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Horst Köhler

Horst Köhler hat es meisterhaft geschafft, als unverbrauchte politische Kraft zu erscheinen; er kam vom Olymp des Internationalen Währungsfonds und konnte so tun, als habe er nichts mit der jetzigen wirtschaftlichen Misere, nichts mit der Arbeitslosigkeit, nichts mit den Schwierigkeiten, aus der Rezession herauszukommen und schon gar nichts mit den hohen Schulden zu tun.

Dass er als Staatssekretär im Finanzministerium in der entscheidenden Phase von 1990 bis 1993 mitverantwortlich war für die falsch geplante Währungsunion, für die Plünderung der Sozialkassen, für das Verschleudern von öffentlichem Vermögen im Zuge der Vereinigung .. und für den Maasricht-Vertrag mit allen Konsequenzen für die Stagnation in Europa, ist aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden – und keiner spricht darüber.

An der Aufrechterhaltung dieser selektiven Wahrnehmung wirkt Horst Köhler kräftig mit. So hat er zum Beispiel am 15. März 2005n auf einem Arbeitgeberforum in einer als >>Köhlers Brandrede<< vermerkten Ansprache den hohen Schuldenstand und die >>Erblast für unsere Kinder und Enkel<< beklagt, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass diese hohen Schulden auch etwas mit der Belastung durch den Vereinigungsprozess zu tun haben. Ganz zu schweigen davon, dass er seine Mitverantwortung für die schuldentreibenden Fehler im Vereinigungsprozess erwähnen würde.

Horst Köhler beklagt die >>Erblast<< und macht dabei klar, dass er auch bereit ist, zu unseriösen Mitteln der Irreführung zu greifen: Die Massenarbeitslosigkeit sei kein konjunkturelles, sondern vorwiegend ein strukturelles Problem. (Köhler ist immer auf Linie.) Dies alles spiegele sich auch im Stand der Schulden und künftigen Lasten wider. Diese beziffert er auf 7,1 Billionen Euro. Wörtlich: „Das entspricht 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.“

Das ist eine maßlose und unsachgemäße Übertreibung, die wir bei dem Bundespräsidenten immer wieder erleben und beispielsweise schon vor seiner Begründung zur Auflösung des Bundestages her kennen. Im Konkreten Fall kommt er zu der hohen Belastung von 7,1 Billionen Euro nur dadurch, dass er Anwartschaften in der Sozialversicherung in Höhe von 5,7 Billionen Euro zum aktuellen Schuldenstand des Staates von 1,4 Billionen Euro hinzurechnet.

Das ist ein übler Trick, den Köhler allerdings nicht allein anwendet.
Auch Oswald Metzger, der frühere Bundestagsabgeordnete und haushaltspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, spricht von impliziten Schulden, seine Parteifreundin, die Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk, haushaltspolitische Sprecherin auch sie, weist in einem Beitrag vom 1. April 2004 gleich achtmal daraufhin, ebenso verbreitet der Münsteraner Professor und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Ulrich van Suntum diese Mär, auch auf der Homepage der FDP war die Rede davon, und so weiter…

Diese irreführenden Rechenkunststücke machen bei der Anwartschaft auf die Sozialversicherungen zu einem Zeitpunkt X einen Schnitt und berechnen von da an die Rentenanwartschaften fiktiv weiter, ohne allerdings gegenzurechnen, das bei einem solchen revolvierenden System (d.h.: beim gegenwärtigen Umlageverfahren) laufend weitere Beitragszahlungen geleistet werden, die die vielzitierten Kinder und Enkel entlasten.

Prinzipiell gilt: Bei einem Umlageverfahren kann man nicht zu einem x-beliebigen Zeitpunkt einen Schnitt machen und die Anwartschaften kapitalisieren. Wenn man das trotzdem unbedingt tun will, muss man die gleichzeitig im Zeitlauf bestehenden Forderungen an die Beitragszahler als Vermögen gegenrechnen. Insgesamt aber ist das Verfahren absurd. Es dient auch nur der Panikmache und der Diskreditierung aller Umlageverfahren und insbesondere der gesetzlichen Rente.

