zurück zur Übersicht – AG Tierschutz und Ökologie DIE LINKE LV Hamburg
Seit
dem 01. April 2006 gilt in Hamburg ein neues Hundegesetz, das von den
Fraktionen der Bürgerschaft (CDU, SPD und GAL) einstimmig
beschlossen wurde.
Um das erklärte Ziel des Gesetzes „mehr
Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger im Umgang
mit Hunden“ zu erreichen, werden Maßnahmen durchgesetzt,
die sehr weit in die Rechte von Hundehaltern eingreifen und in
krassem Widerspruch zum geltenden Bundestierschutzrecht stehen.
Seit
Veröffentlichung des ersten Entwurfs Anfang 2004, wird in
Fachkreisen wie auch in der politischen Öffentlichkeit zunehmend
diskutiert, ob die entsprechenden Regelungen tatsächlich
zweckdienlich sind, also wirklich einen zusätzlichen
Sicherheitsnutzen stiften. Weitere Fragen, wie zum Beispiel die der
Verhältnismäßigkeit müssen gestellt werden, um
die hoch emotional geführte Diskussion zu versachlichen und die
überaus komplexen Probleme in Zusammenhang mit den beschlossenen
Maßnahmen zu verstehen.
Im folgenden möchte ich dazu
einen Beitrag leisten und einleitend anmerken, dass mir kaum ein
anderes aktuelles Hamburg- Thema einfällt, welches die
Notstandssituation „Bürgerschaft ohne Korrektiv“ so
eindeutig und vielfältig illustriert, wie dieses.
„Wir haben ein Vollzugsdefizit, kein Gesetzesdefizit !“
Diese Feststellung ist
alles andere als eine neue Erkenntnis. In den Politikfeldern Innere
Sicherheit, Datenschutz, Rechtspolitik und vielen anderen mehr: Immer
wieder muß darauf hingewiesen werden, dass es für eine
freiheitliche Bürgergesellschaft existentiell wichtig ist, die
Einhaltung bestehender Regelungen zu garantieren, anstatt unter
Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien mehr und mehr und immer
komplexere Regularien zu schaffen. Es sind immer nur einige, die
behördliches Versagen anklagen, wo andere zusätzliche
Gesetze fordern. Und immer nur einige machen sich für
Minderheiten stark, wo andere ihrer Angst vor der eigenen Courage
unterliegen. Es ist der schwierigere Weg, dem Sachverstand von
Fachleuten zu vertrauen, als populären und einfach erscheinenden
Schnell- Lösungen. Das Hamburger Hundegesetz ist geradezu ein
Lehrbuchbeispiel für „Experimentalgesetzgebung“: Wir
machen mal schnell mal ein Gesetz und werden dann schon sehen, was
passiert. Problemursachen werden verschärft, statt gelöst,
Bürokratie wird aufgebläht, statt abgeschafft, Kosten
werden erhöht, statt gesenkt und der Tierschutz wird geschwächt,
statt gestärkt.
Der Fall „Volkan“
Erinnern wir uns: Der
Fall, der bundesweit die Debatte um Hundegesetze und –verordnungen
auslöste, dürfte niemandem entgangen sein. Im Jahr 2000
wurde der 6-jährige Wilhelmsburger Volkan Kaya von dem Kampfhund
Zeus des Halters Ibrahim Külünk grausam totgebissen. Funk
und Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften berichteten wochen- und
monatelang über den Vorfall. Verständlicherweise wurde
allerorts lautstark nach wirksamen Maßnahmen gegen solcherlei
Grausamkeiten gerufen.
Aus heutiger (und in der Tat auch aus
damaliger) Sicht, war der schreckliche Tod von Volkan jedoch durchaus
vermeidbar. Es handelte sich um einen verantwortungslosen Halter, der
sein Tier gezielt zum Kampfhund dressierte, ihn über lange Zeit
auf Wilhelmsburger Kinderspielplätzen scharf machte und dem
Bezirksamt Harburg, der Polizei und der Staatsanwaltschaft seit
langem bekannt war. Külünk führte ein „Leben
nach dem Strafgesetzbuch“ – Körperverletzung,
unerlaubter Waffenbesitz, schwerer Diebstahl, mehrfacher Straßenraub,
Drogenhandel, Hausfriedensbruch; er ließ kaum ein Vergehen aus.
