zurück zur Übersicht – Noam Chomsky.html
Die Fünfte Freiheit
Während die
Herrschenden einen Zustand schaffen, der sich in wachsendem Maß
-
im Hinblick auf gesamtwirtschaftliche Vorgänge, soziale
Verwerfungen und die Zerstörung des Planeten bis in die
Stratosphäre hinein - jeder Kontrolle entzieht, schlagen sie
gleichzeitig eine Klassenschlacht, in der es darum geht, die
Öffentlichkeit, die besitzlose Mehrheit, umfassend zu entrechten
und so weit wie möglich von der Verfügungsgewalt über
die entscheidenden gesellschaftlichen Prozesse auszuschließen.
Das
Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts und, wie wir leider schon
voraussagen können, der Beginn des Einundzwanzigsten
Jahrhunderts sind damit charakterisiert von einem weltweiten Angriff
auf die zentralen Prinzipien der französischen Revolution und
der Aufklärung, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Dabei wird der Angriff auf Gleichheit und wie wir heute statt
„Brüderlichkeit“ sagen würden, Solidarität
oder Geschwisterlichkeit im Namen der ersten der Prinzipien, der
Freiheit geführt.
Spätestens seit dem Zweiten
Weltkrieg ist „Freiheit“ das Hochwert- und Flaggenwort,
mit dem die industriellen Demokratien ihren Macht- und
Herrschaftsanspruch nach innen und außen schmücken.
Die
kapitalistischen Gesellschaften des Westens haben die Verteidigung
der bürgerlichen Freiheiten, wie sie auch in den ersten 21 der
30 Artikel der 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte niedergelegt sind, auf ihre Fahnen geschrieben, und
innerhalb ihrer eigenen Grenzen und für ihre
eigenen
Staatsbürger gelten diese Freiheiten bisher
tatsächlich weitgehend.
Die Artikel 22 bis 29, in denen
von den sozialen Menschenrechten die Rede ist, haben den Herrschenden
dieser Länder jedoch schon immer als überflüssiges
Beiwerk gegolten. Und außerhalb der Metropolen waren auch die
in den Artikeln festgelegten Rechte und Freiheiten für sie schon
immer dann ein Hindernis, wenn sie mit dem kollidierten, was Noam
Chomsky einmal die „Fünfte Freiheit“ genannt hat:
„eine Freiheit, die nicht von Präsident Roosevelt
verkündet worden ist, als er die berühmten Vier Freiheiten
formulierte, die als Kriegsziele der westlichen Alliierten im Zweiten
Weltkrieg hervorgehoben wurden: Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit,
Freiheit von Mangel und Not, Freiheit von Furcht.“
Diese
Freiheit bezeichnet Chomsky als „die Freiheit zu Raub und
Ausbeutung.“
Die Geschichte Mittelamerikas und der
Karibik - und nicht allein dieser Regionen - enthüllt die wahre
Bedeutung dieser schönen Worte: sie sind ein Mittel, um
öffentliche Unterstützung für Kreuzzüge zur
Verteidigung der Fünften Freiheit zu erlangen, der einzigen
(Freiheit), die wirklich zählt.
Aus Die Politische
Ökonomie der Menschenrechte Trotzdem Verlag
Essays Noam
Chomsky