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Israel,
oh Israel
Die Kontroverse über die Israel-Lobby in den Vereinigten Staaten
Von Norman Birnbaum
Wie
viele Amerikaner Juden sind, ist in der jüdischen Community
selbst umstritten. Auch die Demographen sind sich nicht einig. Und
die Tatsache, dass die Ausgangsfrage, nämlich wer Jude ist, sich
in unserer bunt gemischten und säkularen Gesellschaft schwer
beantworten lässt, erleichtert die Ermittlung einer exakten Zahl
auch nicht gerade. Nicht wenige Juden leben in Mischehen, auch wenn
viele von ihnen und ihren Kindern ein gewisses Maß an jüdischer
Identität bewahren. Viele andere betrachten sich selbst als
Juden, obwohl ihre Bindungen an die Synagoge bloß nomineller
Art oder gelockert sind. Eine brauchbare Zahl liegt bei etwa sechs
Millionen oder rund zwei Prozent der US-Bevölkerung - stark
konzentriert in urbanen Regionen, vor allem Los Angeles und New
York.
Da amerikanische Jüdinnen und Juden in der Regel
über eine sehr gute Ausbildung verfügen, sind sie
wirtschaftlich und kulturell entsprechend erfolgreich. In der
Wirtschaft und im Finanzsektor, im kulturellen Leben, in Bildung und
Wissenschaft ebenso wie in der Politik. (13 von 100 Senatoren sind
jüdisch.) Bei den letzten Kongresswahlen haben über 75
Prozent der jüdischen Wählerschaft für die Demokraten
gestimmt, die mindestens ein Drittel ihres Finanzaufkommens jüdischen
Spendern verdanken. Obwohl sie selbst prosperieren, treten Juden im
Allgemeinen für den amerikanischen Wohlfahrtsstaat ein - und von
einer lautstarken Minderheit der Orthodoxen abgesehen finden sie, das
moderne Leben gebiete eine eher liberale Auslegung des Alten
Testaments in Sexualfragen. Was die Außenpolitik betrifft,
tendieren amerikanische Juden in der Regel zum Multilateralismus.
Schließlich war Franklin D. Roosevelt im 20. Jahrhundert ihr
großer Held. Darüber hinaus bevorzugt, wenn man den
Umfragen glauben darf, eine Mehrheit der amerikanischen Juden im
Konflikt mit den Palästinensern eine Verhandlungslösung:
land for peace, Land für Frieden.
Die
vernehmlichste und einflussreichste Stimme des jüdischen Amerika
allerdings, jenes als „Israel-Lobby" bekannt gewordene
Koordinationsnetzwerk aus Individuen und Organisationen (eng
koordiniert nicht zuletzt mit der israelischen Regierung und deren
Washingtoner Botschaft sowie mit den Parteien der israelischen
Rechten), vertritt andere Positionen - vor allem außenpolitisch.
Es unterstützt den amerikanischen Unilateralismus, verunglimpft
voller Verachtung die Kritik großer Teile der
Weltöffentlichkeit an der israelischen Besetzung Palästinas,
befürwortet die härtesten Repressionsmaßnahmen
Israels gegen die Palästinenser - und verlangt jetzt, nachdem es
erfolgreich für den Irakkrieg agitiert hatte, einen Angriff der
Vereinigten Staaten auf den Iran. Innenpolitisch taktiert die Lobby
mit einer ordentlichen Portion Einschüchterung und Rufmord. Bis
vor kurzem konnte sie bemerkenswert erfolgreich die beträchtliche
Kritik neutralisieren, die aus den amerikanischen Kirchen und anderen
Kreisen (der Führung einiger Organisationen der Schwarzen
beispielsweise und einigen stärker anti-imperial gesinnten
Demokraten im Kongress) an Israel - und der amerikanischen Allianz
mit Israel - artikuliert wird. Der Erfolg beruht zum Teil darauf,
dass die Israel - Lobby hartnäckig verbreitet, es gebe eine
direkte Verbindung zwischen dem arabischen und muslimischen
Widerstand gegen Israels Besatzungspolitik und dem europäischen
Antisemitismus. Diejenigen, die Sympathie für diesen Widerstand
bekunden, verhielten sich objektiv antisemitisch, was immer sie
selbst glauben oder sagen mögen. (Handelt es sich bei den
Kritikern um Juden, ist die Erklärung einfach: Sie leiden unter
Selbstverleugnung, wenn nicht sogar unter Selbsthass.)
Insbesondere
seit dem Krieg von 1967 kann die Israel - Lobby auf die Unterstützung
der Medien, die Marginalisierung der Kritiker Israels und großen,
ja überwältigenden Rückhalt im Kongress zählen.
Politikerinnen oder Politiker, die sich mit der Lobby anlegen, setzen
ihr politisches Leben aufs Spiel. Hillary Clinton ist Methodistin,
aber sie verhält sich - als Senatorin aus New York (und als
Präsidentschaftskandidatin noch verstärkt) - als sei sie
eine glühende Konvertitin zum Zionismus. Während des
Präsidentschaftswahlkampfes 2004 wagte Gouverneur Howard Dean
sich mit der Forderung nach „Ausgewogenheit" im Heiligen
Land vor - trat dann aber in unanständiger Hast den Rückzug
an. Auch der Senator und Präsidentschaftskandidat Barack Obama
hat neuerdings bereut, das Leid der Palästinenser erwähnt
zu haben.