Vor allem aber war das Hund-Halter-Gespann der zuständigen
Behörde längst ein Begriff: Bereits am 11. April 1998, als
Zeus einen Schäferhund und dessen Halterin verletzte, wurde Zeus
dem Amtstierarzt vorgeführt. Das Bezirksamt verordnete ihm
Anleinpflicht. Die Durchsetzung dieser Maßnahme jedoch, wurde
weder von der Polizei, noch vom Ordnungsamt überprüft. Und
so fuhr Külünk fort, seinen Hund zur Waffe
umzufunktionieren. Das Gartenbauamt wechselte regelmäßig
die zerbissenen Kinderschaukeln aus und Anlieger des Spielplatzes
wunderten sich, dass nichts unternommen wurde. Weitere Beißereien
folgten. Im April 2000, nachdem Zeus einen Labradormischling verletzt
hatte, wurde Külünk erneut aufgefordert, seinen Hund beim
Amtstierarzt vorzuführen – ohne Wirkung. Der nächste
Vorfall war dann der Tod des 6- jährigen Volkan.
Leitmotiv „Ruhe im Karton“
Woran lag es, dass nichts
geschah ? Lag es am Fehlen eines Hundegesetzes ? Oder gab es nicht
etwa schon immer eine Gefahrenabwehrverordnung, die ein Einschreiten
des Staates gegenüber Gefährdungen - auch durch Hunde –
ermöglichte ? Nachdem das OVG Magdeburg die Hundeverordnung
Sachsen-Anhalts im Dezember 2002 für ungültig erklärt
hatte, erklärte Innenminister Klaus Jeziorski: "Natürlich
kann und muss auch weiterhin bei jeder konkreten Gefahr durch Hunde
eingegriffen werden." Im Klartext: Auch der Hamburger
Vorfall hätte verhindert werden können, wenn die
vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten nur genutzt worden
wären.
Nach dem Fall „Volkan“ fragte auch die
publizierte Öffentlichkeit folgerichtig, warum so etwas
geschehen musste. Einhellige Antwort der Bürgerschaftsparteien:
„Wir hatten keine Handhabe ! Wir brauchen ein Gesetz !“.
Die Boulevardpresse: „Die Politiker müssen handeln !“,
„Alle Hunde müssen an die Leine !“ und „Kampfhunde
müssen verboten werden“. Politiker und Journalisten
übertrumpften sich gegenseitig mit Forderungen nach möglichst
rigiden Maßnahmen gegen die „ständige Gefahr, die
von der Bestie Hund“ angeblich ausgehe. „Kinder sind
wichtiger als Hunde !“ tönte der SPD- Fraktionsvorsitzende
Michael Neumann und forderte sogleich den „generellen
Leinenzwang für Hamburg“. Die CDU stimmte bereitwillig in
den Kanon ein, ihr sog. „tierpolitischer Sprecher“
Michael Fuchs stellte fest: „Wir brauchen vor allem schnell
Ruhe im Karton !“ (Anm.: Karton = Presse).
Um etwaige
Missverständnisse von vornherein auszuschließen: Die weise
Erkenntnis Neumanns, dass Kinder einen höheren Stellenwert
haben, als Hunde, wird – zumindest von mir als Hundehalter und
Vater einer 9-jährigen Tochter – keinesfalls bestritten.
Die Fiktion eines real nicht existierenden Konfliktverhältnisses
„Kind vs. Hund“ jedoch, ist nicht nur eine absichtliche
Vermeidung von Sachlichkeit (á la „Terrorabwehr ist
wichtiger als Datenschutz“), sondern – schlimmer noch -
reine Demagogie. Die Intention ist folgende: „Wer gegen das
Hundegesetz ist, der ist auch gegen Kinder“ – so die
Aussage. Damit verbietet sich wohl jede Frage nach der Wirksamkeit
der Maßnahmen, jede Kritik am Hundegesetz. Basta.
Also
wurde beschlossen und verkündet: Rasselisten (zur Bestimmung der
Gefährlichkeit) und Genereller Leinenzwang (zum Schutz vor
Beißvorfällen durch Kontrolle des Halters) sollen helfen.
