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Offener Brief an Micha Brumlik
Michal Bodemann
Lieber
Micha,
von den vielen Beiträgen, die ich im Laufe der letzten
25 Jahre von Dir gelesen habe, sehe ich mich heute zum ersten Mal in
heftigem Widerspruch mit Dir. Zunächst geht es in Deinem
biblisch ausholenden Aufsatz um den Ad-hominem-Ton. Nicht nur ein
oberflächliches Lesen suggeriert, dass Deiner Meinung nach all
jene Juden, die Israels derzeitige Menschrechtsverletzungen
(Siedlungen, Verlauf der Mauer usw.) kritisieren, bei Dir entweder
Antisemiten, selbsthassende Juden oder universalistische
Moralprediger sind, die deshalb nicht ernst genommen werden dürfen,
weil sie sich „dem Judentum und seiner Lebensform“ - gibt
es nur eine? – „elitär entfremdet“ haben und
das „Grundgefühl genozidaler Bedrohtheit“ nicht
verstehen. Geschieht ihnen Recht, sagst Du, dass sie deshalb seitens
der jüdischen Mehrheit mit Feindschaft, also Sanktionen, rechnen
müssen. Alvin Rosenfelds törichter Aufsatz, (Alvin
Rosenfeld, „Progressive“ Jewish Thought and New
Anti-Semitism, American Jewish Commitee, Dezember 2006), der
unsere gemeinsamen Freunde hier in Nordamerika rundum empört,
findet so Deine bedingte Billigung.
Bei John Mearsheimer and
Stephen Walt, bei Tony Judt and Alfred Grosser, bei Harold Pinter und
Eric Hobsbawm und bei den Unterzeichnern von Schalom 5767 legst Du
das Juden-Messgerät an: Die einen sind es überhaupt nicht,
die anderen lauwarm, wissen nichts vom Judentum, oder sind vielleicht
nicht als Juden anerkannt, weil sie sich nur als solche
„identifizieren.“ Wie muss sich der sehr belesene
Politologe Alfred Grosser mit Credentials ausweisen, um von Micha
Lizenz zu erhalten, einen Aufsatz zur israelischen Politik schreiben
zu dürfen? Ich möchte nicht wissen, wie Du unter
entsprechenden Umständen mit Hannah Arendt verfahren würdest
– sie hat oft genug betont, dass Menschenrechte nicht teilbar
sind. Und wer Hobsbawms Autobiograhie liest, versteht im Subtext sehr
wohl, dass seine jüdische Herkunft für ihn ein wichtiger
Kompass geblieben ist. Du aber unterstellst eine allein selig
machende Form jüdischer Identität , vermutlich gilt nur dir
Mitgliedschaft in eingetragenen jüdischen Vereinen, ohne die man
nicht jüdisch fühlen und leben kann. Sprichst Du dann nicht
auch jenen, wie Daniel und Jonathan Boyarin, ein jüdisches
Stimmrecht ab, weil sie zwar ein unbestreitbar jüdisches Leben
führen, aber ihnen Israel wenig bedeutet?
Es geht um
jüdische Stellungnahmen zur israelischen Politik: Legst Du also
dasselbe Messgerät an, wenn es um die Unterstützer und
Legitimierer israelischen Unrechts geht? Etwa Alvin Rosenfeld? Prüfst
Du konsequenterweise auch dort die „Lebensform“ und die
Jüdischkeit der Personen? Israel wirbt um unser Engagement in
seiner Entwicklung, und da muss kritische Einmischung auch in Kauf
genommen werden.
Statt aber nun den selbsthassenden
Hintergrund jüdischer Professoren von Schalom 5767 zu
untersuchen, sollte es doch um Argumente und Streit in der Sache
gehen. (Die unterzeichneten Professorinnen werden übrigens bei
Dir unerfindlicherweise nicht erwähnt - und warum sprichst Du
überhaupt nur die Professoren namentlich an?) Wo es nun um
Argumente in der Sache geht, gegen Schalom 5767 wie auch gegen die
Independent-Jewish-Voices Erklärung der britischen Juden,
so sehe ich in Deinem Aufsatz nicht viel Substanzielles. Du kreidest
uns Unterzeichnern beispielsweise an, wir würden mit der Hamas
als einer „erklärtermaßen antisemitischen Partei …
gemeinsame Sache machen.“ Ich meine, halbwegs gut informiert zu
sein und mache mir über die Hamas keine Illusionen. Doch
radikalen Hass und Terror können wir nicht durch noch mehr
Repression, sondern ganz realpolitisch nur durch Miteinander-Reden
überwinden. Israelische Regierungen hatten ja schon längst
inoffizielle Kanäle zur Hamas; Gespräche mit dem
vernichtungswilligen Syrien sollten vernünftigerweise vor kurzem
von israelischer Seite auch wieder beginnen, wurden dann aber
bekanntlich auf Geheiß der amerikanischen Regierung
unterbunden. In der Diaspora soll nun also nicht möglich sein,
das anzuregen, was in Israel längst schon an der Tagesordnung
ist? Übrigens: Gespräche mit der palästinensischen
Regierung haben die britischen Juden in ihrer Erklärung
ebenfalls , wie wir, gefordert – ein Passus, den Du leider
nicht zitierst.
Lieber Micha, wir kennen uns nun
freundschaftlich und beruflich seit 25 Jahren – seit wir uns in
Berlin, Frankfurt, Zürich und anderswo in den „Jüdischen
Gruppen“ zusammengefunden hatten. Damals ging es um unsere
Kritik am Libanon-Feldzug und der Haltung der jüdischen
Repäsentanz in Deutschland, die den jüdischen Hintergrund
der Gruppen in Zweifel zog, uns zu Feinden des Judentums deklarierte
und Debatte zu unterdrücken suchte. Plus
ca change…
Du hast die Erklärung
Schalom 5767 nicht unterschrieben. Wäre es nicht produktiver
gewesen, Du hättest weiterhin sachlich mit den Unterzeichnern
diskutiert, statt uns mit Häme in den Geruch von Selbsthassern
und naiven Ignoranten zu bringen? Schade: Hier wurde eine Chance zu
offener Debatte leichtfertig abgebrochen.
Dein Michal Bodemann
Michal Bodemann ist Professor für Soziologie an der University of Toronto/Kanada