Die Israel-Lobby macht keinen Hehl aus ihrer
Bereitschaft, die Gegner ihrer Gegner finanziell zu unterstützen.
Die einzige Sphäre, in der ihre gesinnungspolizeilichen
Aktivitäten erfolglos blieben, sind die Universitäten.
Viele Präsidenten, Dekane und andere Mitglieder des Lehrkörpers
(auch jüdische) haben die akademische Freiheit gegen die
Einmischung privater Sponsoren und von Parlamentariern aus den
Bundesstaaten verteidigt und sich Pressionen widersetzt, darunter der
Anwerbung von Studenten zur Bespitzelung und Denunziation
vermeintlich verdächtiger Hochschullehrer. (Der ehemalige
Präsident der Harvard-Universität Lawrence Summers
verurteilte Israel-Kritiker an seiner Hochschule als „Antisemiten",
und als er wegen notorischer Grobheit und Taktlosigkeit zurücktreten
musste, erklärten einige seiner Anhänger unverzüglich,
zu Fall gebracht habe ihn der Antisemitismus.)
Amerikas
Juden und Israel
Die
jüdische Gemeinschaft lässt es zu, dass sie von Leuten
vertreten wird, deren Persönlichkeit und Manieren wenig gemein
haben mit denen der Nobelpreisträger, Schriftsteller und Denker,
auf die sie mit gutem Recht stolz ist. Man fühlt sich eher an
die furchterregenden Gangster einer früheren Generation
erinnert. Um der Verteidigung Israels willen sinkt sie auf das Niveau
des vulgärsten Ethnozentrismus herab. Man sagt Juden manchmal
überzogene Introspektion und eine Anfälligkeit für
übertriebene Schuldgefühle nach. Nichtsdestotrotz
beanspruchen die amerikanischen Juden in einem überwiegend
christlichen Land alle Bürgerrechte, während ihre
Repräsentanten zugleich auf dem jüdischen Charakter Israels
bestehen und darauf beharren, dass nichts geschieht, was diesen
verändern könnte. Gleichzeitig ist man bereit, mit
fundamentalistischen Protestanten zu paktieren, deren Philosemitismus
auf apokalyptischen Albträumen basiert - einige von ihnen haben
die Libanonkrise als Beginn des Armageddon begrüßt. Ihre
buchstabengläubige Bibelauslegung veranlasst sie, Israel deshalb
zu unterstützen, weil die Rückkehr der Juden ins Heilige
Land zu deren unmittelbar bevorstehender Konversion - und zu ihrem
Verschwinden - führen werde. Diese Widersprüche erklären
sich aus einer tief sitzenden Identifikation mit Israel.
Die
meisten Juden Amerikas stammen von der jüdischen Emigration aus
Osteuropa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ab.
Ungefähr 150000 kamen vor dem Zweiten Weltkrieg aus Österreich,
Deutschland und Westeuropa, weitere 150000, die den Holocaust
überlebt hatten, folgten ihnen später nach. Außerdem
gibt es eine neuere Gruppe, die nach 1989 aus Russland zuwanderte,
und viele Israelis. (Der Kongressabgeordnete Rahm Emanuel
beispielsweise, ein einflussreicher Demokrat, ist Sohn israelischer
Einwanderer und hat in der israelischen Armee seinen Dienst
geleistet.) Eine Anzahl in Amerika geborener Juden hat sich in Israel
niedergelassen oder pendelt zwischen den beiden Ländern. Douglas
Feith, der als Rumsfelds Undersecretary of Defense die „Beweise"
für irakische Massenvernichtungswaffen und Al-Qaida-Verbindungen
lieferte, praktizierte einige Jahre lang als Anwalt in Israel. Seine
familiären Verbindungen zur Likud-Partei erlaubten ihm, als
Mittelsmann zur israelischen Rüstungsindustrie zu fungieren.
Auch andere Berater und Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums
hatten und haben enge Verbindungen zur Likud-Partei, geschäftlicher
wie politischer Art. Überhaupt kann man den Neokonservatismus
(ein Euphemismus für die totale Unterstützung Israels) zu
großen Teilen als einen ziemlich profitablen Geschäftszweig
betrachten.
Für die meisten amerikanischen Juden hingegen
ist die Bindung an Israel eher symbolischer Art. Sie sind nicht
bereit, ihr gelobtes Land, die gepflegten Vororte Amerikas,
aufzugeben, um sich in Israel niederzulassen. Erinnerungen aus der
Eltern- und Großelterngeneration an den europäischen
Antisemitismus, aber auch solche an das Amerika von vor 60 oder 100
Jahren, als der Antisemitismus dort viel weiter verbreitet war und
tiefer saß als heute, vor allem aber die Bilder des Holocaust -
all dies wirkt zusammen und erzeugt das Bedürfnis, Israel zu
unterstützen. Die unzerstörbare Erinnerung an den Genozid
selbst ist ein elementarer Bestandteil der Mentalität der
amerikanischen Juden, die sich nun um die bedingungslose Verteidigung
des Staates Israel zentriert. Sicher, die meisten amerikanischen.