Weitere Bestimmungen folgten. Die Landes- und Bundestierärztekammer,
renommierte Verhaltensforscher, Universitäten sowie zahlreiche
Fach- und Interessenverbände boten wiederholt und bereitwillig
ihre Beratungsleistung für ein tierschutzkonformes (und damit
sicheres) Gesetz an – in Niedersachsen mit Erfolg, in Hamburg
leider vergeblich. „Schnell Ruhe im Karton“ ist eben
besser zu erreichen, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse als
Störfaktoren unterbleiben. Zur Rechtfertigung des Vorhabens
wurde auch der „Hamburger Tierschutzbeirat“
(institutionalisierter Pseudo- Tierschutz an der kurzen Leine des
Senats) bemüht. Dieser stimmte dem Leinenzwang zu, forderte aber
kompensatorisch die Einrichtung von „Freilaufflächen in
ausreichender Anzahl“, damit eine art- und wesensgerechte
Haltung von Hunden in Hamburg nicht gänzlich unmöglich
werde. Somit fand auch diese Forderung Eingang ins Gesetz, allerdings
nur als Kann- Regelung; die Ausweisung und Pflege geeigneter Flächen
soll durch die einzelnen Bezirke erfolgen – ohne
Rechtsverpflichtung, ohne Spezifikation (was ist geeignet ?) und ohne
Finanzierungsmodell. Zusätzlich wird eine scheinbare
Befreiungsmöglichkeit vom Leinenzwang angeboten: Wer eine
Gehorsamsprüfung ablegt, darf (nur) auf öffentlichen
Straßen und Wegen – zunächst befristet für ein
Jahr – seinen Hund ableinen. Inzwischen ist auf Bezirksebene
auch den Sozialdemokraten (roter, grüner und schwarzer Couleur)
klar, dass das Versprechen nicht gehalten werden kann.
Freilaufflächen existieren nur in viel zu geringer Anzahl, sie
sind oft in einem bemitleidenswerten Zustand und daran wird sich
aller Voraussicht nach auch nicht mehr viel ändern.
Antworten der Fachwelt
Wir
nehmen mit der eindeutigen Ablehnung von Rasselisten und Leinenzwang
keine exotische oder gar radikale Minderheitenposition ein – im
Gegenteil: Wir stützen uns auf die einhelligen und
unmissverständlichen Aussagen der Fachwelt. Unzählige
Verlautbarungen der Bundestierärztekammer, der Hamburger
Tierärztekammer, von Verhaltensforschern, Universitäten und
Organisationen, sprechen eine einheitliche Sprache:
Eine „Hunderasse“ ist keine Rasse im biologischen Sinne. Es sind unter den Hunderassen keinerlei genetische Unterschiede nachweisbar, es handelt sich ausschließlich um eine Typisierung nach äußeren Merkmalen. Zahlreiche Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern belegen, dass keine Hunderasse signifikant häufiger beißauffällig wird, als andere. Stattdessen korreliert die Wahrscheinlichkeit eines Beißunfalls mit der Häufigkeit des Vorkommens / Größe der Population.
Der dauerhafte Entzug von Freilaufmöglichkeiten wirkt sich negativ auf das Aggressionsverhalten von Hunden aus. Der generelle Leinenzwang ist daher für das Ziel „Sicherheit“ kontraindiziert.
Frau Dr.
Feddersen-Petersen (Universität Kiel), bundesweit anerkannte
Fachtierärztin für Verhaltenskunde und gerichtszugelassene
Fachgutachterin, schreibt dazu eindrucksvoll:
Leinen- und
Maulkorbzwang für bestimmte Hunderassen ist aus dem
Tierschutzgedanken heraus abzulehnen. Der scheinbare Vorteil einer
generellen Anleinpflicht besteht in der vordergründigen
Vorstellung, ein ständig angeleinter Hund befände sich
automatisch unter der Kontrolle seines Menschen. Dabei wird völlig
vergessen, daß Hunde als hochentwickelte soziale Lebewesen nur
im Rahmen und zugleich auch unter dem Diktat ihrer biologischen
Grenzen existieren können. Es ist natürlich nicht möglich,
die Probleme, die sich aus dem Zusammenleben von Mensch und Hund
ergeben, ausschließlich durch technische Maßnahmen, so in
Form einer Sicherheitsleine, zu lösen.
