Die globale Ausbreitung von Krankheiten
Vogelgrippe - Zugvögel nicht verantwortlich !
Vor
über 20 Jahren haben führende Forscher in einer Reihe von
Büchern vor neuen und wiederaufkommenden Krankheiten gewarnt.
Die Globalisierung destabilisiere die Umwelt im globalen Maßstab
und verursache ökologische Veränderungen, die das
Gleichgewicht zwischen Menschen und ihren Mikroben wahrscheinlich in
einer Weise verschiebe, die neue Seuchen heraufbeschwören
könne.
Ein wichtiges Beispiel für
Infektionskrankheiten ist die Grippe. Ihr Ursprung liegt in dem
einzigartig produktiven Landswirtschaftssystem des südlichen
China mit seiner langen und engen ökologischen Verbindung
zwischen Wildvögeln, Hausvögeln, Hausgeflügel,
Schweinen und Menschen.
Jetzt haben wir die Vogelgrippe: Auf der
einen Seite verschafft die moderne Welt ihr optimale
Verbreitungsbedingungen; andererseits hat auch das Wachstum der armen
Städte den Proteinbedarf zur Ernährung der Menschen
gesteigert, und dieser Bedarf kann nicht länger durch die
herkömmlichen Proteinquellen gedeckt werden. Er wird durch die
industrialisierte Nutztierproduktion gestillt.
Das bedeutet
schlicht und einfach die Urbanisierung des Nutzviehs. Statt um die 15
oder 20 Hühner im Hinterhof oder ein paar Schweine beim Bauern
geht es heute – beispielsweise in der Umgebung von Bangkok mit
seinem Geflügelzuchtgürtel, der ganz ähnlich aussieht
wie seine Gegenstücke in Arkansas oder im nordwestlichen Georgia
– um Millionen von Hühnern, die in Speicherhäusern,
in Fabriken zur Tierproduktion auf dem Lande leben. Eine solche
Konzentration von Vögeln hat es in der Natur niemals gegeben.
Sie begünstigt die maximale Virulenz und die beschleunigte
Entwicklung von Krankheiten.
Gleichzeitig hat man überall
in der Welt Feuchtgebiete trocken gelegt und Wasser umgeleitet, in
der Regel zu Gunsten landwirtschaftlicher Bewässerungssysteme,
und auf diese Weise Wandervögel auf bewässerte Felder,
Reisfelder und Farmen getrieben. All dies – die
Revolutionierung der Nutztierhaltung, die wachsende städtische
Nachfrage speziell nach Geflügel (die Proteinquelle Nummer zwei
des Planeten), das Wachstum der Slums und die Reduzierung der
Feuchtgebiete – vollzog sich in den vergangenen 10 bis 15
Jahren in besonders hohem Tempo.
Und vor all dem haben uns,
über eine Generation ist es her, Spezialisten für
Infektionskrankheiten gewarnt. Wir haben es mit einer besonders
radikalen Form ökologischer Störung zu tun, welche die
Ökologie der Grippen ebenso verändert, wie die Bedingungen,
unter denen Tierkrankheiten auf Menschen übergreifen.
Zudem
vollzog sich das Ganze in einer Zeit, in der sich das öffentliche
Gesundheitswesen in den Städten in großen Teilen der
Dritten Welt massiv verschlechtert hat. Zu den Konsequenzen der
Strukturanpassungen in den 80er Jahren gehörte es, dass
hundertausende Ärzte, Krankenschwestern und andere Beschäftigte
des öffentlichen Gesundheitswesens sich zur Auswanderung
gezwungen sahen und etwa Kenia oder die Philippinen verließen,
um in England oder Italien zu arbeiten.
Wir haben es hier mit
einer Formel für biologische Katastrophen zu tun, und bei der
Vogelgrippe handelt es sich bereits um die zweite Pandemie der
Globalisierung. Heute ist klar, dass HIV/Aids zumindest teilweise
durch den Handel mit Bushmeat (dem Fleisch wild lebender Tiere)
entstand, als die Westafrikaner sich gezwungen sahen, auf Bushmeat
zurückzugreifen, weil europäische Fischfabrikschiffe den
Golf von Guinea regelrecht leer fischten und damit die
herkömmlicherweise wichtigste Proteinquelle für die
Ernährung der Städter wegfiel.
Es gibt auch die auf eine
Menge Beweismaterial gestützte These, dass Aids wahrscheinlich
in Kinshasa im Kongo eine kritische Masse erreicht hat – in
einer großen Stadt also, die das jüngste Beispiel dafür
liefert, was passiert, wenn das Staat zusammenbricht oder kollabiert
bzw. sich zurückzieht.
Neben HIV und Vogelgrippe gibt es
mit SARS eine weitere Krankheit, die auf den Bushmeathandel
zurückgeht, diesmal in den Städten Südchinas, und die
sich mit Furcht erregendem Tempo weltweit verbreitet. So sieht die
Zukunft der Krankheiten in einer Welt der Slums aus. Dass so etwas
wie die Vogelgrippe auf die Menschheit übergreift, erscheint so
gut wie unausweichlich angesichts der Kombination des globalen Slums
mit den gewaltigen Verschiebungen der Ökologie von Mensch und
Tier.
Noch beunruhigender als die bloße Gefahr einer
Seuche wie der Vogelgrippe ist jedoch die Reaktion auf diese: die
unverzügliche Hortung von Impfstoffen und antiviralen
Präparaten, die exklusive Beschäftigung mit dem
Gesundheitsschutz der Bevölkerung einer Hand voll reicher
Länder, die gleichzeitig die Produktion der entsprechenden
Medikamente monopolisieren. Anders ausgedrückt: das fast
reflexhafte Abschreiben der Armen, auf die man kaum einen Gedanken
verschwendet.
Mike Davis, PHD, Publizist, Professor für Geschichte an der University of California in Ivine