Juden lauschen den Worten Jehovas mit Respekt. Aber israelischen
Regierungs- und Generalstabschefs wird mitunter zugehört, als
sprächen sie direkt aus dem Alten Testament. In der
amerikanisch-jüdischen Psyche ist Israel nicht das korrupte,
zerstrittene und schlecht regierte Land, das sich derzeit auf dem Weg
der Selbstzerstörung befindet. Es ist der mythisch überhöhte
Inbegriff einer halb heroischen, halb viktimisierten Nation.
Ungeachtet ihrer Integration in die amerikanische Gesamtgesellschaft
leben viele Juden Amerikas (kulturell und sozial) in einer Welt für
sich, in der andere Juden sie in ihren Ansichten bestärken.
Nicht nur die rührige Minderheit überzeugter Zionisten
reagiert auf die Lage im Nahen Osten instinktiv so, als könne
Israel grundsätzlich nichts falsch machen. Auch ansonsten
kritische, nachdenkliche Jüdinnen und Juden in Amerika denken
ähnlich.
Demokraten
und Republikaner
Sie
könnten dies nicht so unbekümmert tun, wenn ihre
nichtjüdischen Mitbürger Israels Ansprüchen und
Behauptungen mehr Skepsis entgegenbrächten. Schuldgefühle
wegen des Holocaust, eine begrüßenswerte Abneigung
dagegen, als antisemitisch zu erscheinen, und in letzter Zeit auch
die Gleichsetzung des US-Feldzuges gegen den islamischen Radikalismus
mit dem israelischpalästinensischen Konflikt - dies alles macht,
in Verbindung mit der einseitig pro-israelischen Haltung der Medien,
Kritikbewusstsein zu einer Rarität. In einer tieferen Schicht
bewirken die calvinistischen Traditionen Amerikas (die die Kultur des
Landes insgesamt, besonders aber seine politische Kultur
mitbestimmen) Sympathie für Israel, ja sogar Identifikation mit
ihm. Wenn die Vereinigten Staaten das neue „gelobte Land"
sind, liegt es um so näher, das alte zu unterstützen. Wenn
man zudem die (allerdings durchaus zweischneidigen) geopolitischen
Vorteile der Militärallianz mit Israel berücksichtigt, ist
klar, warum Israel für die Rolle des Vorzugsklienten
taugt.
Aber: Sind diese Entwicklungen gut für die Juden?
Israels derzeitige Rolle als aggressiver US-Verbündeter im Nahen
Osten ist keine Garantie für Israels Überleben. Die viel
gefeierte „strategische Partnerschaft" ist nicht
notwendigerweise dauerhaft. Sollte die amerikanische Elite
entscheiden, dass wichtigere strategische Interessen eine Zügelung
oder gar ein Preisgeben Israels erfordern - sie würde nicht
zögern, es zu tun. Schon in seinen Anfängen wurde Israel
militärisch bekanntlich nicht von den USA, sondern von der
Sowjetunion unterstützt; danach war es mit Frankreich verbündet.
Es war Eisenhower, der Israel 1956 zwang, seinen Angriff auf Ägypten
zu beenden. Das Bündnis mit den USA begann erst in den 60er
Jahren - und der erste Präsident Bush nahm noch die Haltung ein,
dass die Vereinigten Staaten der Seniorpartner sind und keinen
Ungehorsam dulden.
Der zweite Präsident Bush hängt
sowohl als christlicher Fundamentalist der wortwörtlichen
Bibelauslegung an, als auch in seinem Verständnis der
amerikanischen Macht dem Unilateralismus. Beides dürfte unter
der engen Verbindung seiner eigenen Familie mit der saudischen
Monarchie kaum gelitten haben. Dass Bush nicht einmal so tun mag, als
hätten die Vereinigten Staaten irgendeine moralische
Verpflichtung gegenüber den Palästinensern; dass er die
Legitimität ihrer gewählten Vertreter bestreitet; dass er
Israel zu den brutalsten und rücksichtslosesten Aktionen
ermutigt, gipfelnd im Angriff auf den Libanon 2006 - das alles haben
die rationaler Denkenden unter unseren Empire-Managern kritisiert.
Doch den Präsidenten, der auf Zwischentöne ohnehin nicht
viel gibt, bekümmert das wenig. Schließlich kann er sich
immer noch auf die Demokraten verlassen.
