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Kohlestrom gefährdet Klimaziele
Interview mit Felix Matthes
Herr Matthes, Sie haben in einer Studie ermittelt, dass die klimaschädlichsten Kohlekraftwerke der EU in Deutschland stehen. Wieso wollen Sie nicht, dass diese durch moderne Kohlekraftwerke ersetzt werden? Das würde den CO2-Ausstoß deutlich senken.
Felix
Matthes: Nur 40 Kraftwerke bereits 10 Prozent des gesamten
Treibhausgas-Ausstoßes in der EU. Bis Mitte des Jahrhunderts
müssen diese Emissionen um 80 Prozent sinken. Da sind neue
Kraftwerke, die bestenfalls einen 20 bis 30 Prozent günstiger
liegen als alte, eher ein Teil des Problems als der Lösung. Sie
laufen nämlich 50 Jahre. Werden die 40 derzeit in Deutschland
diskutierten neuen Kohlekraftwerke gebaut, sind die Klimaziele nicht
zu schaffen.
Die Braunkohle ist billig und der einzige
konkurrenzfähige deutsche Energie-Rohstoff. Auf den wollen Sie
verzichten?
Braunkohle ist der Energieträger mit dem höchsten CO2-Ausstoß. Kohle darf zukünftig nur genutzt werden, wenn es gelingt, CO2 abzuscheiden und zu speichern. Aber diese Technologie ist noch nicht breit verfügbar.
An Braunkohle-Abbau und –Verstromung hängen Tausende Jobs. Wollen Sie die Leute arbeitslos machen?
Die gefährlichen Folgen des Klimawandels werden Arbeitsplätze in ganz anderen Größenordnungen vernichten. Wir dürfen nicht veraltete Strukturen konservieren. Im Sektor erneuerbare Energien und durch Energieeinsparung entstehen viel mehr Jobs als bei der Kohle.
Die Emissionen des Kraftwerksektors werden ja durch den Emissionshandel begrenzt. Wenn die CO2-Obergrenze den Klimaschutz-Erfordernissen entspricht, regelt sich die Sache doch von selbst.
Das ist die Theorie. Tatsächlich erhalten neue Kraftwerke in Deutschland fast alle Zertifikate gratis. Die Investoren entscheiden so, als ob es den Emissionshandel nicht gäbe. Steigen die Zertifikatpreise wegen dieser Investitionen und der damit zementierten CO2-Emission zukünftig massiv an, wird der Druck riesig, die Klimaschutz-Ziele aufzuweichen. Das ist eine große Gefahr.
Können die erneuerbaren Energien die Braun- und Steinkohle denn ersetzen?
Es geht ja nicht um einen Umstieg in wenigen Jahren. Der Kraftwerksbestand wird nur langsam erneuert. Kraft-Wärmekopplungsanlagen (KWK), Erdgaskraftwerke, erneuerbare Energien, zukünftig vielleicht CO2-freie Kohlekraftwerke und das Stromsparen haben ein ausreichendes und wirtschaftlich darstellbares Potential. Sechs große Kraftwerke werden in Deutschland alleine für die elektrische Raumheizung betrieben, zwei für den Standby-Verbrauch!
Es entsteht doch eine gewaltige Stromlücke durch den Atomausstieg, an dem Umweltminister Sigmar Gabriel festhalten will. Stromsparen kann sie nicht füllen.
Braucht es alleine ja auch nicht. Es sind ja mehrere Alternativen verfügbar. Der Staat muss nur geeignete Rahmenbedingungen schaffen, die einen echten Preis für das CO2 erzeugen und Investoren zwingen, Klimaschäden in ihre Wirtschaftlichkeitsrechnungen aufzunehmen. Sie wägen dann die Chancen und Risiken der Energieträger ab. Derzeit läuft alles falsch: Weil die CO2-Rechte kostenlos zugeteilt werden, hat Kohlestrom einen großen ökonomischen Vorteil und werden die Umweltvorteile von Erdgas-Kraftwerken oder KWK-Anlagen nicht honoriert.
Minister Gabriels Argumentation, man könne nicht gleichzeitig aus Atom und der Kohle aussteigen, ist falsch?
Sie klingt einleuchtend, ist aber trotzdem ein Pappkamerad. Es geht um einen schrittweisen Umstieg und um neue Technologien. Die Umgestaltung des Emissionshandelssystems oder eine Förderung der KWK-Anlagen würden die richtigen Signale setzen. Dann kann die Kohle beweisen, welchen Platz sie in einer Energiewirtschaft mit 80 Prozent weniger CO2-Emissionen behaupten kann. Denn dieses Ziel steht ja wohl auch auf der Agenda von Minister Gabriel.
Interview: Joachim Wille FR 5/07
Felix Matthes ist
Energieforscher beim Öko-Institut in Berlin. Der Diplomingenieur
und Politikwissenschaftler koordiniert dort seit 1997 den Bereich
Energie und Klimaschutz. Derzeit ist er Gastwissenschaftler am
Massachusetts Institute of technology (MIT) in den USA. Unter der
Leitung von Matthes entstand eine Studie für die Umweltstiftung
WWF, nach der sechs der zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerke
in der EU in Deutschland stehen, zumeist betrieben von RWE und
Vattenfall. Bei allen zehn handelt es sich um
Braunkohlekraftwerke.
Die AG Tierschutz und Ökologie Die
Linke LV Hamburg erklärt diesen Beitrag zum Arbeitspapier.
Dirk
Schrader, Hamburg
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