Jeder
qualifizierte Ansatz zur Lösung dieses Problems muß
gewissenhaft die biologischen Ansprüche von Hunden
berücksichtigen, Ansprüche, die von Hunden an ihre Umwelt
gestellt werden, damit sich diese normal und damit auch im Sinne des
Menschenschutzes ungefährdet entwickeln können. Nur unter
Beachtung und Achtung der hundlichen Verhaltensbedürfnisse kann
die zu Recht geforderte Sicherheit der Menschen gewährleistet
werden. Technische Hilfsmittel wie Hundeleinen können versagen,
nur gut menschensozialisierte Hunde mit einer Bindung an ihren Halter
können nach entsprechender Erziehung recht sicher vorhersagbar
und einschätzbar reagieren. Dazu bedarf es keiner Leine. Daß
in bestimmten Situation wie beispielsweise auf einem Kinderspielplatz
dennoch eine Leine angelegt werden sollte, ist
selbstverständlich.
Hunde verfügen über ein
ausgeprägtes Bewegungsbedürfnis. Wenn man einem Hund
ausschließlich die Möglichkeit zur Fortbewegung bietet,
indem man ihn mit einem Menschen "zusammenbindet", nimmt
man ihm jede Gelegenheit, seinen Bewegungsansprüchen
nachzukommen. Auch eine Radfahrt mit einem angeleinten Hund bietet
keine echte Alternative.
Über die reine Fortbewegung
hinaus nehmen Hunde, während sie einen Weg zurücklegen,
eine kaum überschaubare Anzahl von Umgebungsreizen wahr, auf die
sie in adäquater Weise reagieren müssen. Dabei geht die
Wahrnehmung eines Geruchs weit über die bloße Reizaufnahme
hinaus. Es existiert für Hunde ein natürliches Bedürfnis
zur Informationsaufnahme, und natürlich bezieht sich dieses
Bedürfnis nicht nur auf ein und dieselbe Reizqualität. Für
Hunde, die ständig einen Beißkorb tragen müssen,
entfällt die Möglichkeit, einen Großteil angeborener
Verhaltensweisen ausführen zu können, was neben der
Tierschutzrelevanz nicht ungefährlich ist, da so Aggressivität
aus Frustration entsteht, sich über längere Zeit auch
beständige Verhaltensfehlentwicklungen oder gar –störungen
entwickeln können.
Hunde brauchen Abwechslung in der
Umgebung, in der sie sich bewegen, andernfalls müssen sich
Verhaltensstörungen aufgrund mangelnder unspezifischer
Umweltreize entwickeln. Ein ständig angeleinter Hund kann sich
nur auf Strecken bewegen, die sein menschlicher Begleiter unter rein
menschlichen Aspekten auswählt. Durch den Leinenzwang verringert
sich automatisch die erfahrbare Reizvielfalt für den Hund, da
die Reizauswahl vom Menschen vorgenommen wird und nur ein
verschwindend geringer Teil der für den Menschen relevanten
Umweltreize eine Bedeutung für den Hund besitzt.
Intensive
und häufige Kontakte zu den Artgenossen sind ein weiteres
wichtiges Element im Hundeleben. Fehlen diese Kontakte, kommt es zu
Verhaltensstörungen durch sozialen Erfahrungsentzug. Diese Tiere
bilden ein Gefahrenpotential, da sie Angst haben und allgemein
schneller zubeißen als sichere Tiere.
Hunde müssen
von frühester Jugend an soziale Fertigkeit lernen. Hunde die
ohne diese sozialen Erfahrungen aufwachsen, zeigen oft ein
schwerwiegend gestörtes Verhalten nicht allein im Umgang mit
Artgenossen, sondern vielfach auch im Umgang mit Menschen. Angeleinte
Hunde können soziale Kontakte zu Artgenossen nur bedingt und
unter starken Einschränkungen ausführen. Dies gilt
verstärkt für Hunde mit Maulkorbzwang, der allen
natürlichen Verhaltensprogrammen widerspricht. Die dabei
üblichen Rituale sind für einen maulkorbtragenden Hund
unmöglich. Gesteigerte Aggressivität kann das Ergebnis der
daraus resultierenden Schäden sein. Damit steigt die potentielle
Gefährlichkeit dieser restriktiv gehaltenen Hunde im Ergebnis
an. Dem Menschenschutz ist damit wahrlich nicht gedient.