Trotz alledem hält
sich die Siegesstimmung der Israel-Lobby - also jener Gruppierung,
die das American-Israel Public Affairs Committee (AIPAC), das
American Jewish Committee (AJC), die Anti-Defamation League (ADL) und
die Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations
gemeinschaftlich anführen - gegenwärtig in Grenzen. Sicher,
die Empfehlungen der von Ex-Außenminister James Baker geführten
Studiengruppe hat man offenbar erst einmal beerdigt. Die Zahl der
Demokraten, die Verhandlungen mit dem Iran und Syrien skeptisch
gegenüberstehen und effektive Druckausübung auf Israel,
damit es seinen Unilateralismus gegenüber den Palästinensern
aufgibt, ablehnen, ist groß. Tom Lantos, der neue Vorsitzende
des International Relations Committee im Repräsentantenhaus,
machte neulich bei der Rückkehr von einem Israelbesuch mit der
Forderung auf sich aufmerksam, dem Libanon keine amerikanische Hilfe
zukommen zu lassen. Der Libanon sei nämlich, wie er sagte, ein
Komplize der Hisbollah-Konfrontation mit Israel, weshalb er kein
Recht auf Hilfe beanspruchen könne. Der neue Vorsitzende des
Außenpolitischen Senatsausschusses, Senator Joseph R. Biden,
zeigt sich ausgewogener, aber er hat Ambitionen auf die
Präsidentschaft und ist noch nie durch ausgeprägten
Unabhängigkeitsdrang aufgefallen. Der gegen den Einwand von
Präsident Bush anberaumte Syrien-Besuch der demokratischen
Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, war ein
Versuch, die Empfehlungen der Baker-Kommission doch noch umzusetzen.
Aber die Demokraten und ihre Präsidentschaftskandidaten handeln,
als ob Israel der 51. Staat der USA wäre.
Interessanterweise
nehmen manche Republikaner andere Positionen ein. Zu den Mitgliedern
der Bush-Partei, die dem Unilateralismus des Präsidenten
widersprechen, gehören so prominente Persönlichkeiten wie
der frühere Nationale Sicherheitsberater General Brent
Scowcroft, der Präsident des Council on Foreign Relations,
Richard N. Haass, und eine Reihe von Senatoren, darunter so wichtige
wie Richard Lugar und John Warner. Ohne ganz aus der Deckung zu
kommen, haben sie doch durchblicken lassen, dass sie den Einfluss der
Israel-Anhänger auf die US-Außenpolitik für
unverhältnismäßig groß und schädlich
halten. Im vergangenen September bot Haass der Israel-Lobby die
Stirn, indem er den iranischen Präsidenten zu einem Besuch
seines „Rates für Auswärtige Beziehungen"
einlud. Elie Wiesel versuchte daraufhin, den Rückzug jüdischer
Mitglieder aus dem Gremium zu organisieren, stieß jedoch auf
Ablehnung. Man wird nicht Mitglied dieses Councils, der so amtlich
ist, wie ein nichtamtliches Gremium nur sein kann, wenn man dazu
neigt, aus der Reihe zu tanzen. Haass ist eine großartige
Persönlichkeit, aber in Sachen Ahmadinedschad hat er zweifellos
keinen Alleingang riskiert, sondern seine Entscheidung mit einer
ganzen Reihe einflussreicher Leute abgestimmt.
Israel-Lobby
unter Druck
Darüber
hinaus gibt es ein Gerichtsverfahren, das mindestens ebenso bedeutsam
ist. Ein ehemaliger Beamter aus der mittleren Ebene des
Verteidigungsministeriums namens Lawrence Franklin bekannte sich
schuldig, sich widerrechtlich geheime Informationen über die
Nahostpolitik verschafft und sie an zwei Funktionäre des AIPAC,
des Amerikanisch-Israelischen Komitees für Öffentliche
Angelegenheiten, weitergegeben zu haben. Beide sind angeklagt und vom
AIPAC entlassen worden. Das könnte sie veranlassen, sich offen
über die Verbindungen des Komitees mit der israelischen
Regierung zu äußern. Einen der beiden, Steven Rosen, kennt
man als aggressiven Verfechter eines US-Angriffs auf den Iran. Den
AIPAC-Funktionären, die sich mit dem Argument verteidigen, sie
hätten ganz im Sinne ihrer Organisation gehandelt, dürfte
das Schicksal Jonathan Pollards, eines zivilen Mitarbeiters des
Navy-Nachrichtendienstes zu denken geben. Pollard spionierte für
Israel, wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt und dann von
den meisten jüdischen Organisationen Amerikas seinem Schicksal
überlassen. Die beiden AIPAC-Funktionäre warten noch auf
ihr Verfahren.
Trotzdem gelang es dem AIPAC, eine außerordentliche
Anzahl hoher Regierungsvertreter, Kongressabgeordneter und Senatoren
für die Teilnahme an seinem jüngsten Jahrestreffen in
Washington zu gewinnen. Das Komitee hat das Verfahren gegen die
beiden Funktionäre sogar zur Mobilisierung seiner Anhänger
instrumentalisiert: Mit der Behauptung, es demonstriere, dass sich
auch in der Regierung selbst „Antisemitismus" rege.
Allerdings konnte das AIPAC nicht erklären, wieso sein guter
Freund George W. Bush nicht einschritt, um das Verfahren zu stoppen.
