militäreinsätze im Antiterrorkampf mit den Verbrechen der Nazis gleichsetzt; wer die Handlungen Israels mit anderen Maßstäben als die Praktiken anderer internationaler Akteure misst und beurteilt; wer in Wort und Bild (zum Beispiel Karikaturen) stereotype Haßbotschaften verbreitet.

Wenn Deutsche in Zukunft eine konstruktive Rolle spielen wollen, werden sie das Plädoyer des Historikers Dan Diner für eine „gordische Lösung“ beherzigen müssen: „Nämlich zum einen den Antisemitismus zu bekämpfen, als ob es den arabisch-jüdischen , israelisch- palästinensischen Konflikt nicht gäbe; zum anderen alles zu unternehmen, um ebenjenen Konflikt einer der beiden Seiten zuträglichen Lösungen zuzuführen – so, als gäbe es den Antisemitismus nicht.

Martin Kloke, geb. 1959, ist Redakteur beim Cornelsen Verlag und Publizist. 1994 ist erschienen

Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses.

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