Da der Trick schwer zu durchschauen ist, will ich es noch einmal mit einem Blick rückwärts erläutern: Stellen Sie sich vor, 1960 wäre eine Berechnung der sogenannten impliziten (implizit lat. einschließlich, mit inbegriffen) Schulden angestellt werden. Wir sind die Kinder und Enkel der damals arbeitenden Generation. Wenn Köhlers Rechenweg richtig wäre, müssten wir heute eine Schuldenlast aus Anwartschaften in einer ähnlichen Größenordnung haben. Das ist aber nicht der Fall. Warum nicht? Weil alle arbeitenden Menschen von 1960 bis heute Beiträge gezahlt haben, die verwendet worden sind, um die Renten der jeweiligen Rentnergeneration zu bezahlen. Da sind keine Schulden in einer ähnlichen Größenordnung angewachsen.

Wenn man schon davon reden will, dass sprunghaft Anwartschaften hinzugekommen sind, die man als eine besondere Belastung betrachten kann, dann solche, die den Sozialsystemen bei dem gerade auch von Horst Köhler mitzuverantwortenden Prozess der deutschen Einheit und wegen der Aussiedlerzuzugspolitik der Regierung Kohl aufgebürdet worden sind, der Köhler als Staatssekretär angehörte.


Dass sich der oberste Repräsentant unseres Staates dazu hergibt, ein wichtiges Element unserer Sozialstaatlichkeit, die gesetzliche Rente, durch Angstmacherei so maßlos zu diskreditieren, ist wohl einzigartig.


Mit Abstand und bei Licht betrachtet, muss die Bewertung des Tuns und Argumentierens unseres Bundespräsidenten noch viel schlimmer ausfallen. Horst Köhler reiht sich nämlich in eine gefährliche Auseinandersetzung zwischen den Generationen ein. Alles, was Rang und Namen hat unter unseren Eliten, behauptet, wir lebten heute auf Kosten unserer Kinder und künftiger Generationen. Altbundeskanzler Schröder sprach so, Dutzende weise Professoren sprachen so, reihenweise Kommissionen haben diese Botschaft aufgeschrieben, die neue Bundeskanzlerin Merkel sagt es und der Bundespräsident ebenfalls: 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Erblast für unsere Kinder und Enkel. Eine kaum zu fassende Größenordnung.

Zum Glück ist nichts daran wahr. Den Trick mit den impliziten Schulden habe ich bereits erläutert. Die expliziten Schulden (explizit lat. ausdrücklich, ausführlich), jene 1,4 Billionen Euro Staatsschulden, sind ebenfalls keine Schulden der jetzigen Generation, die sich der künftigen vererbt. Es sind Schulden des Staates gegenüber der jetzt lebenden Generation. Den Schulden des Staates stehen in der jetzigen Generation Forderungen an den Staat von seiten der Staatsbürger gegenüber, also Vermögen. Dieses Vermögen wird wie die Schulden, soweit sie nicht abgetragen werden, an die künftigen Generationen weitergegeben. Sie erben also beides, Schulden und Vermögen.
Wenn man die Gesamtbilanz von Erbe und Schulden aufmachen will, muss man noch ganz andere Vermögenselemente miteinbeziehen. Zum Beispiel: Wenn der Staat sich verschuldet hat, um mit Investitionen für die Infrastruktur und damit bei der Vorsorge für die Zukunft einen besonderen Sprung zu machen, dann erben die künftigen Generationen sowohl die Vorteile dieser Vorsorge als auch die Schulden. Ganz konkret: In den siebziger Jahren sind große Beträge in die Wasserversorgung, in weiterführende Schulen, in neue Universitäten und zum ersten Mal auch in den Umweltschutz investiert worden; davon zehren noch Generationen.
Auch die Lösung des Problems der deutschen Vereinigung und die Beendigung des Ost-West-Konflikts war eine grandiose Zukunftsinvestition, selbst wenn sie schlecht gemacht worden ist. Da sind große Schulden entstanden.

Warum aber wertet man nur diese Schulden und nicht den gleichzeitig entstandenen Vorteil, zum Beispiel den Gewinn, in Ost und West nicht mehr gegeneinander aufrüsten zu müssen?

Albrecht Müller


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