Die Antwort liegt auf der Hand: Die schiere Unverschämtheit der
Israel-Lobby und ihrer Statthalter in der Regierung (die Gruppe
Wolfowitz, Wurmser, Feith und andere in Rumsfelds
Verteidigungsministerium oder etwa Lewis Libby, Vizepräsident
Cheneys früherer Stabschef, der im Zusammenhang mit der
öffentlichen Erwähnung des Namens einer CIA-Agentin, deren
Ehemann dem Weißen Haus lästig fiel, verurteilt wurde) hat
eine regierungsamtliche Reaktion geradezu herausgefordert. Ein
AIPAC-Funktionär, mit dem ich vor einiger Zeit sprach, erklärte
mir, der für das Verfahren zuständige Beamte des Department
of Justice sei polnischer Abstammung, die Angelegenheit also als ein
amerikanischer Abklatsch alteuropäischer Pathologien zu deuten.
Diese Behauptung spricht wohl für sich!
Auch gegen die
Kongressabgeordnete Jane Harman hat das Department of Justice
ermittelt, allerdings ergebnislos. Sie war die führende
Vertreterin der Demokraten im Nachrichtendienste-Ausschuss des
Repräsentantenhauses und bekannt dafür, das sie zur
Aufklärung der zahlreichen Pannen und Lügen im Zuge der
Operationen der Bush-Administration wenig unternommen hat.
Harman
ist auch eine entschiedene Israel-Unterstützerin, was zu den
Gründen für ihre Passivität im Ausschuss gehören
mag. Jedenfalls hatte Nancy Pelosi Frau Harman vor den Zwischenwahlen
vom November vergangenen Jahres mitgeteilt, sie würde, falls die
Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit erlangten, nicht
für den Ausschussvorsitz nominiert werden. Das Justizministerium
hatte sich, wie es heißt, mit Berichten zu befassen, denen
zufolge Frau Harman daraufhin das AIPAC bat, bei Frau Pelosi zu ihren
Gunsten zu intervenieren, und anbot, sich im Gegenzug darum zu
bemühen, dass die Regierung das Verfahren gegen die beiden
AIPAC-Angestellten stoppt. Man hat nie wieder davon gehört -
aber Frau Harman wurde jedenfalls nicht Ausschussvorsitzende .
Die
Fähigkeit der Israel-Lobby, die Grenzen der US-Politik zu
bestimmen, scheint also ein wenig nachzulassen. So hatte das
Repräsentantenhaus noch im Herbst einen „Palestine
Anti-Terror Act of 2006" verabschiedet, der jegliche
US-Finanzhilfe für die palästinensische Autonomiebehörde
blockieren sollte. Doch als das Außenministerium Einspruch
erhob, beschloss der Senat eine abgewandelte Version des Gesetzes,
die Finanzhilfen an die Hamas aus-schloss, nicht aber an die
Formation hinter Präsident Mahmud Abbas. Das Repräsentantenhaus
billigte die modifizierte Fassung. Eine Interpretation dieses Wandels
besagt, dass die Führer der Israel-Lobby nicht so dastehen
wollten, als habe man sie gestoppt, und deshalb den Kompromiss
widerstrebend hinnahmen. Dagegen hat AIPAC Erfolg darin gehabt, viele
Demokraten davon zu überzeugen, das explizite Verbot, einen
Angriff auf den Iran ohne Kongressbewilligung anzuordnen, aus einem
Antrag zum Irakkrieg zu streichen.
Die Öffentlichkeit
nimmt von parlamentarischen Manövern, Untersuchungen und
Prozessen dieser Art kaum Notiz, noch weniger von den Konflikten
innerhalb des Regierungsapparats. Zwar gab es einige Presseresonanz
auf die öffentlich gewordenen Einwände der israelischen
Regierung gegen den Baker-Bericht (insbesondere gegen dessen
Vorschlag, die USA sollten mit dem Iran und Syrien verhandeln), doch
wurde kaum ein Zusammenhang zu der mangelnden Bereitschaft vieler
einflussreicher Demokraten gesehen, diese Initiative aufzugreifen.
Andererseits ist Jimmy Carters neues Buch, „Palestine: Peace
Not Apartheid", breit diskutiert worden. Der Beitrag der
Israel-Lobby zu dieser Debatte bestand in einer beachtlichen
Verunglimpfungskampagne, die Carter Voreingenommenheit und
Inkompetenz unterstellte, aber das Buch steht auf den
Bestsellerlisten, und Carter reist landauf, landab, um darüber
zu sprechen. In einer Rezension für die Zeitschrift „The
Nation" schrieb Henry Siegman: „ Carter ist für
Äußerungen über die Besatzungsherrschaft verteufelt
worden, wie sie in fast allen wichtigen Zeitungen Israels regelmäßig
zu lesen sind."1 Mitten im Wahlkampf veranlasste das Buch Nancy
Pelosi und Gouverneur Howard Dean, den Vorsitzenden des Democratic
National Committee, Carter zu kritisieren. Vermutlich, ohne das Buch
gelesen zu haben, beeilten sie sich zu erklären, der
Ex-Präsident spreche nicht für die Demokraten.
