zurück zum Index

zurück zur Übersicht – Noam Chomsky.html



Stalin und US-Terror


Einer der Hauptgründe für den Kalten Krieg war, ich wiederhole es, die Tatsache, dass Russland nicht länger Dienstleister für den Westen war, sondern einen unabhängigen Kurs verfolgte. Üblicherweise wird dagegen die Ansicht vertreten, dass wir den sowjetischen Terror bekämpfen wollten, aber das ist völliger Unsinn. Angesichts unserer eigenen Leistungen auf diesem Gebiet sollten wir diese Meinung nicht äußern, ohne uns über uns selbst lustig zu machen. Haben wir den indonesischen Terror in Ost-Timor bekämpft? Bekämpfen wir den Terror in Guatemala und El Salvador? Haben wir den Terror in Südvietnam bekämpft? Nein, wir unterstützten den Terror und, schlimmer noch, wir sorgen dafür, dass er überhaupt erst ausgeübt werden kann.

Werfen wir nur einen Blick auf die US-amerikanische Entwicklungshilfe. Zu diesem Thema gibt es viele Untersuchungen, auch von Autoren, die im Mainstream arbeiten. Sie zeigen, dass zwischen Entwicklungshilfe und Menschenrechtsverletzungen eine sehr enge Verbindung besteht. Vor fünfzehn Jahren veröffentlichte Lars Schoultz von der University of North Carolina - einer der führenden Spezialisten für Menschenrechte in Lateinamerika und ein anerkannter Wissenschaftler - eine Studie, in der er die hohe Korrelation zwischen Entwicklungshilfe und Folter nachwies: Je mehr ein Land, so führte er aus, seine Bürger foltern lasse und die Menschenrechte verletze, desto höher fielen die US-amerikanischen Hilfsleistungen aus.

Das gilt auch für die unmittelbare Gegenwart. Der bei weitem führende Menschenrechtsverletzer in der westlichen Hemisphäre ist im Augenblick Kolumbien mit seinen „sozialen Säuberungsprogrammen“: Vor jeder Wahl werden Angehörige von Oppositionsparteien, Gewerkschaftsführer, Studenten, Dissidenten von den allgegenwärtigen Todesschwadronen ermordet. Deshalb geht mehr als die Hälfte der gesamten US-amerikanischen Entwicklungshilfe für Lateinamerika an Kolumbien, und Clinton hat die Leistungen noch einmal erhöht. Das ist ganz normal, und ähnliche Vorkommnisse sind auch in anderen Teilen der Welt nachweisbar. Mithin ist die Behauptung, wir seien um die Einhaltung der Menschenrechte besorgt, nicht ganz einfach zu begründen, weil gerade in den Regionen, die wir am besten kontrollieren, die schlimmsten Dinge geschehen - Menschen müssen ihre Organe verkaufen, um überleben zu können, Mordmilizen hängen enthäutete und verstümmelte Leichen in die Bäume am Straßenrand, Kinder werden versklavt, und das sind noch nicht einmal die schrecklichsten Untaten.

Stalin wiederum wurde von den führenden Politikern des Westens bewundert; sein Terror kümmerte sie gar nicht. Präsident Truman z.B. hielt ihn für >aufrichtig< und meinte, wir könnten gut mit ihm auskommen; > sein Tod wäre eine wahre Katastrophe<. Was in der Sowjetunion vorging, interessierte ihn nicht, solange > wir in 85 Prozent aller Fälle unseren Willen durchsetzen können<. Auch Winston Churchill war des Lobes voll; nach der Konferenz von Jalta im Februar 1945 bezeichnete er Stalin in einer internen Kabinettssitzung als Mann von Ehre, dem wir vertrauen können, als >Friedensstifter< usw. Besonders beeindruckt war er davon, als britische Truppen in Griechenland einmarschierten und auf Churchills Befehl hin Athen wie eine >eroberte Stadt behandelten, in der eine lokale Rebellion stattfindet<. Die Briten verübten Massaker, um den griechischen Widerstand gegen die Nazis zu brechen und die NS-Kollaborateure an die Macht zurückzubringen. Stalin ließ die Briten gewähren, weshalb er für Churchill ein wirklich feiner Kerl war.

Diese westlichen Politiker scherten sich nicht um Stalins Verbrechen - und im Übrigen auch nicht um Hitlers Untaten. Von einer prinzipiellen Gegnerschaft des Westens gegenüber dem Nationalsozialismus und Faschismus zu sprechen, ist, wie ein Blick auf entsprechende Dokumente zeigt, Tatsachenfälschung.