Hunde
betreiben oft ausgedehnte Rennspiele, bei denen sich die Tiere mit
wechselnden Rollen gegenseitig hinterherlaufen. Angeleinte Hunde
können ihre Distanz zum Partner kaum regulieren. So ist es ihnen
unmöglich, einer sozialen Bedrängnis zu entgehen. Dies
führt häufig zu einem Abwehrschnappen, das sich zu einer
Beißerei entwickeln kann, die ohne Leine ausgeblieben wäre.
Unter angeleinten Hunden mit Maulkorb wird deshalb häufiger
zugebissen.
Der Mensch greift ständig – auch
ungewollt – in die Begrüßung und die
Auseinandersetzung angeleinter Hunde ein, die so ganz anders agieren
und reagieren als ohne direkte Verbindung zum menschlichen
Sozialkumpanen. In der Regel wird die Aggressivität gesteigert.
Wahrscheinlich ergibt sich aus der generellen Anleinpflicht für
manchen Menschen ein erhöhtes Risiko.
Der Wärmeregulation
wird bei ständigem Tragen eines Maulkorbs nicht genüge
getan. Gerade Rassen mit hohem Bewegungsdrang und großer
Aktivität leiden nicht selten unter Kreislaufstörungen oder
erliegen gar einem Kreislaufkollaps. Dies macht den Schaden und das
Leiden für das Tier offenkundig.
Ein genereller
Maulkorbzwang verstößt daher ebenso wie ein genereller
Leinenzwang gegen die §§ 1 und 2 des Tierschutzgesetzes und
kann somit in keiner Weise befürwortet werden.
Der Preis der Ignoranz
Die gesetzlich verordneten Maßnahmen betreffen nicht nur Hundehalter, sondern letztlich alle Bürgerinnen und Bürger Hamburgs als Steuerzahler. Die Rechnung ist lang:
Bürger- und
Freiheitsrechte
Das geplante Gesetz greift massiv und
ungerechtfertigt in das Eigentumsrecht der Hamburger Hundehalter ein.
Bürokratie
Das
geplante Gesetz führt zu einem immensen bürokratischen
Verwaltungsapparat. Das Ziel „Bürokratieabbau“ wird
eindeutig konterkariert.
Datenschutz
Ein
neues und aufwendiges Zentralregister speichert Daten Hamburger
Hundehalter zum Abgleich mit Datenbanken anderer Behörden.
Regelungen zur Vermeidung von Missbrauch existieren nicht.
Staatsausgaben
Die
Kosten für die Durchsetzung der geplanten Bestimmungen sind
unverantwortlich hoch. Zusätzlich sind unkalkulierbare
Folgekosten zu befürchen. Die Gesamtbelastung des öffentlichen
Haushalts beträgt nach Schätzung der Bundestierärztekammer
mindestens 2,5 Mio Euro (Einrichtung und Unterhaltung der
Freilaufflächen, Aufstockung und Unterhaltung des SOD,
Anschaffung und Wartung von Chiplesegeräten, Einrichtung und
Pflege eines Zentralregisters, u.s.w.)
Tierschutz
Das
Gesetz steht im Widerspruch zum Bundestierschutzgesetz. Dieses
genießt seit 2002 Verfassungsrang (Art. 20a GG).
Föderalismus
Die
Hansestadt Hamburg geht – entgegen den Regelungen anderer
Bundesländer – einen Sonderweg. Hamburger Bürger
werden gegenüber Bürgern anderer Bundesländer extrem
benachteiligt.
Staatlicher
Aktionismus / „Regulierungswut“
Das Gesetz stiften
keinen Nutzen, verursacht aber Schaden.
Einzelne Regelungen, die
sinnvoll erscheinen (Kotbeseitungungspflicht etc.), sind ohnehin voll
gültig. Leine und Maulkorb haben schließlich keine
Auswirkung auf die Stoffwechseltätigkeit.
Vollzugsdefizit statt
Gesetzesdefizit
Die vorgefallenen Beißunfälle, die
als Rechtfertigung für die Regelungen des Gesetzes dienen, wären
durch entsprechendes Handeln der zuständigen Behörden zu
verhindern gewesen. Die Fiktion eines Gesetzesdefizits täuscht
nur über das Versagen der Behörden hinweg.