Ein
Teil der gebildeten Öffentlichkeit (darunter viele liberale und
säkularisierte Juden) ist jedoch eindeutig nicht bereit, die
Regeln der Israel-Lobby über das, was man zu Nahostfragen sagen
darf und was nicht, hinzunehmen. Unsere Universitäten verdienen
Respekt dafür, dass sie, trotz erheblicher Pressionen, einen
Freiraum offener Debatte aufrechterhalten. Die Columbia University
etwa verhielt sich ehrenwert, als sie den verstorbenen Edward Said
gegen unzählige Angriffen verteidigte. Eine jüdische
Gruppe, die in keinerlei Verbindung zur Universität steht,
produzierte kürzlich einen Film über die angebliche
Einschüchterung jüdischer Studenten - fand aber keinen
einzigen Studenten der Columbia University, der sich beschwerte. Die
Universitätsleitung führte dennoch eine Untersuchung durch
und erklärte im Ergebnis die Vorwürfe für unbegründet.
Die Yale University erweckte auf der anderen Seite den Eindruck, sie
habe der hartnäckigen Forderung einiger ihrer jüdischen
Absolventen (und vermutlich Sponsoren) nachgegeben, Professor Jüan
Cole von der University of Michigan einen Lehrstuhl für die
Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens zu verweigern. Gewiss, der
eindeutig nichtjüdische Yale-Historiker John Lewis Gaddis
rechtfertigte die Entscheidung: Coles Sicht der Dinge sei
„politisch". Gaddis wiederum hat ein Buch zum Ruhme der
außenpolitischen Leistungen des gegenwärtigen
US-Präsidenten geschrieben und wurde vom Weißen Haus als
Berater engagiert.
1 Henry Siegman, Hurricane Carter, in:
„The Nation", 22.1.2007; vgl. Jimmy Carter, Palestine:
Peace Not Apartheid, New York 2006.
Der
„Fall Judt" und das Mearsheimer-Walt-Papier
Zwei Episoden der letzten Zeit sind besonders aufschlussreich. Tony Judt, der ausgezeichnete Experte für europäische Geschichte, hatte in seiner Jugend als britischer Zionist in Israel gearbeitet, bevor er dann später seinen Standpunkt änderte. In einem Artikel für die „ New York Review of Books" legte er 2003 dar, warum er das Konzept eines Judenstaats für nicht mehr zeitgemäß hält. Israels Weigerung, den Palästinensern einen lebensfähigen Staat zuzugestehen, hieß es da weiter, werde die beiden Völker auf lange Sicht ganz einfach zwingen, in einem binationalen Gebilde zusammenzuleben.2 Man beschuldigte ihn daraufhin, zur Zerstörung Israels aufzurufen. Judt ließ sich jedoch nicht einschüchtern und hielt daran fest, Israel und die Unterstützer seiner Politik zu kritisieren. Im vergangenen Jahr lud eine Gruppe jüngerer New Yorker Tony Judt zu einem Vortrag ein. Diese international zusammengesetzte Gruppe traf sich gewöhnlich in den Räumen des polnischen Konsulats in Manhattan. Nachdem das Konsulat unter anderem von der Anti-Defamation League (die kurz zuvor einen überaus kritischen Polen-Report veröffentlicht hatte) auf den geplanten Vortrag angesprochen worden war, sagte es die Veranstaltung ab. Abraharn Foxman, der Chef der ADL, der sich gewöhnlicherweise nicht durch Bescheidenheit hervortut, machte für diese Entscheidung ausschließlich die Polen verantwortlich. Die Pharisäer sind, wie es scheint, noch nicht gänzlich ausgestorben. Die Geschichte hatte ein groteskes Nachspiel. Judt seinerseits zog seine Zusage, an einem College in Manhattan zu sprechen, zurück, als ein Rabbi, der auch im Parlament des Staates New York sitzt, eine Demonstration von Holocaust-Überlebenden androhte. Mit Recht bezeichnete Judt das Verhalten dieses Rabbi als „obszön". Judts Hochschule, die New York University, verteidigt ebenso wie die Columbia University standhaft die Meinungsfreiheit ihres Lehrkörpers.
An
der Harvard-Universität hat sich die Lage seit dem Weggang von
Präsident Summers gebessert. Schwer zu glauben, dass auch seine
Nachfolgerin, Drew G. Faust, Israelkritiker in Lehrkörper oder
Studentenschaft gleich als „antisemitisch" abstempelt.
Stephen Walt, ein prominenter Harvard-Professor, tat sich im
vergangenen Jahr mit einem Kollegen von der University of Chicago,
John Mearsheimer, zusammen, um einen Artikel zu schreiben, der dann
unter dem Titel „The Israel Lobby" in der „London
Review of Books" erschien.3 Geschrieben hatten sie ihn für
„The Atlantic Monthly", das sich jedoch entschloss, den
Text nicht zu veröffentlichen. Die Israel-Lobby scheint - mit
Recht - davon auszugehen, dass Mearsheimer und Walt gefährliche
Gegner sind. Sie sind keine Juden (während der Streit um Judt
gelegentlich an die Art innerjüdischer Familienkräche
erinnert, die Manhattan von Zeit zu Zeit mehr Hitze als Erleuchtung
spenden), und beide sind überaus angesehene Mitglieder der
akademischen Szene, ohne sich bisher politisch sonderlich exponiert
zu haben. Die beiden Wissenschaftler kommen zu dem Befund, der
gegenwärtige Schulterschluss mit Israel liege nicht im
nationalen Interesse der Vereinigten Staaten. Dass an dieser Politik
dennoch festgehalten werde, sei vor allem dadurch zu erklären,
dass die Israel-Lobby jede ernsthafte Debatte erfolgreich blockiere.
Die Reaktion der Israel-Anhänger ist sicherlich kaum geeignet,
diese Behauptung zu entkräften. Keine Verleumdung war zu billig,
keine Verzerrung der Thesen von Mearsheimer und Walt zu grob, keine
Spielart der Selbstgerechtigkeit zu peinlich. Eine Reihe von
Harvard-Absolventen kündigten ihrer Alma Mater die Treue auf.
Sie wird das (wie Chicago selbst) wahrscheinlich überleben -
aber die betreffenden Alumni sollten sich vielleicht einmal die Frage
stellen, wie viel der Abschluss einer Universität, an der die
akademische Meinung käuflich ist, wohl wert wäre.
Mittlerweile hat das angesehene Verlagshaus Farrar Strauss
Mearsheimer und Walt gebeten, ein Buch zum Thema zu schreiben - womit
es sich, wie man hört, unverzüglich den Tadel einer der
großen jüdischen Organisationen zuzog. Farrar Strauss
gehört die Firma Holtzbrinck in Stuttgart, die offensichtlich
nicht bereit ist, die Meinungsfreiheit einschränken zu
lassen.
Der „Fall Judt" und das Mearsheimer-Walt-Papier
haben zwei recht unterschiedliche Gruppierungen veranlasst, Stellung
zu nehmen. Mark Lilla und Richard Sennett organisierten den Protest
einer Reihe von Wissenschaftlern und Schriftstellern gegen die
Intervention der Anti-Defamation League beim polnischen Konsulat. Die
Erklärung erschien am 16. November 2006 unter der Überschrift
„Der FaU Tony Judt: Offener Brief an die ADL" in der „New
York Review of Books". Autoren und Unterzeichner des Briefes
erwiesen Abraham Foxman (ADL) die Ehre, ihn als einen der
Öffentlichkeit verpflichteten Mitbürger zu würdigen,
der sich im Prinzip der Meinungsfreiheit verschrieben habe. Sie
ersparten ihm den Hinweis, dass die ADL nur durch außergerichtlichen
Vergleich einem Verfahren entkam, das 1993 gegen die Organisation
eröffnet worden war - unter anderem wegen des Vorwurfs der
Kollaboration sowohl mit Israel als auch mit dem südafrikanischen
Apartheidsregime bei Spitzelaktivitäten in den USA. Eine andere
Erklärung, die auf der Website des Kultur- und Politik-Journals
„ Archipelago" nachzulesen ist,4 fand einen etwas
breiteren Unterzeichnerkreis, darunter einige sehr hochrangige
ehemalige Vertreter des außenpolitischen Apparats der
Vereinigten Staaten. Hier zeigt man sich weniger überzeugt von
den guten Absichten der ADL.5
2
Tony Judt, Israel: The Alternative, in: „New York Review of
Books", 23.10.2003. Eine deutsche Fassung erschien in: „Blätter"
12/2003, S. 1472-1470-d. Red.
3 John Mearsheimer und Stephen
Walt, The Israel-Lobby and U.S. Foreign Policy, in: „London
Review of Books", 23.3.2006; vgl. auch Norman Birnbaum,
Gefangene der eigenen Allmachtsphantasien. Bushs „imperiale
Präsidentschaft" in der Krise, in: „Blätter"
5/2006, S. 559-566, hier S. 562 ff.
4
www.archipelago.org/vollO-12/freespeech.htm.
5
Unter dem Titel „The Storni over the Israel Lobby"
erschien übrigens ein ausgezeichneter Überblick zum Thema
aus der Feder Michael Massings in der „New York Review of
Books" (8.6.2006), und im November 2006 veröffentlichten
Mearsheimer/Walt eine umfängliche Antwort auf die Vorwürfe
ihrer Kritiker („Setting the Record Straight: A Response to
Critics of ,The Israel Lobby'", http://altemet.org/
story/35Q25).
Zeit
zum Umdenken
Die
anhaltende Debatte beweist ohne Zweifel, das der Diskussionsspielraum
sich sowohl in der akademischen Welt wie in den obersten Schichten
unserer kulturell stratifizierten Gesellschaft ausweitet. Besondere
Bedeutung würde ich der bereits erwähnten Initiative von
Richard Haass beimessen, den iranischen Präsidenten zu einer
Begegnung mit dem Council on Foreign Relations einzuladen. Ich sehe
diesen Vorstoß als Teil einer Gegenoffensive der Vernunft,
welche Kritiker unseres Imperiums mit den aufgeklärteren und
ehrlicheren unter dessen Managern gegen die (unzureichend als
„Neocons" charakterisierte) Israel-Lobby vereinen
wird.