Rechtsstaatlichkeit
Die
gesetzlichen Regelungen sind weder erforderlich, noch geeignet, schon
gar nicht verhältnismäßig. Für diverse Züchter
wirkt das Gesetz faktisch als Berufsverbot. Halter von Hunden werden
vor die Wahl gestellt, ob sie lieber gegen das (Landes-) Hundegesetz,
oder gegen das (Bundes-) Tierschutzgesetz verstoßen wollen.
Wissenschaft
Die
gesamte Fachwelt lehnt die Bestimmungen des Gesetzes ab. Die
Rasselisten sind nicht begründbar, der Leinenzwang ist nicht nur
wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Denn das Aggressionsverhalten
von Hunden wird durch dauerhaften Entzug von Freilaufmöglichkeiten
negativ beeinflusst. Lediglich der senatskontrollierte,
hochsubventionierte „Hamburger Tierschutzbeirat“ stellt
sich gegen alle Fachverbände und „echten“
Tierschutzorganisationen. So kann der Hamburger Senat immer wieder
öffentlich behaupten: „Der Tierschutz steht hinter uns“.
Gesellschaft
Bereits
jetzt hat die – zumeist sehr unsachlich geführte –
Diskussion um Hunde als „mordende Bestien“ zu einer
massiven Anti- Hundehalter- Stimmung in Hamburg geführt.
Rechtstreue Bürger werden wie Kriminelle behandelt und für
das Fehlverhalten Einzelner pauschal verurteilt. Für immer mehr
Menschen werden Spaziergänge mit dem Vierbeiner zum
Spießrutenlauf. Scharen von SOD- Häschern (Städtischer
Ordnungsdienst) stellen Bürgern mit Hund in Raubrittermanier
nach, um sie bei Betreten von Grünflächen abzukassieren.
Die Stimmung verschlechtert sich zunehmend; offensichtlich
beeinflusst der Leinenzwang mittelbar auch das Aggressionsverhalten
von Menschen negativ.
Wirtschaft
Die
geplanten Maßnahmen werden zahlreiche Menschen dazu
veranlassen, auf Hundehaltung zu verzichten. Neben jährlichen
Steuereinnahmen in Höhe von rund 3,3 Mio. Euro allein für
die Hansestadt Hamburg, halten Hunde eine ganze Industrie am Leben:
Hundefutter, Hundespielzeug, Halsbänder und Leinen, Körbchen
und Decken sowie zahlreiche mehr oder minder sinnvolle Utensilien
gehen tagtäglich über die Ladentische großer und
kleiner Einzelhändler - Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
924 Mio. Euro setzen die deutschen Hundehalter im Jahr allein für
Hundefutter um, davon gehen 68 Prozent an den
Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte und Discounter. Hinzu
kommen noch einmal 121 Mio. Euro für Hundezubehör, von
denen zu 85 Prozent der Fachhandel mit rund 10.000 Beschäftigten
lebt. In den bundesweit 72 Betrieben der Heimtier-Futter-Industrie
sind nochmals mehr als 10.000 Menschen beschäftigt.
Allein
in der Hansestadt leben 124 Tierärzte und ihre Mitarbeiter auch
von den Hunden dieser Stadt.
Sinnvolle Alternativen
Der Aufgabe der Politik sollte es sein, in Zusammenarbeit mit der Fachwelt sinnvolle Lösungen für das Problem „Beißvorfälle“ zu erarbeiten. Folgende Eckpunkte als Vorschlag:
Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Begutachtung auffälliger Hundehaltungs- Situationen und Durchsetzung tierschutzkonformer Bedingungen, Verpflichtung von Hundehaltern zu art- und wesensgerechter Hundehaltung.
Ersatzlose Streichung der Rasselisten
Abschaffung des „generellen“ Leinenzwangs. Anleinpflicht nur auf Kinderspielplätzen, Marktplätzen und an weiteren Orten, wo es sachlich begründet ist
Verzicht
auf Gehorsamsprüfung, stattdessen Angebot einer „echten“
Sachkundeprüfung mit dem positiven Anreiz „Befreiung von
der Hundesteuer bei Bestehen“
Die Geister, die ich rief…
Als besonderes
Schelmenstück des Senats muß das aktuelle Dilemma um die
41 sogenannten Kampfhunde bezeichnet werden, die seit geraumer Zeit
im Tierheim Süderstraße „einsitzen“ und
infolge der Hamburger Rechtslage so gut wie unvermittelbar sind.