Doch vorläufig bleibt unser politisches Leben in dieser
Frage weitgehend gelähmt, von der Israel-Lobby zu
eindimensionalen und ritualisierten Reaktionen auf Probleme genötigt,
die sich mit deren Schablonen nicht lösen (ja nicht einmal
beschreiben) lassen. Die Katastrophe im Irak könnte allerdings
drei Gruppierungen veranlassen umzudenken.
Das gilt zunächst
einmal für die jüdische Gemeinschaft selbst. Die
Organisationen, für die die Israel-Lobby spricht, vertreten,
wenn es hochkommt, die Hälfte der jüdischen Bevölkerung
in den USA. Ihr Führungspersonal nutzt die Ängste dieser
Gemeinschaft und ihre Solidarität mit Israel aus - ignoriert
dabei jedoch die Bereitschaft vieler ihrer Mitglieder, über
Alternativen zu einer Politik nachzudenken, die im Gazastreifen, im
Westjordanland und jüngst im Libanon am laufenden Band
Katastrophen produziert. Die größte jüdische
Einzelgruppe in den Vereinigten Staaten ist die Union for Reform
Judaism mit mehr als anderthalb Millionen Mitgliedern. Sie zeigt sich
aufgeschlossen gegenüber den Argumenten der Verfechter einer
anderen Politik in Israel selbst und skeptisch gegenüber der
Allianz der Israel-Lobby mit christlichen Fundamentalisten. Sie
könnte deshalb als eine Art Brücke zwischen denjenigen
Juden dienen, für die ihre jüdische Identität zentral
ist, und jenen, die stärker in den säkularen Pluralismus
des amerikanischen Lebens integriert sind. Jüdische Identität
ist keineswegs gleichbedeutend damit, sich blindlings hinter Israel
zu stellen. Sie hat, ganz im Gegenteil, führende Juden schon oft
zu scharfer Kritik an der israelischen Politik veranlasst.
Einige
der Gruppen, die den Likud-Kritikern in Israel selbst am nächsten
stehen, erwägen jetzt die Bildung eines politischen Blocks.
Dieser soll in der amerikanischen Politik in die Offensive gehen -
gegen die Allianz der Israel-Lobby mit jenen Kräften in Israel,
die sich gegen eine Überprüfung der Besatzungspolitik
stemmen.
Bei der zweiten Gruppierung handelt es sich um die
Demokratische Partei. Wenn sie sich nicht aus der derzeitigen
finanziellen und intellektuellen Abhängigkeit von der
Israel-Lobby löst, wird sie keine alternative US-Außenpolitik
entwickeln können. Es gibt genügend Gruppen in der Partei,
die diese Abhängigkeit stört (der Black Caucus im Kongress,
der Progressive Congressional Caucus, die Menschenrechtsgruppen und
Christen aus den internationalistisch orientierten Teilen sowohl der
katholischen wie der protestantischen Kirchen). Unzählige
liberale und säkulare Juden sowie viele Mitglieder aus solchen
Gruppierungen wie „Reform Judaism" warten geradezu auf
eine Kurskorrektur.
Die dritte Gruppe schließlich sehe ich
in solchen Vertretern des Empire-Managements, die sich als Hüter
der amerikanischen Tradition verstehen und bei Franklin D. Roosevelt
nach Inspiration oder bei dem Theologen Reinhold Niebuhr nach
Kriterien zur Bestimmung der Grenzen amerikanischer Macht suchen.
Diese Leute sehen keinen Grund, warum die Vereinigten Staaten die
immerwährende Feindschaft der arabischen und islamischen Völker
auf sich ziehen sollten, indem sie weiterhin Israels illusionäre
Allmachtsphantasien nähren. Sie erwägen, dass eine
Strategie, die unseren Idealen wie unseren Interessen gleichermaßen
gerecht würde, im Nahen und Mittleren Osten viel mehr
Ausgewogenheit erfordert. Der Baker-Report dokumentiert den
gegenwärtigen Stand ihrer Überlegungen. Weitere Vorstöße
sind zu erwarten.
In einer interdependenten Welt können die
Vereinigten Staaten nicht allein auf sich gestellt agieren, und sie
tun es auch nicht. Aber sie könnten helfen -indem sie ihren
Einfluss und ihre Mittel einsetzen, Israel dazu zu bringen, wieder
ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern aufzunehmen.
Europa wäre durchaus imstande, zu einem solchen Wandel der
amerikanischen Politik beizutragen - allerdings müssten die
Europäer sich zuvor selbst das Recht zubilligen, an der
Gestaltung des Nahen und Mittleren Ostens als Gleichberechtigte
mitzuwirken. Voraussetzung dafür wäre es, eine sehr
differenzierte und realistische Sicht der Israel-Lobby in den
Vereinigten Staaten zu entwickeln.
Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2007