Die
Gesundheitsbehörde (siehe Abendblatt- Meldung vom 17. Mai 2006)
strebt an, die Tiere nach Niedersachsen zu vermitteln. Die
vorgetragene Begründung ist ebenso einleuchtend, wie entlarvend:
„In Niedersachsen haben die Hunde bessere Vermittlungschancen“.
Das muß man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Hunde werden wegen ihrer Rasse als gefährlich
eingestuft, doch offenbar nur in Hamburg. Sobald sie die Grenze zu
Niedersachsen passieren, mutieren sie anscheinend zu braven
Schoßhündchen. So einfach ist das. Es sollte geprüft
werden, ob Ortswechsel- bedingte Spontanheilungen auch bei
Staatsräten und Bürgerschaftsabgeordneten möglich
sind. Bundesländer, die sich beraten lassen und Fehler
vermeiden, sollen dafür noch bestraft werden. Das nur als
Bigotterie zu bezeichnen, wäre wohl blanker Euphemismus.
Thema Hundegesetz: Chancen und Risiken
Die
Anzahl der Hunde in Hamburg wird ca. 60.000 bis 80.000 geschätzt.
Die Haltung der Parteien zu diesem Gesetz – besser gesagt: zur
Aufgabe verfassungsmäßiger Rechte -, kann somit das
Wahlverhalten von über 120.000 Wählern stark beeinflussen.
Bemerkenswert ist übrigens, daß die neue Kusch- Partei
„Heimat Hamburg“ lautstark Einwände gegen das Gesetz
erhebt. Der ehem. Justizsenator muß sich allerdings fragen
lassen, wie denn die absolute Einstimmigkeit zustande kam, wenn
ausgerechnet der zuständige (und mitbestimmende) Ressortleiter
dagegen war.
Es ist nicht zu akzeptieren, wenn Bundesrecht von
Verfassungsrang durch die Willkür und Ignoranz eines Bundeslands
ausgehebelt wird. Wenn wir uns dagegen nicht zur Wehr setzen, was
wird als nächstes passieren ? Da die gesetzlichen Bestimmungen
ja – wie gesagt – zwangsläufig zu einer Eskalation
der Probleme führen werden, sind weitere Gesetzesverschärfungen
schon vorprogrammiert. Wer weiß, welche Phantasien dazu schon
jetzt in den Köpfen einzelner selbsternannter Experten
herumgeistern.
Ein Risiko besteht allerdings: Einzelne Medien
(insbesondere die Boulevardpresse) haben die geplanten Bestimmungen
massiv und kampagnenartig gefördert. Jeder, der gegen das Gesetz
vorgeht, wird möglicherweise von negativer Berichterstattung
bedroht sein. Einzelne Politiker (z.B. CDU-Fuchs, SPD-Neumann) haben
bereits öffentlich eingestanden, daß sie „befürchten,
ihr Konterfei neben dem Bild des nächsten totgebissenen Kindes“
in den Zeitungen zu erblicken, wenn sie nicht entsprechend handeln.
Diese Herrschaften haben ihre Gehorsamsprüfung jedenfalls mit
Prädikat bestanden.
Meine bisherige Erfahrung ist allerdings
die, dass jegliche Berichterstattung über unsere – zum
Teil sehr erfolgreichen – Aktionen konsequent vermieden wird.
Doch das kann sich schnell ändern. Wenn uns das aber von
weiteren Anstrengungen abhält, dann sind wir erpreßbar und
werden weitere „Kröten“ schlucken. Wenn wir jetzt
aber nicht als Büßer „auf die Knie gehen“ und
gestehen „Die Erde ist eine Scheibe“, dann wird sich über
kurz oder lang auch das Bild in der Boulevardpresse ändern. Denn
dieser kann man gewiß vieles vorwerfen, aber ganz bestimmt
keinen Mangel an Meinungsflexibilität.
Die
AG Tierschutz und Ökologie Die Linke LV Hamburg erklärt
diesen Text zum Arbeitspapier.
Dirk Schrader, Hamburg
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